Der Apothekenkrimi
DIE MÖRDERBLUME – TEIL 4
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Die Führung war beendet. Man schritt nacheinander durch das Gatter, an dessen Ausgang Karl und der Pudel schon warteten. Britta blieb stehen, da der Durchgang nur schmal war und geriet neben Aloisius. „Was ist das eigentlich?“ fragte sie und zeigte auf einen kleinen Bereich am Zaun, auf dem drei nicht beschriftete Pflanzen wuchsen. „Ach das.“ Aloisius kicherte verstohlen. „Das ist so ein kleines Steckenpferd von mir, so eine Art versteckter Schabernack. Die Leute fragen immer, was das sein soll. Die sind nach ihren volkstümlichen Namen sortiert, und der hat was mit uns zu tun.“
Britta, die nicht in allen Segmenten der Botanik so richtig bewandert war, fragte sich, welche Namen das waren. „Bevor du heute Nacht nicht schlafen kannst“, griente der andere: „Es sind Mönchspfeffer, Mönchskappen und Mönchshut, die da wachsen.“ Britta war jetzt fast so schlau wie vorher. Aber das hätte sie nie zugegeben. Jens erschien wieder auf der Bildfläche. Er schien es eilig zu haben. „Ich zeig‘ euch jetzt die Gartenanlage mit den Außengehegen, dann geht’s in die stillen Räume.“
Britta lernte vier Ponys kennen, die krumm vom Alter und durchaus friedlich wirkten; dazwischen standen zwei Lamas, die unverwandt mit strengem Blick die Besucher beäugten. „Es wäre vielleicht besser“, sagte Jens, „ihr kommt denen nicht zu nahe. Wenn ihnen irgendwas nicht passt, spucken sie nämlich. Dabei sind sie eigentlich eher schmusig, sie lassen sich gern die Nase kraulen. Aber wenn ihnen das zu lange dauert, dann…“ Löwenstein blieb stehen. „Na, das ist ja ein Verein hier. Ein Pfau, der auf Autos losgeht, ein Hund, der Schuhe trägt, zwei Lamas, die spucken… was erwartet uns denn noch so?“
Die anderen blickten überrascht auf den Kollegen. Weniger wegen seiner Worte, sondern wegen der Aggressivität, die durchschimmerte. Britta verstand plötzlich, warum seine Angestellten ihn hergeschickt hatten. „Ziegen“, sagte Jens. „Und die sind sehr verfressen. Man darf auf gar keinen Fall das Gatter offen lassen, wenn man hineingegangen ist, um sie zu streicheln.“ Löwenstein guckte entgeistert darüber, dass man auf den Gedanken kommen konnte, er könne Ziegen streicheln. „Und wann gehen wir endlich meditieren?“ fragte er.
Karl, der wie immer mit dem Pudel an der Seite gefolgt war, sagte mit sonorer Stimme: „In der Ruhe liegt die Kraft.“ „Du hast mir jetzt gerade noch gefehlt“, sagte Löwenstein. Britta hielt unwillkürlich den Atem an. Karl blieb stehen, baute sich vor ihm auf und sah ihm etwas rebellisch in die Augen: „Die Zeit ist ein großer Lehrer. Das Unglück dabei ist: Sie tötet ihre Schüler. Sagt Konfuzius. „Karl, lass jetzt mal“, sagte Jens nervös und legte seinem Bruder den Arm um die Schultern. „Hast du heute Alfred und Frieda schon gefüttert? Ich fände es gut, wenn du das jetzt machen würdest.“ „Okay.“ Karl fügte sich sofort. Als er sich mit dem Hund entfernte und die Gesellschaft immer noch überrascht auf seinen Rücken starrte, brummte Löwenstein: „Ich hätte den Deppen auch nicht länger ertragen.“
Britta konnte nur vermuten, was Löwensteins Worte bei Jens ausgelöst hatten. Anmerken ließ er sich nichts. Er führte die Gruppe auf den ausgebauten Dachboden des Gutshofes, der in zwei Räume eingeteilt war: Im einen befanden sich Bücher, viele Bücher, und Sitzgelegenheiten; der andere war eine Art Saal mit abgeteilten Nischen und speziellen Kissen. Man hätte hier einen Buddha erwartet, Klangschalen und Räucherstäbchen, dachte Britta, der zum ersten Mal auffiel, dass es keinerlei religiöse Symbole auf diesem Gutshof gab.
