Psychologie in der Apotheke
ALLE GEGEN EINEN
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Mobbing ist kein Kavaliersdelikt: Es ist für Betroffene eine schwerwiegende, psychische Belastung und kann verheerende Folgen haben. Opfer werden von anderen Personen (zum Beispiel von Mitschülern oder Arbeitskollegen) regelmäßig über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr angefeindet, ignoriert, schikaniert und diskriminiert. Folglich sind sie oft eingeschüchtert und trauen sich nicht, Hilfe aufzusuchen. Im schlimmsten Fall endet Mobbing im Suizid des Opfers, wie zahlreiche in den Medien veröffentlichte Beispiele zeigen. Der Teenager Daniel Briggs beging Selbstmord, nachdem seine Mitschüler ihn jahrelang schikanierten und ihn mit SMS wie „Los, bring dich um!“ provozierten.
Vor einigen Jahren nahm sich der 20-jährige Niederländer Tim R. das Leben und verabschiedete sich mit folgenden Worten von seinen Eltern: „Liebe Pap und Mam, ich wurde mein Leben lang verspottet, gemobbt, gehänselt und ausgeschlossen. Ihr seid phantastisch. Ich hoffe, ihr seid nicht sauer. Auf Wiedersehen, Tim.“ Bekannt wurde auch der Fall der 15-jährigen Amanda Todd, die nach monatelangem Cyber-Mobbing suizidierte und ein neunminütiges Video hinterließ, in dem sie ihre Geschichte stumm auf Karteikarten präsentierte. Der Begriff Mobbing stammt aus dem Englischen: Es handelt sich um eine Substantivierung des Verbs „to mob“, was übersetzt anpöbeln, attackieren, angreifen oder bedrängen bedeutet.
Das Phänomen findet in verschiedenen Kontexten wie in Gefängnissen, in der Nachbarschaft, in Freizeitgruppen oder am Arbeitsplatz statt, in Schulklassen wird es auch als Bullying bezeichnet. Mobbing kann direkt durch verbale Attacken (beschimpfen, beleidigen, vor dem Opfer tuscheln, bedrohen, sexuelle Anspielungen aussprechen) oder durch körperliche Angriffe (schlagen, treten, festes Zupacken, an den Haaren ziehen) erfolgen. Außerdem greifen Täter auf indirekte beziehungsweise nonverbale Formen zurück, indem sie ihre Opfer aus einer sozialen Gruppe ausschließen, sie ignorieren, eine Zusammenarbeit verweigern oder ihre persönlichen Dinge verstecken oder durcheinanderbringen.
Abgrenzung zu gewöhnlichen Konflikten Natürlich ist nicht jede Auseinandersetzung mit Mobbing gleichzusetzen, folgende Merkmale sind für das problematische Verhalten typisch:
- Das Schikanieren hält über einen längeren Zeitraum an.
- Die Täter verfolgen die Absicht, das Opfer in ihrem Ansehen zu schädigen.
- Die Attacken richten sich gegen Einzelpersonen oder Personengruppen.
- Die Opfer sind wiederholt und systematisch direkten oder indirekten aggressiven Akten eines Angreifers oder mehrerer Täter ausgesetzt.
Mögliche Gründe Mobbing findet nicht selten in der Arbeitsumwelt statt, vor allem, wenn hierarchische Strukturen existieren. Oft lassen sich auf Seiten der Opfer bestimmte Merkmale feststellen, die sie angreifbarer und verletzlicher machen. Menschen mit einem geringen Selbstbewusstsein, Einzelgänger oder Personen mit einer hohen Gewissenhaftigkeit geraten häufig in die Schusslinie der Täter. Mobber nutzen auch Krankheiten oder äußere Auffälligkeiten als Aufhänger für ihre Attacken.
Phasen des Tyrannisierens Heinz Leymann (1932-1999) galt als Pionier in der Mobbingforschung und entwickelte ein 5-Phasen-Modell des Schikanierens (Leymann-Modell). Im Folgenden sind die einzelnen Stadien anhand des Mobbings am Arbeitsplatz erklärt:
- Phase (ungelöster Konflikt): Zunächst entwickelt sich aus einer Banalität ein Konflikt, der sich weiter aufbauscht und in ersten Angriffen und Schuldzuweisungen mündet. Würden beide Parteien an dieser Stelle miteinander reden und den Streit aus der Welt schaffen, könnte das spätere Mobbing unter Umständen vermieden werden.
