© Frater Aloisius
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Der Apothekenkrimi

DIE SPANISCHE FLIEGE - TEIL 3

Britta fand das faszinierend. Gerade erhob sich eine Stimme schneidend aus dem Gewirr ...

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Kapitel 4 Der dicke Mann knallte seinen Telefonhörer lautstark auf die Gabel und schimpfte vor sich hin. Sagte man das überhaupt noch so? Gabel? Telefone hatten doch heutzutage gar keine Gabel mehr. Britta Badouin überlegte. Sie kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, hier, in der Nachrichtenzentrale der Main-Zeitung (Werbeslogan: „Main-Zeitung. Meine Zeitung!“) Em, die junge Journalistin, hatte sie eingeladen, um etwas „Supertolles“ mit ihr zu besprechen, und nun stand die Apothekerin auf dem Filzteppich vor lauter Schreibtischen, die zu einem großen Rechteck zusammengeschoben waren, und an denen es zuging wie an einem Flughafenterminal: Gewimmel, Gebimmel, Hektik.

Die Main-Zeitung war eine große Zeitung, eine sehr große, da ging ihr eigenes Heimatblättchen zehnmal rein. Und deshalb war Britta auch ein wenig eingeschüchtert. Die wirkten alle so selbstbewusst hier. So entschieden. So, als ob sie alles wussten. Das war wie … Tagesschau. „Was glaubt der eigentlich, wer er ist!“ meckerte der Dicke und riss den Hörer wieder hoch. „Ich brauch‘ die Unterlagen VOR der Sitzung, nicht danach, ich weiß doch noch gar nicht, ob ich jemanden hinschicke!“ Am Newsdesk (dieser Name stand auf einer Digitalanzeige unter der Decke) strömten die Nachrichten und Termine zusammen, und der ganze Pulk an Leuten, die dort so hektisch telefonierten, war anscheinend damit beschäftigt, diese zu sichten und zu ordnen.

Britta fand das faszinierend. Gerade erhob sich eine Stimme schneidend aus dem Gewirr. „Wenn der Innensenator besoffen Auto fährt und dabei einen Laternenpfahl umnietet, ist das sehr wohl eine Meldung! Der war doch wohl im Dienstwagen unterwegs! Und woher kam der überhaupt mitten in der Nacht?“ Der Geräuschpegel sank kurzzeitig, alles schaute auf den Telefonierenden. Der eine oder andere Beobachter grinste. „Aha“, sprach der nun und lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück. Ließ ihn ein wenig wippen. „Ein Termin, soso. Hatte der Termin zufällig einen Pagenkopf, große, braune Augen und wohnt in der Moldaustraße?“

Jetzt erstarben die Gespräche rundherum nahezu vollständig. Der Redakteur lauschte. „Nein, natürlich nicht. Also, wir müssen das nicht bringen. Ich hätte aber gern die Polizeimeldung. Sie haben doch nicht ernsthaft daran gedacht, sie zurückzuhalten?“ Diesmal wurde der Hörer sanft zurückgelegt. „Geht doch“, sagte der Nachrichtenmann und grinste. „Haltet mal ein Plätzchen frei für eine Meldung auf der Eins und einen Zweispalter auf der Drei.“ „Willst du die Frau vom Staatssekretär mit reinbringen?“ fragte jemand. „Heute noch nicht.“ Der Redakteur blickte konzentriert auf seinen Bildschirm. „aber wenn der Kerl weiterhin in aller Öffentlichkeit säuft und bei den Sitzungen Mühe hat, nicht vom Stuhl zu rutschen, dann überleg‘ ich mir das nochmal.“

Em war noch in der Konferenz; Britta sah das durch die große Glasscheibe. Alle Augen derer, die mit am ovalen Tisch saßen, richteten sich auf die schmale, blonde Frau, die gerade irgendwas erklärte. Der Mann am Kopfende – grauer Bart, grauer Anzug, wacher Gesichtsausdruck – erwiderte etwas, alle anderen blieben stumm. Woraus Britta schloss, dass dies der Chef war. Jener legte nun den Kugelschreiber quer über seinen Block, der vor ihm lag, nickte den Anwesenden kurz zu und hob die Hände, als Aufforderung, sich zu erheben. Die Tür öffnete sich und alles strömte heraus, auch Em, die den graubärtigen Mann im Schlepptau hatte.

„Hallo Britta!“ Während sich die beiden Frauen begrüßten, musterte der die Szenerie. Schloss zum Newsdesk auf, ließ sich erklären, was die Redakteure für heute ausgegraben hatten. Nickte dann befriedigt und kam wieder zu Em und Britta zurück. Nun endlich begrüßte Wolfgang Bergmann – so stellte er sich vor – die Apothekerin. „Mein Chef“, warf Em erklärend ein. Und der lud sie gleich mal in sein Chefredakteursbüro, noch ein Glaskasten, der mit hellgrauen Kunststoffregalen vollgestellt war. Und in dem ein imposanter Schreibtisch stand. Das heißt, er wäre imposant gewesen, wenn nicht so viel Papier draufgelegen hätte.

