Indem sie ein künstliches neuronales Netzwerk erschufen, erforschten Wissenschaftler die Stoffwechselvorgänge bei Alzheimer im Gehirn. Offenbar verläuft die Krankheit bei Männern und Frauen unterschiedlich. © Christoph Burgstedt / iStock / Getty Images Plus

Religious Order Study | Neue Erkenntnisse

ALZHEIMER-ERKRANKUNG VERLÄUFT BEI MÄNNERN UND FRAUEN UNTERSCHIEDLICH

Die Alzheimer-Forschung tritt zurzeit ein wenig auf der Stelle. Da sind die Ergebnisse einer Studie hochwillkommen, die seit Jahren unter älteren Nonnen, Priestern und Glaubensbrüdern läuft. Das Ergebnis: Demenz hat bei den Geschlechtern unterschiedliche körperliche Ursachen.

Seite 1/1 3 Minuten

Seite 1/1 3 Minuten

Die Teilnehmer der Religious Order Study haben in Fachkreisen eine gewisse Berühmtheit. Stellen sich die insgesamt 1100 Probanden, die in abgezirkelten religiösen Gemeinschaften leben, doch uneingeschränkt der Wissenschaft zur Verfügung: Nicht nur, dass sie sich jedes Jahr einer medizinischen und psychologischen Untersuchung unterziehen – sie haben auch zugestimmt, dass ihr Gehirn nach ihrem Tod Forschungszwecken zur Verfügung gestellt wird.
So auch in diesem Fall. Die Gehirne von 24 Studienteilnehmern mit Alzheimer und jene einer ebenso großen Zahl ohne demenzielle Erkrankung wurden post mortem miteinander verglichen. Die Wissenschaftler sequenzierten dazu alle RNAs aus insgesamt 80 000 Zellen des präfrontalen Kortexes. Da Einzelzellen analysiert wurden, war es möglich, Aussagen zu den verschiedenen Zelltypen des Gehirns zu machen. Und, in der Tat, konnten die Forscher erhebliche Unterschiede in erregenden und inhibierenden Neuronen, aber auch in Oligodendrozyten, Astrozyten und Mikroglia ausmachen.

Bei der Alzheimerschen Erkrankung geht es ja vor allem über die mangelnde Weiterleitung von Nervenimpulsen. Die laufen über die Neuronen, deren Enden mit einer Myelinscheide versehen sind, die man sich im Aufbau ähnlich vorstellen muss wie einen Isolator um das Ende eines Stromkabels, nur dass das Konstrukt zur Weiterleitung von Impulsen vorgesehen ist. Auch die Bindeglieder zwischen Nerven- und Immunsystem, die Mikroglia, spielen eine Rolle. Viele der zelltypspezifischen Änderungen in der Genexpression traten bei den Alzheimer-Patienten schon in sehr frühem Stadium auf; dabei wurden häufig Gene hochreguliert, die für Komponenten zur Stressbewältigung, des programmierten Zelltodes und zur Aufrechterhaltung der Proteinintegrität codieren. Indem sie ein künstliches neuronales Netzwerk schufen, waren die Forscher in der Lage, Korrelationen zwischen bestimmten Genexpressionsmustern und Indikatoren zum Schweregrad der Alzheimer-Erkrankung zu ziehen.

Dabei ergaben sich dramatische Geschlechtsunterschiede. Die deutlichsten wurden dabei in neuronalen Zellen und Oligodendrozyten beobachtet. Bei den Männern wurden letztere besonders aktiv, bei den Frauen eher nicht. Dafür fand sich bei diesen eine verminderte Genaktivität sowohl in exzitatorischen – also fördernden – als auch in inhibitorischen – also hemmenden – Neuronen, die die Reize übertragen. Außerdem reagierten die Oligodendrozyten-Vorläuferzellen der Frauen mit einer geringeren Genexpression in einer stärker verlaufenden Alzheimer-Erkrankung als bei den Männern.

Demenz / Schlafstörungen
                                                                                        
Alzheimer: Schlechter Schlaf ist erstes Anzeichen

Hier geht es zum Artikel "Alzheimer"


Unklar ist man sich über die Ursachen. Die Unterschiede bei Männern und Frauen sind in ihren Oligodendrozyten, die Myelin produzieren, besonders ausgeprägt. Dazu untersuchten die Fortscher noch einmal die weiße Hirnsubstanz der Patienten, die ja hauptsächlich aus myelinisierten Axonen besteht. Durch MRT-Untersuchungen an 500 Teilnehmern der Religious Order Study konnte gezeigt werden, dass weibliche Probanden mit schweren Gedächtnisdefiziten wesentlich mehr Schäden an der weißen Substanz aufwiesen als die männlichen Probanden.

Da noch unklar ist, warum Männer und Frauen so unterschiedlich auf die Alzheimersche Krankheit reagieren, ist auch noch nicht klar, ob und wie die Forschungsergebnisse bei künftigen Behandlungen berücksichtigt werden müssen. Das Fazit dieser Studie: Jede neue Erkenntnis in der Demenz-Forschung ist willkommen, auch wenn die Wissenschaft noch nicht genau weiß, wie sie sie anwenden muss.

Alexandra Regner,
PTA und Journalistin

Quelle: Pharmazeutische Zeitung  

×