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Psychologie in der Apotheke

BLICK IN DEN KOPF

Depressionen, Schmerzen oder Demenz sind nur wenige Beispiele für Störungen, die ihren Ursprung in den Regelzentren des Gehirns haben. Um das Hintergrundwissen zu erweitern, lohnt sich der theoretische Blick ins Gehirn.

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Das Gehirn (Cerebrum) ist ein aktives Organ – es nimmt vom ersten bis zum letzten Atemzug, und genau genommen auch schon davor, Eindrücke auf, registriert zahlreiche Details und behält dennoch den Überblick. Es vermittelt den Kontakt zu unserer Umwelt und ermöglicht Vorgänge wie das Denken, Handeln, Wahrnehmen sowie das Empfinden von Emotionen. Es besteht aus Nerven- und Gliazellen, Ansammlungen von Nervenzellkörpern (Kerne) sowie dem Liquor cerebrospinalis.

Außen liegen die Hirnhäute sowie der knöcherne Schädel, der das Gehirn schützt. Sein Gewicht beträgt beim erwachsenen Menschen durchschnittlich 1315 Gramm, vier große Schlagadern gewährleisten die Blutversorgung. Die Blut-Hirn-Schranke dient als physiologische Barriere und verhindert, dass schädliche Substanzen in das Organ gelangen. Zwölf Hirnnerven versorgen die Regionen vom Kopf bis zum Hals und regulieren in diesen Körperabschnitten die dort befindlichen Sinne und Reaktionen.

Anatomie des Cerebrums Nach morphologischen und funktionellen Aspekten teilt man das Gehirn in verschiedene Bereiche: die Medulla oblongata (verlängertes Mark), der Pons (Brücke), das Mesenzephalon (Mittelhirn), das Dienzephalon (Zwischenhirn), das Cerebellum (Kleinhirn) sowie das Telenzephalon (Großhirn) ein. In der Medulla oblongata werden wichtige Reflexe wie Schlucken, Husten oder Erbrechen, die Atmung, der Kreislauf und der Schlaf-Wach-Rhythmus gesteuert. Der Pons ist eine Fortsetzung der Medulla oblongata und mit dem Kleinhirn verbunden – die Brücke dient als Ursprung von vier Hirnnerven und fungiert als Umschaltstelle zwischen Kleinhirn und Motorkortex.

Dort sind zahlreiche Kerne beheimatet, die an der Steuerung der Motorik beteiligt sind. Das Mittelhirn umfasst zum einen die Schaltstellen der Schmerzwahrnehmung, zum anderen die des akustischen und optischen Systems. Zudem spielt es bei der Willkürmotorik eine entscheidende Rolle. Das Dienzephalon enthält den Hypothalamus, die Hypophyse, den Epithalamus, die Epiphyse (Zirbeldrüse), den Thalamus, den Metathalamus sowie den Subthalamus. Der Hypothalamus ist für die vegetativen Funktionen wie Atmung oder Kreislauf verantwortlich und steuert die Hormonausschüttung. Die Hypophyse wird vom Hypothalamus über sogenannte Releasing- oder Inhibiting-Faktoren zur Freisetzung von Hormonen angeleitet. Der Thalamus, das Tor zum Bewusstsein, filtert Informationen aus den Sinnesorganen, steht mit der Großhirnrinde (Kortex) in Verbindung und beeinflusst die Schmerzwahrnehmung sowie die motorische Koordination.

Die Epiphyse stellt das Melatonin, ein Hormon zur Schlafregulierung, her. Das Cerebellum ist in zwei Hemisphären aufgeteilt und für die Feinabstimmung der Motorik zuständig. Zusätzlich ist es an Lernvorgängen sowie an der Steuerung vegetativer Reaktionen beteiligt. Charakteristisch für das Telenzephalon sind seine zahlreichen Windungen (Gyri) und Furchen (Sulci) sowie die Vertiefung, die es in zwei Hemisphären einteilt. Außen liegt die Großhirnrinde (Kortex), innen befindet sich das Großhirnmark, welches die Bewegungen koordiniert.

Im Kortex ist auch das limbische System mit seinem Hippocampus, dem Gyrus cinguli und der Amygdala lokalisiert. Der Hippocampus ist für Lern- und Gedächtnisprozesse wichtig und an der Entstehung von Aggression und Motivation beteiligt. Der Gyrus cinguli übernimmt vegetative, psychomotorische und emotionale Funktionen, während die Amygdala das Angsterleben sowie die Speicherung von Emotionen steuert. In der obersten Struktur des Kortex, dem Neokortex, vollziehen sich anspruchsvolle geistige Leistungen wie die Wahrnehmung oder die Regulation von motorisch-​handelnden Funktionen.

Kommunikation im Cerebrum Die Neuronen sind die kleinsten Einheiten des Gehirns, sie setzen sich aus einem Zellkörper (Soma), den stark verzweigten, reizaufnehmenden Dendriten und den reizweiterleitenden Axonen zusammen. Zwei Nervenzellen sind durch eine Synapse miteinander verbunden, sie tauschen über den synaptischen Spalt ihre Informationen aus. Zahlreiche Gliazellen umgeben die Nervenzellen, sie übernehmen Hilfsfunktionen wie Stützaufgaben oder sind für die Versorgung des Gehirns zuständig.

Beim Vergessen werden weniger bedeutende Inhalte durch neue, interessantere Dinge überlagert, so lautet eine Hypothese.

Speicherfähigkeit des Gehirns Mit Hilfe des Gedächtnisses lassen sich früher aufgenommene oder gelernte Inhalte abrufen. Kognitive Psychologen betrachten das Gedächtnis als eine Informationsverarbeitungsstelle: Gedächtnisinhalte, die einer bewussten Anstrengung bedürfen, bezeichnet man als explizit, während es sich bei unbewussten Inhalten um das implizite Gedächtnis handelt. Eine weitere Unterscheidung besteht im deklarativen und prozeduralen Gedächtnis, wobei ersteres Fakten beinhaltet. Das prozedurale Gedächtnis hingegen umfasst die Ausführung von Handlungen wie beispielsweise Bewegungsabläufe beim Gehen oder Radfahren.

Darüber hinaus unterscheidet man verschiedene Gedächtnissysteme: Das sensorische Gedächtnis speichert die Reize für einen Bruchteil von Sekunden, dabei gelangen wichtige Informationen in das Kurzzeitgedächtnis. Auch darin bleiben die Inhalte für einige Sekunden erhalten – es ist beispielsweise ausreichend Zeit vorhanden, um einen Satz zu verstehen, ohne den Anfang sofort wieder zu vergessen. Das Langzeitgedächtnis speichert wichtige Informationen im Unbewussten oder Bewusstsein und liefert diese auf Abruf. Beim Vorgang des Vergessens vermutet man, dass bestimmte Inhalte durch neue, interessantere Dinge überlagert oder gestört werden, sodass man zu alten Informationen nur schwer den Zugang findet.

Optische Darstellung Mit Hilfe von bildgebenden Verfahren wie etwa einer Magnetoenzephalografie (MEG) ist es Hirnforschern möglich, die Aktivität der Nervenzellen im Gehirn darzustellen und zu erkennen, welche Bereiche bei welchen Aufgaben arbeiten. Auf diese Weise lässt sich ermitteln, ob eine Versuchsperson Emotionen entwickelt, viel nachdenken muss oder sich Bilder vorstellt. Die Forschung mit der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) erbrachte Details darüber, wie die Gedächtnisfunktionen im Gehirn verteilt sind. Durch diese Studien konnten beispielsweise Hirnareale identifiziert werden, die bei der Speicherung von Gedächtnisinhalten aktiv sind.

Aktuelles aus der HirnforschungEines der aktuellsten Ergebnisse aus der Hirnforschung deutet darauf hin, dass das Immunsystem für den Erhalt kognitiver Funktionen beim Altern eine Rolle spielen könnte. Amerikanische Wissenschaftler fanden im Gehirn älterer Mäuse Zellen des angeborenen Immunsystems, sogenannte Lymphoidzellen (ILC2), die sich normalerweise im Ruhezustand befinden. Diese lassen sich durch einen natürlichen Botenstoff aktivieren und verbessern das Gedächtnis sowie die Lernfähigkeit der Tiere.

Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 07/2020 ab Seite 82.

Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin

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