„Setzen Sie sich doch bitte“, sagte Bergmann und räumte seufzend ein paar Papierstapel von rechts nach links. „Da sagt man nun, die Welt wäre digital geworden, und trotzdem stapelt sich das Zeug noch immer bis zur Decke. Ich finde diesen Gegensatz immer wieder zum Staunen. Ach, lassen wir das“. Er schaute ein wenig resigniert auf die Platte. „Wir gehen einfach zum Sofa.“ Die Besuchersessel und –sofas standen in einer von außen nicht einsehbaren Ecke des Büros. Kaum saß man, kam die Redaktionssekretärin hereingerauscht, mit silberner Thermoskanne, Tassen und Plätzchen. Britta fühlte sich geehrt, sie kam sich vor wie ein Staatsgast. Ihre Hand zuckte vor, um der Sekretärin beim Richten des Geschirrs zu helfen und konnte sich gerade noch beherrschen, jedem einen Keks auf die Untertasse zu legen.

Wir Frauen sind schon seltsame Geschöpfe, dachte sie, sowas aber auch. Das Hausfrauensyndrom. Bergmann nickte der Sekretärin lässig zu, als sie den Raum verließ und wandte seine Aufmerksamkeit dann Britta zu. „Schön, dass Sie gekommen sind“, sagte er und lächelte so herzlich, dass Britta nicht umhin konnte, sich geschmeichelt zu fühlen. Charismatischer Mann, dachte sie. Wenn der immer so ist, kriegt der bestimmt alles raus aus seinen Gesprächspartnern. „Frau Emckendorf hat uns vorhin in der Konferenz Ihre Vorgeschichte erzählt, Frau Baduoin. Und ich kann mich noch erinnern – beim „Mord am Mainufer“, über den wir natürlich auch berichtet haben, sind Sie die treibende Kraft bei der Aufklärung des Falles gewesen, nicht wahr?“ Britta brummte etwas Zustimmendes. „Annette Loos, meine Angestellte, stand mir dabei allerdings hilfreich zur Seite. Ich konnte mich ja leider kaum bewegen, saß zu der Zeit in einem Rollstuhl.“

WAS BISHER GESCHAH
Während eines Galaessens in einem Edelrestaurant stirbt der Mediziner Dr. Hans Ferdinand unter schrecklichen Schmerzen. Jemand hat ihm eine kräftige Prise Cantharidin übers Essen gestreut – doch die Frau, die neben ihm saß und es vor aller Augen getan hat, beteuert ihre Unschuld. Britta Badouin, die Apothekerin, zählt zu den Gästen. Sofort erwacht ihr Spürsinn – hält sich der Mörder etwa versteckt? Eine Übersicht über die handelnden Personen unseres Krimis erhalten Sie unter www.diepta.de.

„So? Sie wissen sich zu helfen!“ Jetzt lachte er wieder total nett. Der will doch was von mir, dachte Britta. „Wie wäre es denn, wenn Sie Ihre detektivischen Fähigkeiten in unsere Dienste stellen würden?“ fragte der Chefredakteur. „Wir müssen natürlich was draus machen, eine unserer Redakteurinnen war ja bei diesem dramatischen Abendessen dabei. Die großartige Idee, die Frau Emckendorf dazu hatte: Wir machen eine Serie draus. Da ich darauf vertraue, dass der Täter – oder die Täterin – irgendwann gefunden wird, vielleicht sogar von Ihnen, Frau Badouin – zeigen wir den Weg dorthin. Die Serie bekommt ein eigenes Logo, damit der Leser sie sogleich wiedererkennt.

Die Amerikaner sind uns da, wie immer voraus, Sie kennen doch sicherlich die Fernsehserie „Medical Detectives“? Wir übertragen das jetzt mal in die Zeitung. Also, falls wir Ihre pharmazeutische Kompetenz bekommen könnten, würden Sie diese Seite des Falles übernehmen. Die „Spanische Fliege“ hat doch eine interessante Geschichte, nicht wahr? Wir haben einen Medizinhistoriker verpflichtet, wir haben jemanden in der Gerichtsmedizin, wir haben sogar undercover jemanden bei der Polizei, das darf aber nicht in die Öffentlichkeit. Von allen Beteiligten werden Porträts erscheinen, wir sind schon dran. Bei Frau Emckendorf werden alle Fäden zusammenlaufen, sie wird die Folgen sprachlich angleichen und mit ihrer journalistischen …“


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„Und wenn sie den Mörder nicht finden?“ unterbrach Britta. „Da bin ich gar nicht bange“, sagte der Mann und lächelte wieder, siegessicher. „Hoffentlich haben Sie recht“, erwiderte Britta. „Ich finde diese Idee recht spannend. Wer soll denn die erste Folge schreiben?“ Der Chefredakteur strahlte. “Na, Sie! Und zwar gleich heute, da wir morgen beginnen wollen. Frau Emckendorf hat schon Material zusammengetragen.“ „Wie bitte? Heute?“ Britta wusste, dass sie jetzt gerade hektische rote Flecken vom Kinn bis zum Brustansatz bekam. „Ich muss gleich wieder in meine Apotheke!“ Der Chef wurde jetzt ganz ernst.

