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Psychologie in der Apotheke

AUF SCHRITT UND TRITT

„Stalking ist ein Machtspiel und ihre Angst ist seine Waffe“ – so lautet ein Zitat von Ingrid Beck, einer ehemaligen Stalking-Betroffenen, die die Initiative „Gemeinsam gegen Stalking“ gegründet hat.

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Nicht nur Prominente werden Opfer von Stalkern – auch abseits der Schlagzeilen ist der Psychoterror in unserer heutigen Gesellschaft fest verankert. Häufig ist eine gescheiterte Liebe für den Stalker der Startschuss, sein Opfer zu kontrollieren, zu bedrohen, ihm aufzulauern und nachzuspionieren. Der Begriff Stalking leitet sich von dem englischen Verb „to stalk“ ab und bedeutet „sich anschleichen“ oder „heranpirschen“.

Die Täter belästigen ihr „Objekt der Begierde“ oft durch Telefonanrufe sowie Nachrichten über die sozialen Medien, teilweise belagern sie Betroffene auch am Arbeitsplatz oder vor ihren Wohnungen. Die Polizei definiert Stalking als „das beabsichtigte und wiederholte Verfolgen und Belästigen eines Menschen, sodass dessen Sicherheit bedroht und er in seiner Lebensweise schwer beeinträchtigt wird“. Es tritt mindestens über mehrere Wochen auf, wobei das Opfer klare Grenzen gesetzt hat („Ruf mich nicht mehr an! Komm nicht mehr vorbei!“), die der Täter nicht akzeptiert.

Verheerende Auswirkungen Für die Opfer ist Stalking nur schwer zu ertragen und sie sehen sich in einer ausweglosen Situation gefangen. Dieses Gefühl zieht das eigene Selbstbewusstsein immer weiter nach unten, führt zur Erschöpfung und im schlimmsten Fall zur Selbstaufgabe. Betroffene isolieren sich oft und leben aus Angst vor dem Stalker wie in einem Gefängnis, da sie die Wohnung nur noch ungerne verlassen. Permanent sind die Gedanken präsent, welche Grenzen als nächstes überschritten werden: Wird er mich verletzen oder töten?

Erschreckende Zahlen Studien haben gezeigt, dass etwa zwölf Prozent der Menschen in ihrem Leben mindestens einmal gestalked werden, immerhin 20 000 Male wird Stalking in Deutschland jährlich angezeigt. Laut Angaben der Initiative „Gemeinsam gegen Stalking“ wird in jedem fünften Stalking-Fall der Täter auch gewalttätig. Seit 2007 gibt es im deutschen Strafgesetzbuch den Anti-Stalking-Paragraphen 238, Verurteilungen sind dennoch selten. 2017 wurde das Gesetz reformiert, sodass es aktuell bereits von einer Strafbarkeit ausgeht, wenn die Handlungen des Täters dazu geeignet sind, die Lebensgestaltung des Opfers schwer zu beeinträchtigen.

Stalker wollen Aufmerksamkeit! Betroffene sollten den Stalker deshalb komplett ignorieren – keine Treffen, keine Telefonate.

Profil des Stalkers Täter sind meistens männlich, die Opfer weiblich – in etwa der Hälfte der Fälle ist es der verlassene Ex-Partner, der seiner ehemaligen Lebensgefährtin nachstellt. Manchmal suchen sich Stalker auch völlig fremde Personen, die sie kontrollieren und beherrschen möchten. Auch Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, werden nicht selten von Stalkern belagert. Aus psychologischer Sicht ist Stalking die fehlgeleitete Bewältigung eines Gefühls der Ohnmacht. Zunächst geht es den Tätern darum, den verlorenen Partner für sich zurückzugewinnen. Nachdem dies misslungen ist, kommen bei den „Verlassenen“ Gedanken auf wie: „So schnell lasse ich mich nicht von ihr/ihm abwimmeln.“

Viele Stalker können das Ende einer Beziehung aufgrund ihrer frühkindlichen, negativen Erfahrungen (zum Beispiel Zurückweisungen oder Trennungen) nicht akzeptieren. Durch eine erneute Trennung kommen die damaligen Emotionen wieder auf, folglich reagieren Stalker wie Kleinkinder – sie laufen hinterher und zeigen wütenden Protest. Um die Abwertung des eigenen Selbst nicht zuzulassen, kommt es zu Verzerrungen der Realität: Die Täter interpretieren das Nein des Opfers um und wittern eine reelle Chance auf eine Beziehung. Durch die verzerrte Wahrnehmung schützen sie sich vor der Auseinandersetzung mit dem eigenen schmerzlichen Verlust und mit den damit verbundenen, negativen Gefühlen.

