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Melatonin

DER STOFF, AUS DEM DIE TRÄUME SIND

Erholsamer Schlaf ist für uns lebenswichtig. Doch ohne das Hormon Melatonin, das unseren Tag-/Nachtrhythmus regelt, wäre daran gar nicht zu denken.

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Melatonin wird an drei Stellen im Körper gebildet: im Darm, in der Netzhaut und im Gehirn, genauer in der Zirbeldrüse als Stoffwechselprodukt des Serotonins, eines Neurotransmitters, der ebenfalls unseren Tag-/Nacht-Rhythmus beeinflusst. Vereinfacht gesagt: Serotonin hält uns wach, Melatonin lässt uns schlafen. Letzteres wird daher auch hauptsächlich in der Dunkelheit produziert, bis zu zehn Mal mehr als am Tag.

Damit wir durchschlafen können, ist eine so hohe Konzentration im Blut notwendig. Bereits nach einer Stunde ist die Hälfte des Hormons im Blut jedoch wieder abgebaut. Daher muss es während der Schlafphase in kurzen Abständen immer wieder ausgeschüttet werden, sodass stets genug davon zur Verfügung steht. Im Alter produziert der Organismus weniger Melatonin, was ein Grund für das geringere Schlafbedürfnis älterer Menschen sein könnte, aber auch für die dann häufig auftretenden Ein- und Durchschlafprobleme.

Auf die innere Uhr hören Melatonin beeinflusst unsere Stimmung, lässt uns ruhiger werden, mindert den Muskeltonus und senkt Blutdruck und Körpertemperatur. Doch das Hormon muss in der Balance sein, denn ein Über- oder Unterangebot kann Funktionsstörungen nach sich ziehen. Diese erreicht man nur durch einen guten Tag-/Nachtrhythmus. Wer ständig Nächte durchmacht, schafft sich ebenso ein hormonelles Ungleichgewicht wie der, der tagsüber lange und ausdauernd schläft. Daher muss man lernen, auf die vorgegebene „innere Uhr” zu hören, die bei jedem Menschen etwas anders tickt.

Chronobiologie heißt die Wissenschaft, die sich mit diesem individuellen Tag-/Nachtrhythmus beschäftigt. Für den, der in dieser Beziehung empfindlich ist, können Flugreisen durch Zeitzonen , ja sogar die Zeitumstellung im Frühjahr und Herbst zu ernsthaften Problemen werden. Eine dauerhafte Imbalance erhöht das Risiko für Magen-Darm-Probleme und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, aber auch für Krebs, wie Studien zeigen. So haben Pilotinnen und Flugbegleiterinnen ein um 70 Prozent erhöhtes Brustkrebsrisiko, ihre Kollegen ein 40 Prozent höheres Risiko für Prostatakrebs. Für andere Schichtarbeiter gelten ähnliche Zahlen.

Im Umkehrschluss glauben Forscher, dass Melatonin aktiv gegen Krebs schützt, indem es freie Radikale fängt. Diese Beobachtung ist aber noch nicht wissenschaftlich bewiesen. Halten die für einen gestörten Melatoninspiegel typische Symptome über einen längeren Zeitraum an, sollte der Arzt die Hormonkonzentration über ein Blutbild abklären. Anzeichen für einen zu niedrigen Spiegel können Migräne, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen oder Angstzustände sein, während niedriger Blutdruck, Frieren, Antriebslosigkeit oder Libidoverlust auf einen zu hohen Wert hindeuten.

Selbstmedikation birgt Risiken Melatonin gilt in Deutschland als Arzneimittel (Circadin®) und ist verschreibungspflichtig. Zugelassen ist es nur für die kurzzeitige Behandlung von primären Schlafstörungen bei Patienten über 55 Jahren, nicht aber zur Behandlung von sekundären Schlafstörungen wie Schichtarbeit oder Jetlag. In den USA sind diese Präparate als Nahrungsergänzungsmittel eingestuft und somit frei verkäuflich.

Ohne ärztliche Kontrolle kann man Melatonin jedoch leicht überdosieren. Außerdem können andere eingenommene Hypnotika oder Beruhigungsmittel die Wirkung verstärken. Für Schwangere oder Stillende gibt es keine ausreichende Datenlage, daher wird es bei ihnen generell nicht empfohlen. Melatoninhaltige Produkte sollten nicht gleichzeitig mit Blutgerinnungshemmern eingenommen werden. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass sie für Menschen mit Parkinson und Epilepsie ebenfalls gefährlich sind.

Seit 2011 gibt es Kosmetikprodukte, die Melatonin enthalten, was nach der Kosmetikverordnung nicht verboten ist. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin äußerte jedoch „erhebliche Bedenken”, dass das Melatonin auch über die Haut ins Blut gelangen könnte.

Was tun bei Überschuss? Klassisch ist die Herbst-Winter-Depression, die sich bei vielen bis weit in das Frühjahr hinein ziehen kann. Sie wird ausgelöst durch den Lichtmangel in der dunklen Jahreszeit. Durch die langen Nächte und kurzen Tage wird der Körper mit Melatonin überschwemmt. Allerdings hilft bereits ein Spaziergang von 20 Minuten, selbst bei bedecktem Himmel, um die Produktion zu bremsen. Alternativ bieten Ärzte auch Lichttherapien an, oder man kann sich selbst ein solches Gerät kaufen. Es sollte mindestens 2500 Lux haben. Ausreichend ist es, die Lampe eine Viertelstunde im Abstand von etwa 30 Zentimetern vor sich zu platzieren und immer mal wieder Richtung Lichtquelle zu schauen.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/12 ab Seite 48.

Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist

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