„Na, vielleicht können Sie ja einmal etwas später kommen. Oder ihre Angestellten sollten doch in der Lage sein …“ „Herr Bergmann“, unterbrach Britta ihn, „wissen Sie eigentlich, dass immer ein approbierter Apotheker anwesend sein muss während der Öffnungszeiten? Alles andere ist nach deutschem Recht nicht zulässig. Aber – warten Sie, mir fällt da gerade was ein. Ich hätte eine Bedingung für den Fall meiner Mitwirkung.“ „Und welche?“ fragte der Chefredakteur. „Ich möchte“, sagte Britta, „dass ein Journalist aus ihrer Redaktion in meine Apotheke kommt und einen ganzen Tag lang bleibt.

Und dann eine große Reportage darüber schreibt, was wirklich dort passiert. Sagen wir, eine Seite in der Wochenendausgabe?“ Eine Zeitlang sagte niemand etwas. Em sah leicht schockiert aus, Bergmann bloß erstaunt. Er war es wahrscheinlich nicht gewohnt, dass man ihm Bedingungen stellte. Der Mann nahm nachdenklich einen Keks in die Hand und biss ein Stück ab. Dann grinste er. „Warum nicht“, sagte er. „Abgemacht“. „Und noch was“, sagte Britta. „Ich fahre jetzt nach Hause, setze mich in mein Büro und schreibe was über die Spanische Fliege. Haben Sie ein Glück, dass Mittwoch Nachmittag ist.“ „Wieso?“ fragte er begriffsstutzig.

„Dann ist nichts los, weil alle Ärzte zu haben.“ Britta konnte nicht fassen, dass dieser Tatbestand nicht zur Allgemeinbildung gehörte. Aber vielleicht konnte man da ja noch voneinander lernen. Während man sich voneinander verabschiedete, warf der Chefredakteur plötzlich ein: „Fast hätte ich’s vergessen: In zwei Wochen veranstalten wir unser alljährliches Sommerfest, draußen, im Innenhof des Verlagsgebäudes. Da kommt alles, was in Frankfurt und Umgebung Rang und Namen hat.“ Er blickte zu Em herüber. „Und zufälligerweise stehen alle, die bei diesem Abendessen dabei waren, auf der Gästeliste. Sie können also ganz zwanglos – hm - recherchieren.“ Bergmann nahm Brittas Hand zum Abschied und lächelte sie wieder an: „Sie kommen doch?“

„Wie wäre es, wenn Sie Ihre detektivischen Fähigkeiten in unsere Dienste stellen würden?“ fragte der Chefredakteur.


Kapitel 5 Der Artikel für die Tageszeitung bereitete Britta großes Vergnügen. Sie saß inmitten eines alten Arzneibuches über Gifte und ihres Chemiealmanachs aus dem Studium an ihrem Schreibtisch, hatte die Tür zur Offizin geöffnet und hörte, dass vorn relative Ruhe herrschte. Kaum ein Kunde betrat an diesem Nachmittag die Apotheke, denn außer der herrschenden Mittwochsflaute peitschte draußen auch noch der Regen vom wolkenverhangenen Himmel. „Die ,Spanische Fliege‘“, so tippte sie in die Computertastatur, „hat eine schillernde Vergangenheit – genauso schillernd, wie die Farbe der Käfergattung Lytta vesicatorica, aus der sie entstand. Wer nicht um ihre Wirkung weiß, muss sehr leiden.“

Nachdenklich lehnte sich Britta zurück. Ob sie das so schreiben konnte? Ach was, zum Teufel mit dem streng wissenschaftlichen Geblubber! Sie würde einfach so schreiben wie ihr der Schnabel gewachsen war! Sie saß schließlich nicht im Pharmazie- Seminar und schrieb auch kein Lehrbuch. Am Ende betrachtete sie wohlgefällig ihr Werk. Ihrem Professor hätte das nicht gefallen, das wusste sie. Und bevor sie der Mut verlassen konnte, holte sie Ems Visitenkarte hervor, setzte deren Mailadresse ein und drückte auf „Senden“.

Wie geht es weiter? Lesen Sie die nächste Folge unseres Apothekenkrimis „Die Spanische Fliege“ in unserer Mai- Ausgabe!

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/17 ab Seite 102.

von Alexandra Regner

„Die Spanische Fliege - Teil 3”

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