Es war sehr ruhig hier. Unauffällig schloss sie die Augen und spürte, wie sich die Stille gleich einem großen, dicken Tuch über ihren Geist legte. Sie hätte am liebsten kurz ein bisschen gedöst, vielleicht in einem dieser Ohrenbackensessel, die dort zwischen den Fachwerkbalken standen. Oder in einem der Bücher geblättert. Dabei die Füße auf einen der niedrigen Tische gelegt… „Hier ist schon so mancher einfach so eingeschlafen“, sagte Jens und grinste. Er zeigte auf die vielen Sitzgelegenheiten. „Setzt euch. Ich halte jetzt eine kleine Einführung zum Thema Meditation. Auch auf die Gefahr hin, dass es jemand von euch schon gut kann, fange ich ganz von vorn an.“
Die Apotheker setzten sich und bis auf Wolf schauten alle sehr gespannt auf den Chef. „Ich nehme an, ihr alle seid hier, weil ihr lernen wollt, zur Ruhe zu kommen. Vielleicht auch, weil das, was ihr gehört habt, ganz interessant klingt: Nicht nur, dass regelmäßiges Meditieren den Blutdruck und den Cholesterinspiegel senkt – was für euch wohl eine der interessanteren Seiten sein wird -, sondern es fördert einfach das klare Denken. Es fokussiert, macht kreativer, steigert die Arbeitsleistung, fördert den Nachtschlaf. Manche sagen, ihre Sexualität werde intensiver – auf jeden Fall steigert es die Liebesfähigkeit.“ Jens atmete einmal tief ein.
Auf dem Dachboden war es mucksmäuschenstill. „Und das ist gar kein Hexenwerk. Um all das zu erreichen, ist es einfach nur nötig, dass ihr einmal am Tag zehn Minuten still sitzenbleibt. Euch nicht unterbrechen lasst. Die Augen schließt. Und versucht, nicht zu denken. Anfangs mag es eins der schwersten Dinge sein, die ihr je in eurem Leben getan habt.“ Jeder reagierte auf diese Worte, wie es seinem Wesen entsprach. Der kleine Pharmazierat schaute ein bisschen ängstlich; Löwenstein guckte skeptisch, Britta war einfach nur neugierig. Nur Wolf lächelte wissend.
„Für Menschen, die stressgeplagt sind, die nur mit Tabletten Schlaf finden oder die zu Depressionen neigen, ist Meditieren ein Segen. Insofern ist es wohl auch für eure Kunden interessant. Wir gehen jetzt mal rüber, und ich zeige euch die Grundhaltung. Also die des Sitzens.“ Britta, die sich eben noch gefragt hatte, warum die Kissen auf den Plätzen so und nicht anders geformt waren, verstand nun schnell, warum dies so war. Denn sie machten die Haltung der gekreuzten Beine auf die Dauer erträglich. Jens zeigte ihnen den halben Lotussitz – „beim echten schlafen euch die Beine ein“ -, man legte den Arm unterseits auf die Knie, während die Handinnenseiten nach oben zeigten.
Und dann schloss man die Augen. „Die meisten Meditationsschulen“, erklärte Jens, „raten Anfängern, auf ihren Atem zu achten. Das ist tatsächlich eine probate Methode: Euer regelmäßiger Atem ist immer da, man kann sich an ihm orientieren wie an einem Metronom.
Zählt einmal beim tiefen Einatmen „Eins“ und beim – tiefen - Ausatmen „Zwei“. Und immer weiter, bis ihr bei „zehn angelangt seid. Dann beginnt wieder von vorn. Und macht langsam.“ Jens überließ die Teilnehmer eine Weile dieser Übung, dann unterbrach er nach fünf Minuten. „Und, wie war es?“ Keiner sagte etwas. Britta dachte: Ich bin sowas von einem totalen Meditationsversager. Ich hab daran gedacht, dass das Auto unbedingt vollgetankt werden muss und dass Robert mir einen Heiratsantrag gemacht hat.
Und dass ich unbedingt nachschauen muss was all diese Blumennamen, die mit „Mönch“ anfingen, bedeuten. Ich bin auch nicht sicher, ob ich für eine Ehe geschaffen oder ob ich nicht einfach der undankbarste Mensch auf der Welt bin…. Jens‘ Stimme unterbrach ihre Überlegungen: „Ich wette mit euch, dass eure Gedanken wie ein Wurf junger Hunde durch die Gegend gehüpft sind. Euch wird alles mögliche durch den Kopf geschossen sein. Da hab ich eine Neuigkeit für euch: Das geht jedem so.“ Wolf guckte sehr empört, die anderen eher erleichtert.
