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Kolumne | Holger Schulze

DENKEN STATT TIPPEN?

Facebook hat im vergangenen April angekündigt, eine Technik entwickeln zu wollen, mit der man nur mittels Gedanken Wörter tippen könnte. Ist das ernst zu nehmen?

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»Facebook will Gedanken lesen!«

Kennen Sie das auch? Pressemeldungen, bei denen man sich fragt: Meinen die das ernst? Mir ist es unlängst bei einer Meldung über Pläne von Facebook so ergangen, nach der der Konzern angekündigt hat, ein System entwickeln zu wollen, „das es Menschen ermöglichen soll, mit ihren Gedanken Wörter zu tippen“. Dabei schwebt den Entwicklern bei Facebook vor, man solle lediglich kraft seiner Gedanken 100 Wörter pro Minute tippen können. Hierzu wäre es dann notwendig, mit technischen Hilfsmitteln Hirnströme zu messen, um die Gedanken auch auslesen zu können. Die hierzu notwendigen Sensoren existieren freilich noch nicht und sollen von Facebook gleich mitentwickelt werden. Handelt es sich hierbei um ein realistisches Vorhaben?

Aus Sicht eines Neurobiologen ist große Skepsis angebracht, dass es in näherer Zukunft tatsächlich möglich sein könnte, ein entsprechendes System zur Verfügung zu stellen, also letztlich Gedanken zu lesen. Über einige grundsätzliche Probleme, die bei einem solchen Vorhaben zu überwinden wären, hatte ich bereits berichtet (vgl. PTA 8/2008). Hierzu gehört zuallererst die große Individualität der Gehirne: Keines ist wie das andere, daher sind auch die Muster über die Neurone verteilter elektrischer Aktivität bei jedem anders, auch dann, wenn er oder sie an dasselbe Wort denkt. Zu- KOLUMNE HOLGER SCHULZE Facebook hat im vergangenen April angekündigt, eine Technik entwickeln zu wollen, mit der man nur mittels Gedanken Wörter tippen könnte.

Ist das ernst zu nehmen? »Facebook will Gedanken lesen!« nächst also müsste jeder Einzelne an verschiedene Worte denken, um sein System zu trainieren. Die dabei auftretenden Aktivierungsmuster müssten gespeichert und beim nächsten Mal, wenn erneut an das Wort gedacht wird, wiedererkannt werden. Leider aber sind diese Muster von Mal zu Mal sehr unterschiedlich und von Rauschen überlagert, können also gar nicht so ohne weiteres wiedererkannt werden. An der Lösung dieses Problems, der Entwicklung sogenannter Hirn-Computer-Schnittstellen (engl. Brain computer interface, BCI), arbeiten zahlreiche Forschergruppen weltweit, darunter auch wir selbst. Und selbst wenn es bereits in Ansätzen gelingt, Aktivierungsmuster im Gehirn voneinander zu unterscheiden, so sind wir doch weit davon entfernt, einen Wortschatz von etwa 2000 Vokabeln erkennen zu können, was wohl das Mindeste wäre, um ein solches Gerät sinnvoll einsetzen zu können.

Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, ob wir es überhaupt wollten, dass Facebook unsere Gedanken lesen könnte. Der Konzern wiegelt hier ab, indem er behauptet, nicht „zufällige Gedanken, sondern nur […] jene ausgewählten, die bereits an das Sprachzentrum weitergeleitet wurden“ auslesen zu wollen, sodass man also wie beim Sprechen nur das preisgeben würde, was man auch preisgeben wolle. Haben Sie schon mal etwas gedacht, ohne innerlich Worte zu benutzen? Richtig, das geht kaum, und daher sind beim Denken auch nahezu immer die Sprachzentren beteiligt. Diese Darstellung Facebooks offenbart also entweder ausgesprochen rudimentäre Kenntnisse über die Funktionsweise des Gehirns oder aber das gezielte Platzieren von „fake news“ zur Erzeugung von öffentlicher Aufmerksamkeit. Ich vermute Letzteres, und Sie?

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 06/17 auf Seite 12.

Zur Person
Prof. Dr. Schulze Hirnforscher Holger.Schulze@uk-erlangen.de Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaft- liches MItglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens. www.schulze-holger.de

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