Berühmte Apotheker
DIE „MERCK-DYNASTIE“
Seite 1/1 5 Minuten
Friedrich Jacob Merck wurde am 18. Februar 1621 als Sohn des angesehenen Schweinfurter Gastwirts Johann Merck (1573 bis 1642), der bis 1622 den gehobenen Gasthof zum „Schwarzen Bären“ betrieb, anschließend im Weinhandel tätig war und auch rege im Rat der Stadt mitwirkte, geboren. Es war gerade der Beginn des Dreißigjährigen Krieges und der sicherlich auch intrigante Krieg zwischen Protestanten (die Stadt Schweinfurt und auch die Familie Merck waren lutherischen Glaubensursprungs) und Katholiken (die sich unter Federführung des Bischofs von Würzburg Schweinfurt gerne einverleiben wollten) tobte in den nächsten Jahrzehnten immer wieder in und um die Stadt.
Die Zwangsversorgung der vielen wechselnden Truppen, sei es der protestantisch- schwedischen, sei es der kaiserlichen katholischen, die Zwangsenteignungen, Wertsachen-Erpressungen oder Frondienste forderte in den Folgejahren von den Schweinfurter Bürgern eine sehr hohe Leidensfähigkeit. Hinzu kam die immer wieder ausbrechende Pest. 1638 sah es in der Stadt schlimm aus, mehr als 400 stark beschädigte Häuser, ausgeräumte Zimmer, eine stark dezimierte Einwohnerzahl durch Wegzug oder Tod. Der Familie Merck ging es infolge vorteilhafter Heiraten, eines guten Netzwerkes sowie Sicherung und Ausweitung des Vermögens durch ertragreiche Geschäfte allerdings vergleichsweise gut.
Die apothekerliche Wurzel: Darmstadts Engel-Apotheke Jacob Friedrich Merck war – wie sein älterer Bruder Georg (1611 bis 1683) aus zweiter Ehe seines Vaters – zum Apotheker auserkoren worden und absolvierte seine Lehrzeit an der Schweinfurter Ratsapotheke, bevor er 1641 die Stadt als Geselle verließ. Sein Weg führte ihn zunächst an die Ostsee nach Danzig, wo er Provisor der dortigen Hofapotheke wurde. Versuche in seiner Heimatstadt Schweinfurt als Apotheker tätig zu werden scheiterten. Stattdessen übersiedelte er 1668 nach Darmstadt.
Dort war auf Bewilligung des Landgrafen Georg II. von Hofapotheker Samuel Böckler im Jahr 1654 am Schlossgraben die zweite öffentliche Apotheke, die spätere Engel-Apotheke, gegründet worden. Nach Böcklers Tod erwarb Friedrich Jacob Merck diese „Zweite Stadtapotheke“. Jacob Friedrich Merck heiratete in seinem fortgeschrittenen Alter (47-jährig) am 20. Oktober 1668 Maria Magdalene Hübner, Tochter eines betuchten Frankfurter Kaufmanns. Nur zehn Jahre später starb er allerdings mit 57 Jahren – kinderlos. Aber er hatte noch zu Lebzeiten vorgesorgt und seinen Neffen Georg Friedrich Merck (1647 bis 1715), Sohn seines Apotheker-Bruders Georg, zu seinem Nachfolger bestimmt.
Der eigentliche Merck-Gründer: Heinrich Emanuel Merck Das Fundament zum Industriekonzern Merck legte allerdings ein anderer Merck, rund eineinhalb Jahrhunderte später: Heinrich Emanuel Merck, Ururenkel des Neffen Georg Friedrich Merck, übernahm die Engel-Apotheke 1816. Das beharrliche Weiterführen der Apotheke, ein kluges Kredit-Geschäft (Geldverleih) sowie berechnende Heiratspolitik hatten die Familie Merck schon bis dahin zu einigem Wohlstand kommen lassen. Emanuel Merck führte dies fort. Geboren am 15. September 1794 in Darmstadt genoss Emanuel Merck eine sehr gute Schulbildung, unter anderem im Darmstädter Pädagog sowie einem Genfer Internat.
Im Winter 1809/1810 schloss sich eine Apothekerlehre im väterlichen Betrieb an, der allerdings nach dem frühen Tod seines Vaters, Apotheker Johann Anton Merck (1756 bis 1805), verpachtet worden war. Doch schon im April 1810 ging Emanuel Merck zunächst an das renommierte chemisch-pharmazeutische Ausbildungsinstitut von Johann Bartholomäus Trommsdorff nach Erfurt, um eine fundierte praktische wie theoretische Ausbildung zu erhalten. Nach zweijährigem Unterricht bei Trommsdorff mit hervorragendem Examensabschluss setzte Emanuel Merck seine Ausbildung an diversen Apotheken fort: Apothekergehilfen-Jobs in Eisenach, Frankfurt am Main, Straßburg sind überliefert.
1815 immatrikulierte er sich an der Universität Berlin und studierte dort Chemie, Technologie, Botanik und Mineralogie. Das Studium schloss Emanuel Merck Anfang 1816 mit dem preußischen Provisor-Examen ab, um anschließend seine Ausbildung in Wien fortzusetzen. Doch noch im gleichen Jahr kehrte er in die Heimat zurück und übernahm nach Ablegung des hessischen Apothekerexamens die Engel-Apotheke seines Vaters. Grund: Der Pächter der väterlichen Apotheke war gestorben.
