Politik
ANDERE LÄNDER – ANDERE PREISE
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Sommerzeit ist Reisezeit. Und nicht immer findet sich in der Reiseapotheke das Arzneimittel, was gerade benötigt wird. Die nächste Apotheke ist nicht weit und mitunter erhält man auch Arzneimittel im Supermarkt, die bei uns apothekenpflichtig wären. Schnäppchenpreise im Ausland können beim nächsten Apothekenbesuch in Deutschland Auslöser für Diskussionen sein.
Dass eine Supermarktkette viel bessere Einkaufskonditionen erhält als etwa inhabergeführte Apotheken und deshalb kleine Packungen Schmerzmittel unter einem Euro anbieten können, mag kaum verwundern, zumal eine Beratung nicht erwartet werden kann. Sind jedoch deutsche Apothekenpreise im europäischen Vergleich tatsächlich zu hoch?
Hintergrund Preisunterschiede in Europa sind immer wieder Gegenstand gesundheitspolitischer Diskussionen. Sie sind das Ergebnis unterschiedlicher Preisbildungsverfahren, Erstattungsregelungen, Vertriebswege und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Da es nicht möglich ist, die Märkte umfassend zu vergleichen, muss jede Studie zwangsläufig eine Auswahl treffen.
Je nach Fragestellung und Blickwinkel wird eine Auswahl getroffen. In der Regel bilden selektierte Arzneimittelgruppen, Einzelbereiche wie Generika oder Patentarzneimittel oder repräsentative Warenkörbe die Grundlage für Aussagen über das Preisniveau des gesamten Arzneimittelmarktes.
Medikamente Preisunterschiede bei Arzneimitteln in einzelnen Ländern sind das Ergebnis unterschiedlicher preisbildender Faktoren. Auf der Ebene der Pharmahersteller spielen die Konkurrenzsituation und staatliche Eingriffe die Hauptrolle. Auf der Distributionsebene sind maßgeblich die Handelsspannen von Großhandel und Apotheken, die Mehrwertsteuer sowie Rabatte und staatliche Preisreglementierung. Wettbewerb spielt nur eine Rolle, wenn Aufschläge nicht staatlich reglementiert sind, wie für verschreibungsfreie Arzneimittel hier zu Lande seit Inkrafttreten des Gesundheitsmodernisierungsgesetzes im Jahr 2004.
Im Detail Der Arzneiverordnungsreport 2013 verglich zum Beispiel die fünfzig umsatzstärksten deutschen Patentarzneimittel. Darunter finden sich Gardasil®, Pradaxa® und Apidra®. Basis des Preisvergleichs war der deutsche Apothekenverkaufspreis abzüglich gesetzlicher Rabatte. Im Durchschnitt überstieg der Apothekenverkaufspreis hier zu Lande um fast ein Drittel den Preis in Frankreich. Berücksichtigt man allerdings die unterschiedlichen Mehrwertsteuersätze – in Deutschland neunzehn, in Frankreich rund zwei Prozent – verringert sich die Preisdifferenz auf neun Prozent.
Gleichwohl sind in Einzelfällen erhebliche Preisunterschiede feststellbar. So beträgt der Apothekenverkaufspreis (also inklusive Mehrwertsteuer) des umsatzstärksten deutschen Arzneimittels (Humira®) in der verordnungshäufigsten Packung mehr als fünftausend Euro und ist somit um circa fünfundsiebzig Prozent teurer als die identische Packungsgröße in Frankreich. Zu ähnlichen Ergebnissen kam der Verordnungsreport in den vergangenen Jahren bei Preisvergleichen mit Schweden, Großbritannien und der Niederlande.
Woran liegt’s? Der Hauptgrund für die Preisunterschiede im Patentmarkt ist die Tatsache, dass noch vor wenigen Jahren die Herstellerfirmen die Preise frei festlegen konnten. Die Situation hat sich zwischenzeitlich mit der Einführung der frühen Nutzenbewertung von innovativen Arzneimitteln und Erstattungspreisverhandlung grundlegend geändert. Für Arzneimittel mit einem Zusatznutzen werden seither Erstattungspreise zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-Spitzenverband ausgehandelt.
Nach Berechnungen des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) werden hierdurch inzwischen für vier von fünf Arzneimittelinnovationen die Preise in Deutschland unter den europäischen Durchschnitt gedrückt und für fast jedes zweite Patentarzneimittel liegt der Preis unter dem niedrigsten europäischen Vergleichspreis. Auch die Zahl der bei der europäischen Zulassungsbehörde EMA angezeigten Parallelvertriebe spricht dafür, dass sich das Preisgefälle zu verändern beginnt: War früher Deutschland das Zielland (weil höhere Verkaufspreise erzielt werden konnten), ist es inzwischen aufgrund des niedrigeren Preisniveaus vielfach potenzielles Herkunftsland.
Gleichwohl zeigt sich einmal mehr die Krux von Preisvergleichen: Nicht alle benötigten Informationen sind zugänglich (z. B. sind Preisnachlässe vertraulich und mitunter auch gestaffelt) und so vergleicht man gezwungenermaßen die öffentlich zugänglichen Spannweiten europäischer Vergleichspreise mit dem tatsächlichen Erstattungsniveau in Deutschland. Schlussfolgerungen sind insoweit mit Unsicherheiten verbunden.
Generika tragen seit vielen Jahren unstrittig erheblich zur Dämpfung der Arzneimittelausgaben hier zu Lande bei. Gleichwohl konstatierte der Arzneiverordnungsreport in der Vergangenheit ein vergleichsweises hohes deutsches Generikapreisniveau, zumindest für die untersuchten fünfzig umsatzstärksten Präparate im Vergleich mit Schweden, Großbritannien und der Niederlande.
ZUSATZINFORMATIONEN
Inzwischen wird diese Aussage auf früher patentgeschützte Originalpräparate wie z.B. Zyprexa®, Aggrenox® und Seroquel® eingeschränkt. Pro Generika, der Verband der Generika- und Biosimilarunternehmen in Deutschland, hat die generischen Tagestherapiekosten seinerseits für sieben Hauptindikationen (Angiotensin-II-Antagonisten, Antidepressiva, Antiepileptika, Neuroleptika, H2-Blocker, Cholesterinsenker und orale Antidiabetika) in einundzwanzig europäischen Ländern untersucht.
Legt man die Listenpreise zugrunde, liegen die Tagestherapiekosten hierzulande zehn Prozent unter dem europäischen Durchschnitt. Rechnet man Einsparungen durch Rabattverträge ein, sind es sogar fünfzig Prozent. Aber auch hier gilt: vergleichen kann man nur, was an Informationen zugänglich ist. Da jedoch nicht alle Preisnachlässe in Europa für Arzneimittel transparent sind, ist auch dieses Ergebnis verzerrt.
Im Einzelfall können Preisunterschiede tatsächlich erheblich sein, wie für Ibuprofen oder Humira® beispielhaft gezeigt. Verallgemeinernde Aussagen zum Preisgefälle von Arzneimittel in Europa sind jedoch mit Vorsicht zu betrachten.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/14 ab Seite 56.
Dr. Michael Binger, Hessisches Sozialministerium