Seuchen der Welt
DAS 'GEFLECKTE' UNGEHEUER
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Dabei gab es die Pocken, auch „Blattern“ oder lateinisch „Variola“ genannt, schon in der Antike. Mehrere Stellen im Alten Testament, so auch die sechste ägyptische Plage, deuten laut Medizinhistorikern auf Pockenepidemien hin. Das mumifizierte Gesicht von Pharao Ramses V., circa 1150 v. Chr., weist eine Pockenerkrankung auf. Auch ein chinesisches Manuskript aus dem Jahr 1112 v. Chr. erwähnt eine gefürchtete Krankheit, deren Beschreibung genau auf die Pocken zutrifft. Ebenso kannten die alten Römer die Pocken gut – und verbreiteten sie im gesamten Römischen Reich.
570 n. Chr. verwendete Bischof Marius von Avenches den Begriff „Variola“ für eine Epidemie, die in Italien und Frankreich wütete. Der persische Arzt Ar-Razi (circa 865 bis 925) beschrieb die Pocken erstmals ausführlich. Die Kreuzritter des 11. bis 13. Jahrhunderts trugen zur Verbreitung wesentlich bei. Im 16. Jahrhundert wurde die Krankheit in Europa als „geflecktes Ungeheuer“ gefürchtet, das Prinzen und Bauern gleichermaßen befiel und für etwa 10 bis 15 Prozent aller Todesfälle verantwortlich war.
Doch was war so furchtbar an der Erkrankung? Die weit verbreitete Kinderkrankheit, die zunächst anscheinend weniger bedrohlich als Masern war, wurde im Verlauf der Jahrhunderte wohl im Erscheinungsbild immer bösartiger. Im 16. Jahrhundert waren mindestens 80 Prozent der Infizierten jünger als zehn Jahre und für gut ein Drittel endete die Infektion tödlich. Die Überlebenden waren durch Narben verunstaltet, manche waren blind, gelähmt, gehörlos oder sie erlitten Hirnschäden.
Hauptopfer: die Indianer Am schrecklichsten grassierten die Pocken in der Neuen Welt. Aus Europa und Afrika eingetragen, also kurz nach Kolumbus Ankunft 1492, verbreiteten sich die Pocken in Amerika rasend schnell. Mit hoher Wahrscheinlichkeit trug die Erkrankung zum Zusammenbruch des Aztekenreiches in Mexiko und des Inkareiches in Peru bei. Verheerende Epidemien forderten Millionen von Toten unter den nordamerikanischen Ureinwohnern. Die europäischen Eroberer hingegen waren aufgrund früherer Erkrankungen gegen die Pocken größtenteils immun.
Vermutlich Seefahrer aus Makassar in Indonesien trugen die Pockenerkrankung nach Australien. Dokomentiert ist, dass dort bei einer Epidemie 1789 schätzungsweise die Hälfte der Darug- und Eora-Aborigines im Gebiet rund um das heutige Sydney ums Leben kam.
Im 18. Jahrhundert wüteten die Pocken so schlimm, wie man es früher nur von Pestepidemien kannte. Jedes Jahr starben allein in Europa rund 400 000 Menschen daran. Bekannte Persönlichkeiten wie Wolfgang Amadeus Mozart (1756 bis 1791, erkrankt 1768), Joseph Haydn (1732 bis 1809, erkrankt als Kind), Ludwig van Beethoven (1770 bis 1827, erkrankt als Kind) oder Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832, erkrankt 1758) durchlitten, aber überlebten die Pocken. Ludwig XV. von Frankreich (1710 bis 1774), Zar Peter II. (1715 bis 1730), aber auch mehrere Töchter der österreichischen Kaiserin Maria Theresia (1717 bis 1780), die selbst mit 50 Jahren erkrankte, rafften die Pocken hingegen dahin.
Auslöser und Symptome Dass die Pocken eine von Viren aus der Orthopoxgruppe aus-gelöste, gefährliche Infektionskrankheit war, die hochansteckend durch Niesen, Husten oder Staub übertragen wurde, wusste damals noch keiner. Schweres Krankheitsgefühl, Fieber und typische Hauterscheinungen mit Flecken, Papeln, Eiterbläschen und deren anschließender Verkrustung traten nach einer Inkubationszeit von ein bis zwei Wochen auf.
Überblick
In unserer Serie „Seuchen der Welt“ stellen wir Ihnen in den nächsten Ausgaben folgende Themen vor:
+ Masern
+ Polio
+ Grippe
+ AIDS
+ SARS
Ein Heilmittel gibt es bis heute nicht, wohl aber die Möglichkeit der vorbeugenden Impfung. Viel brachte die Beobachtung des Phänomens der „erworbenen Immunität“. Personen, die bereits eine Erkrankung durchgemacht hatten und überlebten, aber auch Personen, denen durch eine Art „Impfung“, genannt „Variolation“ zerriebener Wundschorf eines Erkrankten in die Haut eingeritzt wurde, waren immunisiert, erkrankten also nicht noch einmal.
Die vorbeugende Ansteckung mit geringen Variolavirenmengen hatten schon die alten Chinesen angewandt, war in Indien verbreitet (als „Pocken-Partys“) und wurde durch Lady Mary Wortley Montagu (1689 bis 1762), Gattin des britischen Botschafters in Konstantinopel, nach Europa eingeführt.
Weltweite Ausrottung Der englische Landarzt Edward Jenner (1749 bis 1823) läutete dann den Siegeszug des Impfens ein, als er 1796 Kinder mit Kuhpocken gegen die tödlichen Pocken immunisierte. Dieses Verfahren der Lebendimpfung mit harmloseren Kuhpocken (Vaccinia-Viren), die beim Menschen nur eine leichtere Erkrankung auslösten, wurde Grundlage für die heute erreichte weltweite Ausrottung der Pocken.
1807 wurde in Bayern als weltweit erstem Gebiet die Impfpflicht eingeführt und da die Pockenimpfung am Menschen seit Beginn des 19. Jahrhunderts in großen Teilen der Welt konsequent angewandt wurde, konnte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 1979 die Ausrottung der Pocken bekanntgeben. Die WHO-Impfpflicht endete 1976 für Westdeutschland. 1980 wurden die Pocken von der Liste der Weltkrankheiten gestrichen. Zu hoffen bleibt, dass die Pockenviren ein für allemal ausgerottet bleiben und weder auf natürliche Weise noch als terroristische Biowaffenmethode jemals wieder in Erscheinung treten.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 07/13 ab Seite 68.
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin / Journalistin