Immunsuppressiva
ALLTAG NACH DER ORGANTRANSPLANTATION
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Dank der Erforschung der Abläufe in unserem Immunsystem werden seit circa 50 Jahren Organe erfolgreich transplantiert. Die Anzahl der Transplantationen ist jedoch bundesweit rückläufig. Waren es 2011 noch 1200 Organe, liegen die vorläufigen Zahlen für 2012 bei 1046 Spenden. Die Warteliste ist wesentlich höher als die Zahl der erfolgten Transplantationen.
Am häufigsten werden Nieren transplantiert, gefolgt von Lebern. Vor einer Transplantation erfolgen umfangreiche Vorsorgeuntersuchungen des Betroffenen mit Bestimmung der Blutparameter und Gewebemerkmale. Nur wenn der Gesundheitszustand des Empfängers ausreichend stabil ist für eine Organtransplantation und die lebenslange Immunsuppression, wird dieser auf die Warteliste gesetzt.
Alltag danach Nach einer Transplantation wird die Arzneimitteltherapie an das Abstoßungsrisiko und den Gesundheitszustand des Patienten angepasst. Üblicherweise erfolgt dann eine hoch dosierte Induktionstherapie mit drei bis vier Wirkstoffen, die nach einigen Monaten auf eine Erhaltungstherapie mit zwei bis drei Wirkstoffen reduziert wird. In der Anfangsphase kann es jederzeit zu einer Abstoßungsreaktion oder einem Versagen des transplantierten Organs kommen.
Durch eine engmaschige Überwachung des Patienten und einem Arzneimittelmonitoring zur Überprüfung der Wirkstoffspiegel wird eine optimale Immunsuppression ermittelt. Später kann es zu einem schleichenden Funktionsverlust beziehungsweise einer chronischen Abstoßung kommen. Daher erfolgt lebenslang die Kontrolluntersuchung und Therapieanpassung an das aktuelle Risiko.
Ziel einer optimalen Immunsuppression ist: so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Balanceakt Eine Organabstoßung muss verhindert werden, eine Restfunktion des Immunsystems erhalten bleiben und die Machbarkeit im Alltag gegeben sein. Dies kann nur gut erfolgen, wenn Arzt und Patient Hand in Hand arbeiten. Das heißt, der Betroffene wird aufgeklärt über die Therapie und muss dann die erarbeitete Medikation exakt befolgen.
Der Mediziner muss Rücksicht nehmen auf den Alltag und die Fähigkeiten des Patienten und individuell für diesen eine machbare und verträgliche Therapie ausarbeiten. Auch eine eventuell erforderliche Unterstützung zur korrekten Umsetzung der Medikation muss vom behandelnden Arzt angebahnt werden. Diese Zusammenarbeit auf der Grundlage eines gleichberechtigten Arzt-Patienten-Verhältnisses wird unter dem Begriff Adhärenz verstanden.
Ist der transplantierte Patient gut eingestellt, dann kann er wieder einem normalen Alltag nachgehen, arbeiten, reisen oder Sport betreiben. Er sollte jedoch Wert auf Hygiene legen, da das Immunsystem lebenslang supprimiert wird.
Hinweis zum Organspendeausweis
In Deutschland darf jeder ab 14 Jahren einer Organspende widersprechen, ab 16 Jahre dieser zustimmen – ohne Einwilligung der Eltern. Jeder über 16 Jahre sollte eine konkrete Entscheidung dafür oder dagegen im persönlichen Organspendeausweis eintragen. Nur dort ist diese Information zu finden. Falls man keine Angabe macht, werden die Angehörigen nach der vermutlichen Meinung befragt. Krankheitsbedingt werden Krebs- und HIV-Patienten ausgeschlossen. Es zählt das biologische Alter eines Spenders, nicht das tatsächliche Alter.
+ Organspendeausweise können bestellt werden unter der Telefonnummer 08 00/9 04 04 00. Internet: www.organspende-info.de/materialien/organspendeausweis
+ Informationen zu Organtransplantation: Bundesverband für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz. Internet: www.bgv-transplantation.de/eurotransplant.html.
