Wissenschaft | Medien
SIND VIROLOGEN DIE NEUEN SUPERHELDEN?
Seite 1/1 3 Minuten
Wahrscheinlich gibt es demnächst irgendwann eine Fernsehserie mit einem Virologen als Helden. Ein schlaksiger Doktor, die Haare ein wenig struppig, das Gesicht übernächtigt, die Kleidung zerknittert. Wenn er von Reportern interviewt wird, wirkt er einen Tick ungeduldig, so als müsste er eigentlich schon wieder bei der Arbeit sein. Jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen wäre rein zufällig.
Christian Drosten ist der Aufsteiger des Jahres, und in seinem Gefolge viele andere Virologen. Hendrik Streeck, Jonas Schmidt-Chanasit, Melanie Brinkmann zum Beispiel. Ihre Prominenz kommt so unvorhergesehen wie die ganze Pandemie. In der Corona-Krise sind sie die Superhelden, die das Monster niederringen müssen: In dem Video der Berliner Punkband ZSK zu ihrem Song „Ich habe Besseres zu tun“ tötet Christian Drosten Corona-Erreger nur mit seinen Blicken.
Virologen als Herrscher?
Zuweilen wird gar von einer Herrschaft der Virologen gesprochen - schließlich behaupten Politiker mitunter, sie würden nur ausführen, was die Experten ihnen vorgäben. Der Soziologe Armin Nassehi von der Universität München - der selbst immer wieder von Bundespolitikern um Rat gefragt wird - glaubt das allerdings nicht: „Es gibt keine Herrschaft von Wissenschaftlern. Wissenschaftler stellen Forschungsergebnisse zur Verfügung, aber die Politik muss das in Entscheidungen umsetzen.“Das geschehe nie eins zu eins: „Schon die einzelnen Virologen ziehen ja oft sehr unterschiedliche Schlüsse. Und dann werden ja nicht nur sie gefragt, sondern auch Psychologen, Pädagogen, Juristen, Sozialwissenschaftler...“
Wissenschaftler stellen Forschungsergebnisse zur Verfügung, aber die Politik muss das in Entscheidungen umsetzen.
Die Präsidentin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Katja Becker, wünscht sich , dass zumindest die Virologen öfter mit einer Stimme sprächen. „Wenn Sie zehn Virologen eine Frage stellen, erhalten Sie unter Umständen mehrere verschiedene Antworten.“ Das sei einerseits zwar verständlich, denn jeder habe seinen eigenen Erfahrungshorizont. Zielführender wäre aber gerade in der aktuellen Pandemiesituation, wenn die Wissenschaftler zunächst untereinander diskutieren und sich dann möglichst auf eine gemeinsame Linie einigen würden.
Herr Drosten, der gute Nachbar
Christian Drosten hält schon seit Anfang des Jahres die Pole-Position unter den Pandemie-Erklärern. Sein „Coronavirus-Update“ hatte allein bis zur Sommerpause mehr als 60 Millionen Abrufe und wurde mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Daraus dürfe man allerdings nicht schlussfolgern, dass Millionen Drosten-Hörer den Ehrgeiz hätten, das Corona-Thema wirklich zu durchdringen, schränkt der Medienpsychologe Frank Schwab von der Universität Würzburg ein.
„Aus der Nachrichtenforschung wissen wir, dass die Leute die Tagesschau nicht unbedingt einschalten, um sich zu informieren. Die meisten können kurz nach dem Ende der Sendung weniger als 20 Prozent der Meldungen wiedergeben.“ Das Nachrichtenschauen habe eher die Funktion eines Screenings: Ist noch alles in Ordnung? Viele Menschen mögen es auch, den Abend mit Marietta Slomka oder Ingo Zamperoni abzuschließen - sie sind für sie wie gute Nachbarn, die man zu kennen glaubt. Die Medienforschung bezeichnet das als „parasoziale Beziehung“. „Und das ist bei Herrn Drosten vermutlich ähnlich“, sagt Schwab.
Wissenschaft widerspricht sich, aber...
Kann man aber zumindest davon ausgehen, dass die Wissenschaft im Corona-Jahr 2020 einen Ansehenszuwachs verbucht hat? „Auf der einen Seite gibt es schon eine große Achtung vor der unfassbaren Leistung, in so kurzer Zeit Impfstoffe zu entwickeln“, bestätigt der Soziologe Nassehi. „Auf der anderen Seite erleben wir aber auch Wut und Unverständnis, etwa darüber, dass sich die Wissenschaft permanent selbst korrigiert.“
Das gehört zur Arbeitsweise von Wissenschaft: permanente Selbstkorrektur und Weiterentwicklung.
Manche Virologen, die heute die Maskenpflicht verteidigen, äußerten sich vor einem halben Jahr noch skeptisch dazu. „Was aber eben daran liegt, dass sie heute mehr wissen als damals. Aber für die Öffentlichkeit ist das unheimlich schwer. Das Publikum denkt: „Was sollen wir damit anfangen? Einmal sagen sie dies, einmal jenes.““ So kommen in diesem Jahr Hochachtung und Enttäuschung zusammen. Aber das sei unvermeidbar, meint Nassehi, „denn das gehört zur Arbeitsweise von Wissenschaft: permanente Selbstkorrektur und Weiterentwicklung.“
Wollen kleine Kinder jetzt Virologen werden?
DFG-Präsidentin Becker kann sich das durchaus vorstellen. „Das wäre ein schöner Effekt. Ich glaube, dass gerade von der biomedizinischen Forschung eine enorme Faszination ausgeht.“
Ranga Yogeshwar schränkt allerdings ein, dass es immer wieder Phasen gegeben habe, in denen die Wissenschaft besonders gefragt gewesen.Yogeshwar rechnet damit, dass die Menschen die Pandemie möglichst schnell verdrängen werden, wenn sie erst einmal überstanden ist. „Dann wird man bestimmte Namen und Gesichter mit dieser schlimmen Zeit assoziieren, und schlechte Zeiten will man vergessen.“ Der Medienprofi Yogeshwar hat Christian Drosten deshalb schon im Frühjahr vorgewarnt. „Ich habe zu Christian gesagt: Jetzt wirst du gefeiert, am Ende wirst du verbrannt.“ Dieser habe ihn daraufhin ein bisschen verdutzt angesehen. „Aber ich glaube, inzwischen weiß er genau, was ich gemeint habe.“
Quelle: dpa