Welche Farbe hat champagnercreme?
DIE FARBEN DER GESCHLECHTER
Seite 1/1 3 Minuten
Kennen Sie das auch? Neulich stehe ich mit einer meiner Töchter in einer Boutique und begutachte den Rock, den sie sich kaufen möchte. „Paßt gut zu Deiner grünen Jacke!”, sage ich naiv. „Das ist mint!”, kommt umgehend der verständnisvoll mütterlich tadelnde Hinweis der Verkäuferin. ‚Ist mintgrün nicht nur eine besondere Sorte von grün?‘, denke ich mir, sage aber einfach: „Oh, ’tschuldigung!“, um mir weitere Diskussionen zu ersparen.
Dass Frauen Farben besser wahrnehmen können als Männer und dabei auch viel mehr Farben zu unterscheiden wissen, ist ein altes Klischee. Aber liegt das daran, dass Frauen das Thema wichtiger ist oder steckt da vielleicht doch mehr dahinter? Werfen wir dazu einen genaueren Blick auf unser visuelles System, genauer gesagt den farbkodierenden Teil davon.
Wie in jedem Physiologielehrbuch nachzulesen ist, benutzen Primaten zum Farbsehen spezialisierte Zellen in der Retina, die Zapfen, von denen es drei Typen mit unterschiedlichen Sehfarbstoffen gibt. Diese Sehpigmente bestehen dabei allesamt aus dem Chromophor Retinal, welches auf Licht reagiert, sowie einen Proteinanteil, den man als Opsin bezeichnet und der für die unterschiedlichen spektralen Empfindlichkeiten verantwortlich ist: Verschiedenfarbiges Licht erregt die verschiedenen Zapfen unterschiedlich stark.
Freilich kann der Mensch (selbst Männer!) aber weit mehr als drei Farben unterscheiden. Das liegt an der Verarbeitung der Erregungsmuster der drei Zapfentypen im visuellen System des Gehirns, wobei jede Farbe ein für sie typisches Muster aus Erregung und Kontrasten zwischen den einzelnen Farbkanälen induziert. Nun befinden sich die Gene für die Rot- und Grün-Opsine auf dem X-Chromosom. Da Frauen im Gegensatz zu Männern zwei X-Chromosomen haben, ist bei ihnen die Wahrscheinlichkeit höher, dass Mutationen in diesen Genen neue Opsine mit anderen spektralen Empfindlichkeiten hervorbringen.
Tatsächlich gibt es Frauen, die anstatt über drei über vier Farbopsine verfügen. Untersuchungen zeigen, dass diese mehr Farben unterscheiden können als trichromate Frauen oder Männer. Ob solche Frauen aber auch echte Tetrachromaten sind, ihre visuellen Systeme sich also in Anpassung an vier Zapfentypen auch stärker differenziert haben, ist noch unklar.
Natürlich müssen wir bei aller genetischen Unterschiedlichkeit zwischen Männern und Frauen aber auch festhalten, dass Letztere sich meist mehr für Farbvarianten interessieren als Männer – ob nun aus modischem Interesse oder ihrer evolutiven Vergangenheit als Sammler sei mal dahingestellt.
Und das dieser Motivationslage folgende Training verbessert natürlich auch die Farbwahrnehmung gegenüber einem ungeübten Gehirn – so wie in jedem anderen Sinnessystem auch. Der Farbunterscheidungsvorteil der meisten Frauen dürfte also schlicht erlernt sein. Ich wurde in obiger Szene übrigens noch darauf hingewiesen, dass es sich bei der „Jacke” eigentlich um einen Blazer handelte – aber das kennen Sie ja vielleicht auch …
ZUR PERSON
Prof. Dr. Holger Schulze
Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg
sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg.
Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 01/13 auf Seite 12.
Die beliebten Kolumnen von Prof. Dr. Schulze finden Sie
inzwischen auch gesammelt in einem Buch!
Streifzüge durch unser Gehirn
34 Alltagssituationen und ihre neurobiologischen Grundlagen.
Weitere Informationen und Bestellmöglichkeit...
Holger Schulze