Stalking macht krank Die TU Darmstadt fand in einer Untersuchung heraus, dass die Hälfte der Opfer unter Depressionen, zwei Drittel der Betroffenen unter Schlafstörungen leiden. Eine repräsentative Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen zeigte, welche psychische Belastung Stalking für seine Opfer darstellt: 88 Prozent der Gestalkten gaben an, unter Stress zu leiden, 61 Prozent der Befragten klagten über Angst und 30 Prozent hatten Furcht vor Gewalt des Stalkers.

Tipps für Ihre Kunden Berichten Kunden in der Apotheke darüber, dass sie gestalked werden, können PTA und Apotheker ihnen verschiedene Ratschläge geben. Zunächst ist es wichtig, den Tätern einmalig und unmissverständlich klar zu machen, dass absolut kein Kontakt erwünscht ist. Jegliche Aktivitäten wie Emails, WhatsApp-Nachrichten oder das Belagern vor der Haustüre sollten präzise mit Datum und Uhrzeit dokumentiert werden, sodass bei einer Anzeige Beweismaterial vorhanden ist. Es ist außerdem sinnvoll, die Handynummer zu wechseln, den Email-Account zu ändern und in den Social-Media-Plattformen das eigene Profil nur für erwünschte Kontakte freizuschalten.

Da Stalker in der Regel nicht von alleine aufgeben, erstatten Betroffene möglichst frühzeitig Anzeige bei der Polizei. Häufig ist es den Tätern nicht bewusst, dass ihr Handeln strafrechtlich relevant ist – das Einschalten der Polizei verdeutlicht ihnen ihr illegales Verhalten und führt in vielen Fällen zu einem Abbruch des Stalkings. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, mit der Unterstützung eines spezialisierten Anwalts eine einstweilige Verfügung nach dem Gewaltschutzgesetz beim zuständigen Amtsgericht zu erwirken.

Stalker dürfen dann keinen Kontakt mehr aufnehmen und sich ihren Opfern nicht mehr nähern. Es ist auch hilfreich, Vertraute im eigenen Umfeld über die Situation zu informieren, denn viele Täter versuchen, Freunde und Bekannte durch Anschuldigungen und falsche Behauptungen zu manipulieren. Opfer wenden sich am besten auch an eine Selbsthilfegruppe, um in der schwierigen Situation Unterstützung zu erhalten. Ist der psychische Leidensdruck sehr hoch, ist es ratsam, einen Psychotherapeuten zu konsultieren.

Die Rolle des Internets Das Cyberstalking ist eine spezielle Form des Stalkings, das mit technischen Hilfsmitteln (Handy oder Mails) erfolgt. Täter legen sich in sozialen Netzwerken wie Facebook mitunter Fake-Profile an, um entweder unter dem Namen ihres Opfers zu handeln (zum Beispiel Bestellungen zu tätigen) oder intime Bilder und Daten zu verbreiten. Traurige Berühmtheit erlangte die 15-jährige Kanadierin Amanda Michelle Todd, die Opfer vom Cyber-Bullying wurde und sich daraufhin im Oktober 2012 das Leben nahm. Sie hatte sich als Zwölfjährige in einem Chat per Webcam dazu überreden lassen, den Oberkörper vor einem Fremden zu entblößen, der sie mit der Veröffentlichung dieser Bilder erpresste. Kurz vor ihrem Tod publizierte sie ein neunminütiges Video, in dem sie mit Hilfe von handgeschriebenen Zetteln ihre Geschichte schweigend erzählt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/18 ab Seite 26.

Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin

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