Der Apothekenkrimi
DIE MÖRDERBLUME – TEIL 2
Seite 1/2 10 Minuten
Als Britta wieder hinter dem Steuer Platz nahm und den Wagen in Richtung Autobahn lenkte, dachte sie daran, dass der Notarzt Robert gedankt und etwas von „Guter Arbeit“ gesagt hatte. Nebeneinander stehend sahen sie zu wie die beiden Rettungswagen davonrauschten; und dann wurden sie von der Menschenmenge aufgesogen, die sich gebildet hatte, und es kam zu diesem einen, unseligen Zwischenfall. Ein junger Mann, der schon die ganze Zeit über sein Handy hochgehalten und den Vorfall aufgenommen hatte, näherte sich Robert.
Er baute sich ihm gegenüber auf, drückte weiter auf sein Smartphone, sagte „Cool“ und filmte weiter. Da schlug Robert zu. Die Polizisten, die den Fall der alten Damen aufnahmen, hatten somit gleich zwei Delikte, die sie bearbeiten mussten. Den Fahrer des Kleinlasters nahmen sie ebenso mit wie den Arzt, der eben noch Erste Hilfe geleistet hatte. Bedauerlicherweise war der Faustschlag gegen den jungen Mann so gut gezielt, dass Robert die arteria carotis getroffen hatte. Die kurzzeitige Bewusstlosigkeit des Mannes sah dramatischer aus, als sie war.
Doch der junge Mann war danach außer sich vor Zorn – allerdings weniger über den Angriff als über die Tatsache, dass sein Handy dabei über das Pflaster gerutscht und an den Marktbrunnen geknallt war. Selbst Britta sah, dass es irreparablen Schaden gelitten hatte: Das Display war zersplittert; das Gerät in drei Teile gebrochen. Man konnte allerdings auf der Rückseite noch den angebissenen Apfel entdecken. Sie durfte Robert nicht begleiten. Aufgrund seiner Vorgeschichte – die Bewährung für einen ähnlichen Fall war gerade abgelaufen – behielt man ihn da.
Und nun saß Britta in ihrem Büro, starrte blicklos auf die Schreibtischunterlage und fragte sich, ob sie irgendetwas hätte verhindern können. In der Offizin war es ruhig; Billie und PKA Rieke regelten den spärlichen Kundenstrom. Die neue PTA Antje, die Britta eingestellt hatte, weil Annette nur noch Teilzeit arbeitete, beschäftigte sich mit den Rezepturen, die anstanden. Kurz öffnete sich die Bürotür und Rieke legte die Post in den Ablagekasten auf Brittas Schreibtisch.
„Es ist nur Werbung“, sagte sie entschuldigend. Britta schaute ihr hinterher, entnahm ihren Brieföffner aus der Schublade und begann mechanisch, die Umschläge aufzuschlitzen. Angebot über Angebot stapelte sich mit Rabattaktionen verschiedener Arzneimittelhersteller. Ein Brief war von der Apothekerkammer, wahrscheinlich über Fortbildungen. Britta überflog kurz die Seminare. Huch, was war denn das?
Meditieren lernen Rabattverträge, Hilfsmittellabrechnungen und die Kassen-Software ist auch wieder abgestürzt – haben Sie auch das Gefühl, dass Sie mal eine Auszeit brauchen? Das Handy ausgeschaltet lassen, zur Ruhe kommen und die Gedanken neu sortieren; dazu bietet die Landesapothekerkammer ein Seminar der besonderen Art an. Falls Sie schon immer einmal das Meditieren lernen wollten und wissen möchten, was es mit der Achtsamkeit auf sich hat, sollten Sie folgendes nicht verpassen: Auf dem Gutshof Emmenau, hinter Freiburg im malerischen Kaiserstuhl gelegen, befindet sich die klosterähnliche Gemeinschaft der Assisi- Brüder.
Die Emmenauer, die in einem selbstgewählten Regelwerk leben, das die Achtung vor allem Lebendigen einschließt, laden zu einem verlängerten Wochenende ein. Interessant für alle Pharmazeuten: Der Gutshof verfügt nicht nur über einen sorgsam gepflegten Naturpark mit wunderschönen Spazierwegen, sondern auch über einen Heilpflanzengarten, der über die Region hinaus bekannt ist. Die Meditationswoche wird für Kammermitglieder vergünstigt angeboten, doch es heißt, schnell zu sein: Nur noch wenige Plätze sind frei*.
Während Britta noch überlegte, klingelte das Telefon. „Hallo“, sagte Robert und er klang sehr fremd. „Wie geht es dir?“ fragte Britta bang. „Naja“, sagte er. „Ich möchte dir nur sagen, dass ich mich hier zur Verfügung halten muss.“ „Das hab ich mir schon gedacht“, sagte Britta. „Aber dem Jungen ist doch nichts passiert…“ „Es war Köperverletzung. Du weißt ja, was das bedeutet.“ Britta nickte, obwohl Robert das ja nicht sehen konnte. Beim letzten Vorfall dieser Art war ein Mensch gestorben (siehe „Mord am Mainufer“).
