Eins schreiendes Neugeborenes
Schrein können schon die Kleinsten. © Handemandaci / iStock / Getty Images Plus

Frühdiagnostik | Entwicklungsstörungen

ANALYSE DES SÄUGLINGSSCHREIS ERLEICHTERT DIAGNOSESTELLUNG

Viele Entwicklungsprobleme können erst nach Jahren erkannt werden, wenn das Kind älter ist. Aktuell forscht die Hochschule Fresenius an einem neuen Analyseverfahren, das den Leidensweg für Betroffene und Angehörige verkürzen könnte.

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Fehlbildungen der Artikulationsorgane, frühkindliche neurologische Störungen oder Hörstörungen – eine frühzeitige Feststellung dieser Entwicklungsprobleme ist bislang nicht möglich. Stattdessen kommt es zu zunehmenden Problemen und Spannungen zwischen Kind und Eltern. Vielversprechende Studienergebnisse zeigen eine Option zur frühzeitigen Feststellung dieser Leiden. „Mithilfe eines speziellen technischen Verfahrens ist es uns erstmals gelungen, nicht nur gesunde von pathologischen Schreien zu unterscheiden, sondern letztere auch einem bestimmten Störungsbild zuzuordnen“, sagt Prof. Dr. Tanja Fuhr, die gemeinsam mit Prof. Dr. Carla Wegener an dem Projekt geforscht hat und an der Hochschule Fresenius Idstein tätig ist. „Die Trefferquote lag dabei bei über 99 Prozent, ein wirklich herausragendes Ergebnis.“

Es wurden 77 Säuglinge mit pathologischem Schreibild untersucht, ihre Schreie aufgezeichnet und mittels eines technischen Verfahrens auf akustische Parameter gescannt, die Hinweise auf eine vorliegende Störung liefern. Über diese Klassifizierung konnten Kinder mit weichem Knorpelgewebe am Kehlkopf, Hörstörung, einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte oder einem erlittenen Sauerstoffmangel während des Geburtsvorgangs ermittelt werden. „Der nächste Schritt wäre nun die Validierung unserer Ergebnisse, um daraus eine Allgemeingültigkeit abzuleiten. Dies könnte als Grundlage für Diagnoseverfahren dienen, damit wir sie flächendeckend etwa in Kliniken und Kinderarztpraxen einsetzen können“, sagt Fuhr. Dafür würde schon ein Smartphone mit einer bestimmten App genügen. Das Problem ist eher die Validierung an sich.

„Wir bräuchten eine große Probandenzahl pro Störungsbild“, sagt Prof. Dr. Carla Wegener. „Und es handelt sich zum einen um seltene Störungen, zum anderen haben Eltern bei deren Auftreten erst einmal andere Sorgen. An dieser Stelle müssen wir viel Aufklärungsarbeit leisten, denn unsere Untersuchungen sind harmlos. Wir erzeugen ja keinen Schrei, sondern nehmen diesen nur auf. Die Risiko-Nutzen-Analyse gibt also eigentlich eine klare Antwort.“

Wozu eigentlich die Technik, kann man die unterschiedlichen Schreie nicht selbst akustisch erkennen? Die Wissenschaftler führten Hörtrainings mit Eltern, kinderlosen Erwachsenen und Hebammen durch – das menschliche Ohr ist der Technik jedoch unterlegen. In vielen Fällen erkannten die meisten recht schnell pathologische Schreie, die Zuordnung verlief jedoch seltener korrekt.

Und warum gerade der Schrei? Er ist Teil des Spracherwerbs, kaum ein anderes System ist zu diesem Zeitpunkt derartig entwickelt. Muskeln und Hirnnerven arbeiten wie in einer Symbiose zusammen und verhelfen dem Säugling zur Verständigung – daher ist der Schrei so gut zur Detektion von Störungen geeignet.

Farina Haase,
Apothekerin/Redaktion

Quelle: Hochschule Fresenius 

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