- Phase (das Mobbing etabliert sich): Aus gelegentlichen Angriffen entsteht ein Dauerbeschuss. Betroffene werden zu Außenseitern, verlieren ihr Selbstvertrauen und sind misstrauisch gegenüber jeglichen Personen. Außerdem treten die ersten körperlichen Symptome wie Kopfschmerzen auf.
- Phase (Arbeitsrechtliche Sanktionen): In dieser Phase wird das Mobbing öffentlich, indem etwa der Chef oder die Mitarbeitervertretung ins Vertrauen gezogen werden. Gemobbte sind zu diesem Zeitpunkt psychisch angeschlagen, sodass ihre Leistungen nachlassen.
- Phase (Fehldiagnosen): Die Opfer geben auf, sehen für sich in der entsprechenden Situation keine Chance mehr und leiden unter einem völlig zerstörten Selbstwertgefühl. Körperliche Symptome wie Schlaflosigkeit oder Kopfschmerzen sind üblich, die Ursachen werden von Ärzten oder Therapeuten häufig nicht erkannt.
- Phase (der Ausschluss): In der letzten Phase erfolgen die Ausgrenzung aus der Gruppe sowie der Ausschluss aus der Arbeitswelt, indem der Chef entweder die Kündigung ausspricht oder die betroffene Person den Arbeitsplatz verlässt. Die Opfer verfallen in Depressionen, missbrauchen Suchtmittel oder begehen im schlimmsten Fall Suizid.
Was ist zu tun? Da die gezielte Schikane Menschen zerstören kann, ist es ratsam, rechtzeitig zu handeln und gegen die Erniedrigungen vorzugehen. Raten Sie Kunden, die über Mobbing berichten, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Da die Anfeindungen nur selten von alleine aufhören, sollten Betroffene von Anfang an ein klares „Nein“ setzen, zum Beispiel durch eine offene Aussprache mit dem Angreifer. Bei der Arbeit ist der Austausch mit Kollegen, die nicht am Konflikt beteiligt sind, sinnvoll, um sich moralische Unterstützung zu sichern.
Ein Mobbingtagebuch ist hilfreich, um gegebenenfalls handfeste Beweise in einem Gespräch oder vor Gericht vorlegen zu können. Finden die Schikanen bei der Arbeit oder in der Schule statt, sollten die Opfer Vorgesetzte, Lehrer und Eltern informieren. Eine qualifizierte, telefonische Beratung erhalten Betroffene bei der MobbingLine Nordrhein-Westfalen (montags bis donnerstags in der Zeit zwischen 16 und 20 Uhr). Außerdem gibt es Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen, die Opfern helfen.
Neue Form Beim Cybermobbing handelt es sich um eine Sonderform des Mobbings, bei der die Täter Internet- und Mobilfunktelefone zum Schikanieren nutzen. Sie benötigen keinen direkten Kontakt zu ihren Opfern, sondern tyrannisieren sie mit Hilfe von Anrufen, SMS oder E-Mails. Das Internet scheint dabei die Hemmschwelle für die Erniedrigungen zu senken, denn die Täter können anonym bleiben oder unter einer falschen Identität agieren. Kritisch ist außerdem, dass Mobber im Internet ein großes Publikum erreichen und andere Menschen die Taten (veröffentlichte Texte, Fotos oder Videos) kommentieren und somit unterstützen können.
WhatsApp, Facebook oder Snapchat sind mögliche Kanäle, auf denen Cyber-Mobbing stattfindet. Eltern sollten stutzig werden und nachforschen, wenn sie feststellen, dass ihre Kinder sich aus dem Freundeskreis in die virtuelle Welt zurückziehen, nicht mehr zur Schule gehen möchten, unter körperlichen Symptomen leiden oder die Schulleistungen sich drastisch verschlechtern. Beim Cybermobbing ist es ratsam, ein Tagebuch über die Zeitpunkte der Attacken zu führen, das Gespräch mit den Tätern zu suchen und sich an den Betreiber der entsprechenden Plattform zur Sperrung des Täterprofils zu wenden. In gravierenden Fällen sollte bei der Polizei Strafanzeige erstattet werden.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 02/19 ab Seite 56.
Martina Görz, PTA, Psychologin und Fachjournalistin