Steckenpferd AlkaloideZunächst hatte Heinrich Emanuel Merck angesichts der politisch wie wirtschaftlich unsicheren Zeit dafür zu sorgen, das traditionelle Apothekengeschäft aufrechtzuerhalten und Privilegien zu schützen. Er heiratete 1820 die Darmstädterin Magdalena Hoffmann (1797 bis 1877), wo- mit ein erheblicher Kapitalzufluss verbunden war, hatte drei Söhne mit ihr: Carl (1823 bis 1885), Georg (1825 bis 1873) sowie Wilhelm (1833 bis 1899). Geschickte gesellschaftliche Integration (Freimaurer-Loge) sowie kommunalpolitisches Engagement bescherten ihm ab 1828 einen Darmstädter Stadtrats-Posten. 1835 wurde er zum Medizinalrat, 1847 Mitglied im großherzoglichen Medizinalkollegium.
Aufgrund seines hohen Fachwissens und Renommees wurde er gefragter Gutachter. Parallel suchte er nach neuen und größeren Absatzchancen für eigene Produkte, erschloss neue wirtschaftlich lukrativ erscheinende Betätigungsfelder: Kunden jenseits des engen Darmstädter Einzugsgebietes wurden planmäßig erschlossen, der Einkauf optimiert. Eine Chlorkalk-Produktion vor den Toren Darmstadts musste er jedoch wegen Unwirtschaftlichkeit zeitnah wieder einstellen. Die anwendungsorientierte geschickte Vermarktung von wissenschaftlichen Erkenntnissen war dennoch sein Metier.
Bereits während seiner für damalige Verhältnisse äußerst guten, wissenschaftlich fundierten Ausbildung hatte sich Heinrich Emanuel Merck intensiver mit Alkaloiden als Klasse hochwirksamer Pflanzeninhaltsstoffe beschäftigt. Er forcierte diese Thematik in seinem Labor und es gelang ihm die Isolierung und Reindarstellung von zahlreichen Alkaloiden, denen die Wissenschaft schon damals wegen ihrer medizinischen Wirkung besondere Aufmerksamkeit widmete. Coffein, Kokain, Morphin und Nicotin sowie Chinin, Emetin, Codein, Elaterin, Salicin, Santonin, Solanin und Veratrin, Strychnin und Narcotin gehörten unter anderem dazu.
Heinrich Emanuel Merck erkannte das Potenzial dieser Wirkstoffklasse und stellte 1827 mit dem „Pharmaceutisch-chemischen Novitäten-Cabinet“ eine Sammlung von 16 hochreinen Alkaloiden und Alkaloidsalzen zusammen, die er seinen Apothekerkollegen, aber auch Chemikern und Ärzten anbot (Herstellung „im Großen“ 1827). Insbesondere die reine, gut zu dosierende, besser kalkulierbare Opium-Alkaloid-Herstellung trug ihm hohe Anerkennung der Fachwelt ein. Aus dieser über den Bedarf der eigenen Apotheke hinausgehenden Produktion entwickelte sich letztlich die pharmazeutisch-chemische Fabrik Merck. Doch bis dahin vergingen noch ein paar Jahre.
Die Fabrikation in größeren Mengen ist mindestens seit 1831 nachzuweisen. 1836 verlegte Merck die Apotheke vom Schlossgraben in ein geräumigeres Haus an der Ecke Rheinstraße/Luisenplatz. Die Produktion umfasste bis 1840 etwa 50 verschiedene Artikel. Da Produkte mit der Aufschrift „Chemisches Laboratorium von E. Merck in Darmstadt“ zu Recht ausgezeichneten Ruf genossen, kam Merck mit der Produktion der Nachfrage kaum hinterher. Ein Teil der Produktion wurde an den Stadtrand verlegt, wo eine Ölmühle als Hilfsbetrieb zum Zerkleinern von Samen, Rinden und Wurzeln diente.
Die Geschäftssituation verbesserte sich immer mehr: Zunehmende Arbeitsteilung, technische Innovationen, Nutzung von speziellen Verfahrenstechniken, Maschineneinsatz (Dampfmaschine 1943) folgten. Merck schuf neue Produkte, entwickelte effiziente Produktionsmethoden, erschloss neue und auch internationale Absatzmärkte. Um den Fortbestand seines Unternehmens zu sichern, gründete er zusammen mit seinen Söhnen 1850 die Geschäftssozietät E. Merck.
Als Emanuel Merck am 14. Februar 1855 in Darmstadt starb, arbeiteten in Mercks pharmazeutisch-chemischer Manufaktur etwa 23 bis 50 Arbeiter. Seine drei Söhne industrialisierten ihr Erbe weiter. Und so ist aus der einstigen Engel-Apotheke in den vergangenen dreieinhalb Jahrhunderten ein international agierendes Wissen- schafts- und Technologieunternehmen hervorgegangen: Die im DAX, dem größten deutschen Aktienbarometer, notierende Merck KGaA befindet sich noch immer zu 70 Prozent im Besitz der Familie Merck und die Engel-Apotheke noch immer am Luisenplatz.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/19 ab Seite 98.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin