Lakritz
BITTE MIT VORSICHT GENIESSEN
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Das Wort Lakritz stammt aus dem Mittelhochdeutschen und hat einen Bezug zu dem botanischen Namen des Süßholzstrauches, Glycyrrhiza glabra. Der Schmetterlingsblütler ist von Südeuropa bis Mittelasien heimisch und wird in Spanien, Südfrankreich und Italien kultiviert. In der Süßholzwurzel Liquiritiae radix Ph.Eur. 4 findet sich Glycyrrhizinsäure , auch einfach als Glycyrrhizin bezeichnet, das chemisch gesehen ein Saponin ist. Der natürliche Süßstoff, 150-mal süßer als Saccharose, wird aus den ungeschälten oder geschälten, getrockneten Wurzeln und ihren Ausläufern gewonnen. Für die Lebensmitteltechnologie ist Glycyrrhizin damit als Geschmackskorrigens interessant. Neben zwei bis 15 Prozent Glycyrrhizinsäure enthält die Wurzel 20 bis 30 Prozent Stärke, ferner Mannitol, Glukose, Saccharose, das Flavonoglykosid Liquiritin, das Cumarinderivat Umbelliferon, L-Asparagin, Harz, Gummi und Bitterstoffe.
Die Inhaltsstoffe agieren auf vielfältige pharmakologische Weise: Sie wirken sekretolytisch-expektorierend, antiphlogistisch und spasmolytisch, antiulzerogen, schleimhaut- protektiv, antiviral und antibakteriell sowie antioxidativ. Entsprechend wird der Fluidextrakt (Extr. Liquiritiae fluidum) oder Saft (Succus Liquiritiae) naturheilkundlich bei Katarrhen der Atemwege und bei Magenbeschwerden angewandt oder als leberwirksamer Tee eingesetzt – allerdings für höchstens vier bis sechs Wochen. Der durch Kochen und Eindampfen gewonnene Süßholz- oder Lakritzsaft weist dann einen Gehalt von ungefähr zwölf bis 30 Prozent Glycyrrhizin auf. Nach weiterem Wasserentzug bilden sich die charakteristischen schwarzen, glänzenden Stangen, die zu Lakritzschnecken gewickelt werden.
Auch unerwünschte Wirkungen möglich Glycyrrhizin wird in nennenswertem Umfang resorbiert, sodass sich der übertriebene Lakritz- Konsum mit dem Ziel einer Ulkusbehandlung durchaus negativ auswirken kann, hier kommt es meist zu einer Gastroenteritis. Viel komplexer ist die Wirkung der Substanz auf das Hormonsystem: Glycyrrhizin beeinflusst den Kortisolspiegel und bewirkt Bluthochdruck oder Wassereinlagerungen. Dadurch, dass das aufgenommene Glykosid von den Darmbakterien gespalten wird, kann das Hydrolysat ein Enzym hemmen, das normalerweise die Umwandlung von Kortisol in Kortison katalysiert. In der Folge bindet Kortisol an den Mineralkortikoidrezeptor und verdrängt Aldosteron. Der Spiegel des Nebennierenrindenhormons sinkt, sodass der Wasserhaushalt nicht mehr reguliert werden kann: Wasser und Natrium werden zurückgehalten, Kalium wird ausgeschieden. Der sorglose Genuss von Lakritz ist also eine Frage der Menge. Doch wieviel darf man überhaupt gefahrlos essen?
Höchstgrenzen innerhalb der EU Der wissenschaftliche Ausschuss „Lebensmittel“ der EU- Kommission kam in einer Stellungnahme von April 2003 zu dem Schluss, dass die Höchstgrenze von 100 Milligramm Glycyrrhizinsäure pro Tag bei regelmäßiger Aufnahme der Mehrheit der Bevölkerung einen ausreichenden Schutz bietet. Über diesem Wert liegende Mengen könnten jedoch zu Bluthochdruck führen. So wird darauf hingewiesen, dass die Höchstgrenze für bestimmt Bevölkerungsgruppen möglicherweise keinen ausreichenden Schutz bietet, beispielsweise für Menschen, die an Erkrankungen in Zusammenhang mit einer gestörten Wasser-Elektrolyt-Homöostase leiden.
Aus diesem Grund sollten Süßwaren und Getränke eindeutig gekennzeichnet werden. Auf dem Etikett sollte angegeben sein, wieviel Glycyrrhizinsäure oder wieviel des Ammoniumsalzes enthalten ist, am besten mit dem allgemein bekannten Begriff „Lakritzextrakt“. Diese Richtlinie (2004/77/EG) wurde im Mai 2005 umgesetzt. Gemäß der Lebensmittel- Kennzeichnungsverordnung (LMKV) müssen nun Süßwaren und Getränke, die mehr als 100 Milligramm pro Kilogramm oder zehn Milligramm pro Liter Glycyrrhizin aufweisen, die Angabe „enthält Süßholz“ aufführen. Ab vier Gramm pro Kilogramm beziehungsweise 50 Milligramm pro Liter ist der Zusatz „Enthält Süßholz – bei hohem Blutdruck sollte ein übermäßiger Verzehr dieses Erzeugnisses vermieden werden“ notwendig.
Vorsicht in der Schwangerschaft Wenn es um Schwangere geht, ist man in Finnland vorsichtig mit Lakritz. So klassifiziert das Nationale Institut für Gesundheit und Wohlfahrt Lakritz als „nicht für Schwangere empfohlen“. Eine aktuelle Untersuchung der Universität Helsinki legt sogar nahe, dass der Verzehr von Lakritz während der Schwangerschaft für die Entwicklung des Kindes schädlich sein könnte. In der Glaku-Studie wurde bei 378 Frauen untersucht, ob ein hoher Glycyrrhizin-Verzehr (≥ 500 mg pro Woche, das entspricht ungefähr 225 g Lakritz) während der Schwangerschaft mit dem späteren Heranreifen in der Pubertät, der neuroendokrinen Funktion, der Kognition oder mit psychiatrischen Problemen bei den Kindern verbunden war.
Die im Jahr 1998 geborenen Kinder wurden von 2009 bis 2011 untersucht, im Durchschnittsalter von 12,5 Jahren. Es zeigte sich, dass Mädchen, deren Mütter während der Schwangerschaft viel Glycyrrhizin zu sich genommen hatten, nicht nur größer und schwerer waren, sondern auch einen höheren BMI-Index für ihr Alter aufwiesen. Die Pubertätsentwicklung war fortgeschritten. Jungen und Mädchen, deren schwangere Mütter viel Lakritz gegessen hatten, erzielten bei Intelligenzquotient- Tests sieben Punkte weniger, hatten ein schlechteres Gedächtnis und ein 3,3-fach höheres Risiko für eine Aufmerksamkeitsdefizit-Störung als die Kinder von Müttern, die während der Schwangerschaft wenig oder kein Glycyrrhizin konsumiert hatten (≤ 249 mg pro Woche). Zwar ist schon länger bekannt, dass Glycyrrhizin hohen Blutdruck verursachen kann. Ein solcher Langzeiteffekt von Lakritz wurde bisher allerdings noch nicht gezeigt.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 05/17 ab Seite 138.
Dr. rer. nat. Christine Reinecke, Diplom-Biologin