Das Gehirn hat viele einzelne Strukturen die miteinander vernetzt sind. © metamorworks / iStock / Getty Images Plus

Gehirn | Forschung

AUF DEN SPUREN DER GEHIRNSTRUKTUR

Nervenzellen, Großhirnrinde, Neuronen – im Gehirn sind viele einzelne Strukturen miteinander vernetzt. Wie sie aber im Detail funktionieren und miteinander agieren, ist bislang weitestgehend unerforscht. Forscher haben versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.

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Die Neurowissenschaftler Dr. Samora Okujeni und Prof. Ulrich Egert vom Bernstein Center der Universität Freiburg haben anhand von simulierten Netzwerkmodellen und in-vitro-Experimenten die Entwicklung und das Verständnis der Gehirnstruktur näher analysiert. In ihrer Studie machten sie deutlich, dass das Zusammenspiel von aktivitätsabhängigem Wachstum von Zellfortsätzen und die Wanderung von Nervenzellen während der Entwicklung eines Netzwerkes in hohem Maß dessen späteren Grad an Modularität beeinflusst.

Um was genau handelt es sich eigentlich bei Neuronen? Die Wissenschaft spricht hierbei von geselligen Zellen, die auf lange Sicht in Isolation absterben. Während ihrer Entwicklungszeit bilden sie Fortsätze aus, sogenannte Neuriten. Diese dienen der Kommunikation mit anderen Neuronen über synaptische Verbindungen. Wurde eine ausreichende Zahl der synaptischen Eingänge (oder sogar zu viele) erreicht, ist das Wachstum der Neuriten beendet oder sie werden gekürzt. Durch diesen Vorgang wird verhindert, dass Neurone über einen längeren Zeitraum zu lange aktiviert werden. Die Wissenschaft kommt zu dem Schluss, dass neuronales Wachstum so kontrolliert wird, um ein Netzwerk auf einem bestimmten Aktivitätsniveau halten zu können. Um die Chancen für eine Vernetzung zu erhöhen, ist nicht nur die Bildung von Neuronen wichtig, sondern auch, dass die Nervenzellen in Richtung anderer Neuronen wandern: „Mit Computersimulationen belegen wir, dass das Wachstum von Neuriten und die Migration von Zellen beim Entstehen spezifischer Netzwerkarchitekturen interagieren“, erklärt Okujeni. Ein solches Zusammenspiel steuert laut den Forschern das Verhältnis zwischen lokaler Vernetzung kurzer Reichweite und globaler Vernetzung langer Reichweite über Cluster hinweg und bestimme damit auch den Grad an Modularität im neuronalen Netzwerk. „Dies wiederum beeinflusst die spontane Aktivität von Nervennetzen und deren Ausbreitungsmuster.“ Für die gesunde Entwicklung der Großhirnrinde sind solche Zusammenhänge ausschlaggebend.

Alles, was zunächst nur in der Simulation überprüft wurde, wurde im Anschluss noch experimentell begutachtet. Die Forscher untersuchten, wie Zellmigration, Neuritenwachstum und neuronale Aktivität in vitro interagieren. Hierfür verwendeten sie die Nervenzellen aus der Großhirnrinde der Ratte, die ebenfalls in Zellkulturen solche Netzwerkstrukturen ausbilden. Welchen Einfluss hat aber nun die Zellmigration auf die Netzwerkentwicklung? Hierfür manipulierten die Forscher ein Enzym, das in Nervenzellen die Stabilität und auch den Umbau des Zellskeletts reguliert. Die Wissenschaftler kommen wie in der Simulation zu dem gleichen Ergebnis: Zellmigration verstärke ebenso die Vernetzung durch Clusterbildung.

Das Clustern ist allerdings auch für die Entstehung spontaner Aktivität verantwortlich und führt dadurch zu insgesamt höheren Aktivitätsniveaus. Diese Erkenntnis ist widersprüchlich zu der zunächst angenommenen Aussage, dass die Aktivität auf einem bestimmten Zielniveau bleibt. Die Forscher konnten allerdings relativ schnell Licht ins Dunkel bringen. „Die Aktionspotenzialaktivität steuert die Dynamik des Zellskeletts nicht direkt, sondern indirekt über einen Kalziumeinstrom, der die Balance zwischen Auf- und Abbauprozessen beeinflusst“, sagt Okujeni. „Modularität erhöht zwar die Rate, mit der Aktionspotenziale generiert werden, reduziert aber gleichzeitig die Synchronisation des Netzwerkes, die wiederum den Kalziumeinstrom pro Aktionspotenzial bestimmt. Auf diese Weise stellt sich nach unseren Schätzungen für alle Netzwerkstrukturen ein ähnliches Zielniveau ein.“

Nadine Hofmann,
Leitung Online-Redaktion

Quelle: Informationsdienst Wissenschaft



Originalveröffentlichung: Okujeni, S., Egert, U. (2019). Self-organization of modular network architecture by activity-dependent neuronal migration and outgrowth. Elife 8. DOI: 10.7554/eLife.47996

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