WAS BISHER GESCHAH
Britta Badouin ist auf Einladung der Apothekerkammer bei einem Meditationsseminar im Kaiserstuhl gelandet. Hier kann sie in Ruhe darüber nachdenken, ob sie Roberts Heiratsantrag annehmen will. Doch mit der Ruhe ist das so eine Sache. Da ist zum einen der Leiter der klosterähnlichen Gemeinschaft mit seinem kindlichen Bruder Karl, der ständig Konfuzius rezitiert. Dem gegenüber stehen Britta und ihre drei Kollegen: der geheimnisvolle Apotheker Wolf, der schüchterne Pharmazierat Grigoleit und der stets wütende Bernd Löwenstein, den seine Angestellten zwecks Mäßigung hierhergeschickt haben …
„Setzt eure Gedanken wieder auf den Atem. Immer wieder. Genau dazu ist die Meditation da: Dass ihr es schafft, euch zu sammeln. Irgendwann werdet ihr einen Moment gedanklicher Leere erleben, der euch zeigt, wo es hingeht: Ihr werdet die vollkommene Ruhe erleben. Mag es auch nur ein Sekundenbruchteil sein, ihr werdet diesen Moment nie vergessen.“ Vier Augenpaare schauten jetzt sehr nachdenklich. „Und jetzt“, sagte Jens in einem merkwürdigen Ernst, der im Gegensatz zu seiner sonstigen, etwas spöttischen Attitüde stand, „werde ich ein bisschen meditieren. Ihr könnt ja mitmachen. Und nicht vergessen: Alles, was ihr erlebt, ist normal. Wirklich alles.“ Er lächelte leise. „Nur still müsst ihr dabei sein.“
Auf dem Flur vor den Zimmern hielt Britta den schluchzenden Pharmazierat im Arm. „Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist“, weinte er in ihre Jacke hinein. „Meine Frau hat Recht, ich bin ein Nervenbündel. Ich kann…“ Den Rest verstand keiner und das war vielleicht auch besser so. Britta schaute sich um. Der Flur lag ausgestorben da, nachdem die vier ganz leise aus der Meditation gekommen waren. Sie konnte es Fred nicht antun, dass jemand seinen Gefühlsausbruch mitbekam. Sie musste ihn jetzt in sein Zimmer bugsieren. Links, das war wohl Löwensteins, der hatte seine Schuhe davor abgestellt, wahrscheinlich meinte er, jemand käme zum Putzen. Tsss, dachte Britta, der alte Snob. Also war rechts das von Fred, oder? Britta schob ihn hinein – die Türen waren hier nicht abgeschlossen – und lag gottseidank richtig. „Da-hanke“, schniefte Fred. „Wie soll das bloß weitergehen?“
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„Es hat doch erst angefangen, hör auf deine Frau“, sagte Britta. „Lass diese besondere Atmosphäre einfach auf dich einwirken. Und wer weiß, vielleicht geht dir am Ende ein Licht auf und du weißt plötzlich, was du in deinem Leben ändern musst.“ Ich hör mich schon an wie die Frau mit der Kristallkugel, dachte sie, furchtbar! Fred sah sie vom Bettrand aus an. „Du bist so klug“, sagte er bewundernd. „Naja“, sagte Britta, „wie man’s nimmt. Klug ist man leider immer nur bei anderen.“ Und sie lächelte ihm zu und schlüpfte aus dem Zimmer. Denn sie musste jetzt ihre eigenen Gedanken ordnen. Auf dem Weg kam ihr der Pudel entgegen.
Da konnte Karl auch nicht weit sein. Chico wedelte begeistert, schmiegte sich ein wenig an Britta und ging dann weiter seiner Wege. „Merkwürdig“, dachte Britta, als sie ihr Zimmer erreicht hatte. „Wieso war der allein unterwegs?“ Dann gähnte sie, ließ sich auf ihr Bett fallen und dachte gar nichts mehr. Sie erwachte von Geschrei auf dem Gang. Zuerst wusste sie nicht, wo sie war. Ein wenig schlaftrunken schaute sie auf den Wecker: Abendbrotzeit. Sie musste weggedämmert sein. „Du Mistvieh!“ brüllte eine bekannte Stimme, eindeutig die Löwensteins. Britta erhob sich benommen. Was war passiert?