Therapie In der Praxis werden verschiedene Immunsuppressiva mit zum Teil ganz verschiedenen Angriffspunkten im Immunsystem miteinander kombiniert. Dadurch werden die Nebenwirkungen gering gehalten und trotzdem die erforderliche Immunsuppression erreicht. Kombiniert werden dafür zwei bis vier Wirkstoffe aus den Gruppen Calcineurinhemmer, Kortikosteroiden, Zellteilungshemmern sowie Antikörpern.
Als Basistherapeutika nach einer Transplantation werden am häufigsten die Calcineurinhemmer Ciclosporin oder Tacrolimus eingesetzt. Diese Wirkstoffe haben eine geringe therapeutische Breite und eine steile Dosis-Wirkungs- Kurve. Solche Medikamente mit kritischer Dosierung werden als Critical Dose Drugs bezeichnet. Ihre Einnahme muss besonders exakt erfolgen.
Vorsicht im Apothekenalltag Transplantierte werden geschult und angeleitet ihre Therapie exakt einzuhalten. Nur so steht diese auf einer stabilen Basis. Voraussetzung für konstante Wirkstoffspiegel ist das korrekte Einhalten der Einnahmemodalitäten. Wegen Veränderungen in der Medikation, Komedikation, Multimorbidität und altersbedingten Veränderungen des Stoffwechsels muss die Therapie langfristig regelmäßig kontrolliert werden. Dafür erfolgt eine klinische Überprüfung der Wirksamkeit, der Nebenwirkungen und ein Erheben von Laborbefunden.
Beim Abbau der Arzneistoffe sind Interaktionen am Leberenzym Cytochrom P450 3A4 bekannt. Das betrifft Ciclosporin, Tacrolimus und Sirolimus. Johanniskraut in der Selbstmedikation bewirkt durch einen rascheren Wirkstoffabbau einen massiven Wirkstoffabfall. Teer im Tabakrauch verringert, Grapefruitsaft erhöht die Wirkstoffspiegel von Tacrolimus und Ciclosporin. Zwischen Diclofenac, Omeprazol und Antazida wurden Interaktionen mit Tarolimus beobachtet.
Ein unkontrollierter Wechsel zwischen Originalpräparat und Generikum beziehungsweise von Generikum zu Generikum kann zu Problemen führen. Ein bioäquivalentes Generikum muss eine Wirkstofffreisetzung im Vertrauensbereich von 80 bis 125 Prozent erreichen, bei einer Einmalgabe an gesunden männlichen Probanden.
Die Europäische Arzneimittelagentur hat 2010 die Kriterien für die Neuzulassung für Critical Dose Drugs neu geregelt. Seit 2010 muss für diese Wirkstoffe eine Wirkstofffreisetzung im Vertrauensbereich von 90 bis 111 Prozent eingehalten werden. Die bereits im Markt eingeführten Critical Dose Drugs müssen allerdings nicht angepasst werden. Achtung: Die Freisetzung des Wirkstoffs von Generikum A kann nach unten, von Generikum B nach oben abweichen.
In der Praxis konnten deshalb Veränderungen im Wirkstoffspiegel bis zu 50 Prozent ermittelt werden. Daher hat der Bundesverband für Gesundheitsinformation und Verbraucherschutz im Jahr 2002 reagiert und grundsätzlich Bedenken bei einem unkontrollierten Austausch bei Critical Dose Drugs geäußert.
Ein Präparatewechsel sollte nur begleitet von einer engmaschigen Überwachung durch den Transplantationsmediziner erfolgen. In der Apotheke können pharmazeutische Bedenken angemeldet werden mit der Begründung „Therapiesicherheit“. So kann das Risiko einer Transplantatabstoßung bei zu geringen Wirkstoffspiegeln beziehungsweise die Gefahr zu starker Nebenwirkungen bei zu hohen Wirkstoffspiegeln verringert werden.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 09/13 ab Seite 90.
Dr. Elke Knop, Apothekerin / Journalistin