Kolumne | Holger Schulze
BAUCHGEFÜHLE
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Kennen Sie das auch? Das sogenannte Bauchgefühl, also eine intuitive Einschätzung einer Situation oder eines Sachverhalts, vielleicht auch eine Entscheidung, die wir nicht rational begründen können, sondern auf Grund von bestimmten Emotionen treffen, einem Bauchgefühl eben? Wenn Sie zu den regelmäßigen Lesern dieser Kolumne gehören, wissen Sie freilich, dass solche Gefühle keineswegs im Bauch entstehen, sondern Ausdruck von neuronaler Aktivität in bestimmten Regionen des Gehirns sind, allen voran des limbischen Systems.
Darmbakterien beeinflussen unser Denken.
Wie wir heute wissen, ist der Bauch dennoch nicht ganz unbeteiligt an dem, was sich im Gehirn abspielt: Tatsächlich existieren Wechselwirkungen zwischen Darmbakterien und unserer Hirnaktivität: Darmbakterien beziehungsweise deren Zusammensetzung kann einen direkten Einfluss auf unser Denken und unsere Psyche haben. Wie aber können Bakterien aus dem Darm heraus mit dem Gehirn kommunizieren? Im menschlichen Darm leben über 1000 verschiedene Mikroorganismen – die sogenannte Darm-Mikrobiota – mit zusammen rund zehnmal so vielen Zellen und 150-mal so vielen Genen, wie sie der menschliche Körper besitzt.
Die Mikrobiota wird daher oft auch als das „vergessene Organ“ bezeichnet. Die Kommunikation zwischen der Mikrobita und dem zentralen Nervensystem (ZNS) läuft über das vegetative und enterische Nervensystem sowie hormonelle Botenstoffe. Sensorische Fasern leiten dabei Informationen über die Vorgänge im Darm an das ZNS, welches umgekehrt die muskuläre Darmtätigkeit beeinflusst. Die Zusammensetzung der Mikroorganismen des Darms spielt hierbei eine entscheidende Rolle: Darmbakterien können zum Beispiel Nährstoffe verwerten, die dem menschlichen Körper dann nicht mehr zur Verfügung stehen.
Auch produzieren manche sogenannte Bakteriocine, die an Rezeptoren der Darmwand binden, die Darmbarriere stärken, Entzündungsreaktionen hemmen oder Immunantworten stimulieren können. Andere Stoffwechselprodukte von Darmbakterien haben neuroprotektive Wirkungen oder können direkt als Neurotransmitter oder Neuromodulatoren wirken und so die Nervenaktivität beeinflussen. Umgekehrt beeinflussen manche Mikroorganismen auch die Rezeptordichte bestimmter Neurotransmittersysteme, etwa von Opioid- und Cannabinoidrezeptoren der Darmwand.
Und schließlich können Bestandteile der Bakterienzellwände mit den Darmzellen interagieren und diese zur Produktion von Botenstoffen anregen, die dann wiederum Nervenaktivität modulieren. Relevant sind all diese Kommunikationswege insbesondere bei Stressreaktionen, Fettleibigkeit und Entzündungsreaktionen des Darms, aber auch bei neurologisch-psychatrischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst und Multipler Sklerose, bis hin zu Autismus und Schmerzsyndromen.
Jeder Eingriff in die Zusammensetzung der Darm-Mikrobiota, sei es durch Stress, probiotische Präparate, bakterielle Infektionen oder Antibiotika kann sich entsprechend auf die Darm-Hirn-Kommunikation und damit alle genannten Erkrankungen auswirken – aber vielleicht hat Ihr Bauchgefühl Ihnen das ja längst gesagt…
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/17 auf Seite 12.
Holger Schulze
Zur Person
Prof. Dr. Schulze Hirnforscher
Holger.Schulze@uk-erlangen.de
Prof. Dr. Schulze ist Leiter des Forschungslabors der HNO-Klinik der Universität Erlangen-Nürnberg sowie auswärtiges wissenschaftliches Mitglied des Leibniz-Instituts für Neurobiologie in Magdeburg. Seine Untersuchungen zielen auf ein Verständnis der Neurobiologie des Lernens und Hörens.
www.schulze-holger.de