Draußen auf dem Flur platzte sie in folgende Szene: Löwenstein hielt einen seiner Schuhe in der Hand, vor ihm stand der Pudel. Er guckte etwas betreten – der Hund, nicht Löwenstein. Letzterer schwang den Schuh wie ein Geschoß: „Das sind Slipper von Armani!“ Und dann trat Löwenstein mit einem gezielten Tritt dem Hund blitzschnell in die Seite, dass der gegen die Wand geschleudert wurde, laut aufheulte und das Weite suchte. Der Apotheker, immer noch den Schuh schwingend, rannte ihm hinterher. Trat wieder nach ihm und traf noch einmal. Der Pudel wehrte sich nicht, winselte nur und versuchte zu entkommen. Britta trat dem Mann in den Weg, sodass er ins Straucheln kam und beinahe auch auf sie losgegangen wäre. Schwer atmend fuchtelte er mit dem Lederschuh vor ihrem Gesicht herum.
„Der hat darauf rumgekaut! Die sind hinüber! Ich werd‘ die Brüder hier verklagen!“ Er war knallrot vor Zorn und Britta dachte: Das ist was Pathologisches. Der ist ja in der Stimmung für einen Mord. Ich glaube, Meditationsübungen sind für den zu schwach. Diazepam wär da schon angebrachter. Aus den Augenwinkeln sah sie eine Gestalt zwischen zwei Fachwerkbalken verschwinden. Eine blaue Gestalt. Aus der Ferne war immer noch der jammernde Pudel zu hören. Und Löwenstein setzte seinen Feldherrenblick auf, hob das Haupt und marschierte, ohne sich umzudrehen und den Schuh wie einen Taktstock schwingend, in sein Zimmer zurück.
Zur Abendbrotzeit versammelten sich alle wieder im Speisesaal, der Britta an ein Refektorium erinnerte: An einer langen Tafel saßen die Anwesenden nebeneinander, die Speisen standen daneben auf einer großen Kommode. Jeder nahm sich, was und wieviel er wollte, wobei die Speisenauswahl begrenzt war: Brot, Butter, ein Bärlauchpesto, Tomaten und ein veganer Brotaufstrich. Britta fiel auf, dass Jens und Karl fehlten. Ihr Blick fiel auf eine Menge Thermoskannen, die an der Wand aufgereiht waren.
„Ist das euer berühmter Franziskustee?“ fragte sie Aloisius, der sich gerade seinen Teller volllud und augenscheinlich bester Laune war. „Ja, meine Liebe, das ist er.“ Er runzelte kurz die Stirn. „Jemand hatte die große Blechdose mit dem Tee an den falschen Platz gestellt. Aber jetzt ist sie wieder aufgetaucht. Ich bin gespannt, wie er dir schmeckt.“ Neben Britta tauchte jetzt Löwenstein auf, der sich mit mürrischer Miene eine Scheibe Brot nahm und seine Blicke über das Buffet schweifen ließ. „Gibt’s nichts Warmes?“ fragte er Aloisius, der abwartend stehen geblieben war. „Wir haben hier mittags unsere warme Mahlzeit“, sagte der sanft.
„Na, das passt ja“, entgegnete Löwenstein und ließ offen, wie er das meinte. Britta setzte sich neben Aloisius an die Tafel und probierte ein Schlückchen Tee. Donnerwetter. Der schmeckte ja. Was war da drin? Sie schaute Aloisius an, der sie genau beobachtete. „Verrätst du’s mir?“ fragte sie leise. „Mhm“, machte der. Dann brachte er seinen Mund dicht an ihr linkes Ohr. „Fenchel ist drin. Etwas Kamille. Pfefferminze und Zitronengras. Verbene. Ein wenig Zimt.“ „Das ist doch aber nicht alles“, flüsterte Britta.
„Ein Teil der Rezeptur bleibt mein Geheimnis, das wissen nicht mal die anderen. Ich verrate dir noch, dass die enthaltenen Brombeerblätter von mir einer speziellen Prozedur unterworfen werden, die sie aromatisiert.“ „Du bist ein Fuchs“, sagte Britta bewundernd. „Aber die allerletzte Zutat, die dem Tee seinen ganz besonderen Geschmack gibt, die verrate ich nicht.“ Aloisius lehnte sich zufrieden zurück und ein listiges Lächeln überzog sein Gesicht. „Du weißt genau“, sagte Britta, „dass ich jetzt jede Menge Franziskustee mit nach Hause nehmen werde.“
„Dann werde ich dir einige Päckchen zurücklegen. Wir haben nämlich nicht mehr so viel, die Ernte steht ja jetzt bald wieder an, da sehe ich immer zu, dass die alten Vorräte aufgebraucht sind. Wenn du möchtest, darfst du mich mal besuchen in meiner Kräuterkammer.“ „Oh ja, gern!“ „Komm einfach nach dem Abendessen vorbei. Sie liegt links neben der Speisekammer und ist normalerweise abgeschlossen. Ich werde da sein.“
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/18 auf Seite 100.
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„Die Mörderblume – Teil 4”