„Ich treffe mich gleich mit meinem Anwalt. Ich glaube nicht, dass es schlimm ausgehen wird, aber man weiß ja nie. Und, Britta…“ Die Apothekerin lauschte ins Telefon. „Denk darüber nach, was ich dir gesagt habe. Danach lass ich dich in Ruhe.“ Britta schluckte. „Robert…“ sagte sie. „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte er. „Wir sehen uns, aber ich weiß noch nicht wann. Die Praxis ist ja jetzt sowieso erstmal geschlossen.“ Nachdenklich legte Britta den Hörer auf. Sie lehnte sich zurück und ließ ihren Blick noch einmal auf den Kammerbrief fallen. Was stand da im Kleingedruckten?
* Tierhaarallergiker sind von der Teilnahme ausgeschlossen.
Jetzt, im Mai, tirilierten die Vögel in den Blütenexplosionen der Bäume und Sträucher, als Britta ihr Auto vor dem großen Tor des Gutshofes anhielt. Sie hatte gerade gemerkt, dass die Tankanzeige kaputt war und sie mit dem allerletzten Tropfen Benzin unterwegs war, sie fuhr schon seit vielen Kilometern auf Reserve. Gerade nochmal gut gegangen, dachte sie. Ich muss fragen, ob die hier einen Kanister Super für mich haben. Britta sah sich um. So ganz verstanden hatte sie es ja nicht: Was hieß „klosterähnliche Gemeinschaft“?
Waren das nun Mönche oder nicht und was hieß eigentlich „Assisi-Brüder“? Aber Britta interessierte vor allem die Weltabgeschiedenheit der Stätte, sie musste dringend ihre Gedanken ordnen und sich auf eine Richtung festlegen. Sonst würde sie Robert verlieren. Wollte sie das? Würde sie es aushalten, ohne den Menschen zu sein, mit dem sie nicht nur eine gemeinsame Geschichte verband, sondern mit dem sie auch über alles reden konnte?
WAS BISHER GESCHAH
Britta Badouin, die pfiffige Apothekerin aus Mittelhessen, hat es auf ein Pharmazeuten-Seminar inmitten einer klosterähnlichen Gemeinschaft verschlagen: Bei den „Assisi-Brüdern“ sollen die Teilnehmer das Meditieren lernen. Doch eigentlich ist sie auf der Flucht – Robert, der charismatische Kardiologe, hat ihr einen Heiratsantrag gemacht. Britta ist hin- und hergerissen. Soll sie diesen Schritt noch einmal wagen?
Das mit der Meditiererei kam ihr ganz recht. Sie wollte das immer schon mal lernen. Am besten gefiel ihr dabei, dass alle um sie herum die Klappe halten würden. Britta kicherte in sich hinein. Ob die hier sehr fanatisch drauf waren? Sie war ja so gespannt. Hinter ihrem Auto hielt ein älterer Geländewagen, der bis an die Ladekante vollgepackt war. Vier Menschen stiegen aus, alles Männer, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Ein graubärtiger, kleiner drahtiger Mann hing sich gerade die Schlaufe einer Reisetasche um den Hals, unter der er schier zusammenzubrechen drohte.
Der Fahrer half ihm dabei, nickte ihm aufmunternd zu. Er schien Angehöriger des Gutshofes zu sein, denn er hielt ein laminiertes Schild in der Hand, auf dem „Gut Emmenau“ stand. Es schien, als habe er die Männer von der Bahn abgeholt. Der Fahrer trug eine blaue Hose aus leinenähnlichem Stoff, ein ebensolches Oberteil, darüber eine Lederjacke. Er blickte leicht amüsiert auf die Truppe, die er da mitgebracht hatte. Britta war noch nie einem solchen Menschen begegnet. So ruhig, so bestimmt.
Als ob ihn nichts erschüttern könnte, vom Typ Fels in der Brandung. Links von ihm richtete ein schätzungsweise vierzig- bis fünfzigjähriger Mann in Jeans und olivfarbener Jacke seinen Pferdeschwanz. Milde ließ er seinen Blick aus dunkelbraunen Augen über das Tor und die angrenzende Mauer schweifen. Er murmelte etwas, dann schwang er sich seinen Rucksack über die Schulter. Ging ein paar Schritte, grinste und strich sich dann über seinen Dreitagebart.
Ob der wohl Apotheker war? Man sollte ja nicht nach Äußerlichkeiten gehen. Aber er sah eher aus… wie ein Journalist. Oder ein Yoga-Lehrer. Britta musste schon wieder ein Kichern unterdrücken, diesmal aus lauter Nervosität. Auf jeden Fall wirkte er, als ob er die Sache mit dem Meditieren schon drauf hätte. Als habe er ihre Gedanken gehört, wandte der Dunkeläugige sich plötzlich um und schaute sie an, Britta voll ins Gesicht. Ihr blieb der Mund offen stehen. Jetzt lächelte der auch noch.
Weiterlesen auf der nächsten Seite ...
„Die Mörderblume – Teil 2”