Vom Kinderwunsch zum Wunschkind
17 Minuten
01. August 2022
Die Engländerin Louise Brown arbeitet als Büroangestellte in einer Spedition, sie hat zwei Söhne und sagt von sich selbst, sie sei nichts Besonderes. Und doch wurde ihre Geburt im Juli vor 44 Jahren von Wissenschaftlern und Ärzten frenetisch gefeiert: als Sieg der Medizin über die Natur. Louise Brown war das erste „Retortenbaby“ – wie es damals in den Medien hieß – der erste Mensch, der im Reagenzglas gezeugt wurde: eine In-vitro-Fertilisation, kurz IVF.
Dem durchführenden Biologen Robert Edwards wurde für diese wissenschaftliche Leistung im Jahr 2010 der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin verliehen. Was zur damaligen Zeit so manchen mit Angst erfüllte und vielen alles andere als geheuer war, ist heute nun wirklich nichts Besonderes mehr, über acht Millionen Kinder wurden seitdem weltweit durch künstliche Befruchtung gezeugt.
In Deutschland kommen zurzeit jährlich rund 20 000 Babys nach assistierter Befruchtung zur Welt. Das sind etwa 2,6 Prozent aller Neugeborenen. Nach aktuellen Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) bleibt jedes siebte Paar ungewollt kinderlos.
Steril oder infertil? Ursächlich können Sterilität oder Infertilität sein. Per Definitionem spricht man von Sterilität, wenn sich innerhalb eines Jahres trotz regelmäßigem Geschlechtsverkehr keine Schwangerschaft einstellt. Man unterscheidet zwischen einer primären und einer sekundären Sterilität.
Unter ersterer versteht man, dass die Frau in ihrem Leben noch nie schwanger war, während Frauen mit einer sekundären Sterilität bereits irgendwann in ihrem Leben eine Schwangerschaft erzielt haben, egal ob diese in einer Geburt, einer Fehlgeburt, einer Eileiterschwangerschaft oder einem Schwangerschaftsabbruch endete.
Im Gegensatz zur Sterilität bedeutet Infertilität das Unvermögen, eine Schwangerschaft auszutragen. Infertile Frauen werden meist spontan, also ohne ärztliche Hilfe, schwanger, erleiden dann aber im weiteren Verlauf Fehlgeburten. Ist bei einem oder beiden Partnern die Fruchtbarkeit (Fertilität) mehr oder weniger stark eingeschränkt, spricht man von einer Subfertilität.
LERNZIELE
Lernen Sie in dieser von der Bundesapothekerkammer akkreditierten Fortbildung unter anderem,
+ welche Ursachen die Fertilität einschränken,
+ welche Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung in Deutschland erlaubt sind,
+ die Abläufe einer künstlichen Befruchtung kennen,
+ welche Medikamente bei der künstlichen Befruchtung eingesetzt werden,
+ mit welchen Tipps Sie die Kundin in der Apotheke unterstützen können und
+ wie Sie die Rezepte korrekt mit der Krankenkasse abrechnen.
Mögliche Ursachen Woran liegt es, dass Paare ungewollt kinderlos bleiben? Es gibt zahlreiche Gründe, warum sich trotz regelmäßigen Verkehrs kein Nachwuchs einstellt. Um allen Vorurteilen zuvor zu kommen: Diese Gründe verteilen sich aus medizinischer Sicht auf Mann und Frau zu gleichen Teilen. Gelegentlich kommt es vor, dass kein eindeutiger medizinischer Grund gefunden wird, man spricht dann von einer „idiopathischen Sterilität“. In den meisten Fällen kann den Paaren durch eine gezielte Therapie geholfen werden. Zu den fertilitätseinschränkenden Faktoren zählen:
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Alter: Eine der häufigsten Ursachen für Subfertilität ist das Alter des Paares, denn die Fruchtbarkeit nimmt mit zunehmendem Alter ab. Während die Wahrscheinlichkeit schwanger zu werden bei einer 20- beziehungsweise 30-jährigen gesunden Frau pro Monat 30 beziehungsweise 20 Prozent beträgt, reduziert sie sich bis zum 40. Lebensjahr auf 2 Prozent. Aber auch bei Männern lässt die Fruchtbarkeit ab dem 40. Lebensjahr nach und kann ursächlich für eine ausbleibende Schwangerschaft sein.
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Probleme beim Eisprung: Bei etwa 20 Prozent der Betroffenen ist die Monatsblutung unregelmäßig oder bleibt ganz aus. Dies kann unterschiedliche Ursachen haben. Dazu gehört zum Beispiel das Polyzystische Ovarsyndrom (PCOS, s. unten) als häufigste endokrine Störung der Frau. Auch bei starkem Über- oder Untergewicht kann der monatliche Eisprung ausbleiben. Behandlungsoptionen: Gewichtsoptimierung, hormonelle Stimulation der Eierstöcke mit nachfolgender Auslösung des Eisprungs.
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Hormonelle Störungen: Hyperprolaktinämie, Hyperandrogenämie, Hypo- oder Hyperthyreose. Behandlungsoptionen: spezifische hormonelle Behandlung.
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Blockierte Eileiter: Bei etwa 10 Prozent der Paare wird eine tubare Sterilität diagnostiziert. Ursache können Verklebungen oder Vernarbungen nach früheren Infektionen sein, beispielsweise mit Clamydien, Trichomonaden oder Gonokokken, oder nach Bauchoperationen. Behandlungsoptionen: chirurgische Öffnung der Eileiter, IVF.
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Endometriose: Sie führt bei der Hälfte aller betroffenen Frauen zu Unfruchtbarkeit. Behandlungsoptionen: medikamentös, chirurgisch; gegebenenfalls ist eine künstliche Befruchtung erforderlich.
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Gebärmuttermyome (oder Uterusmyome): Diese gutartigen Muskelgeschwulste in der Gebärmutter oder ihrer Umgebung können die Einnistung beziehungsweise die Entwicklung von Embryonen in der Gebärmutter beeinträchtigen oder die Eileiter blockieren. Behandlungsoptionen: medikamentös oder chirurgisch.
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Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS): Viele kleine Follikel in den Eierstöcken reifen nur bis zu einer gewissen Größe (6-8 mm) heran und „bleiben dann stehen“ (Follikelarrest), keiner dieser Follikel wächst von alleine zum sprungbereiten Eibläschen heran – damit bleibt der Eisprung aus und die Frauen können nicht konzipieren. Nur ganz selten kommt es bei Frauen mit PCOS ohne Stimulationsbehandlung zum spontanen Eisprung. Sie benötigen daher in den allermeisten Fällen eine hormonelle Stimulation. Behandlungsoptionen: medikamentös, chirurgisch; IVF/ ICSI.
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Bildung von Antikörpern gegen Sperma. Behandlungsoptionen: Intrauterine Insemination (IUI) oder IVF/ICSI.
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Frühe Menopause: Die Menopause kann in seltenen Fällen schon vor dem 40. Lebensjahr auftreten. Bei den betroffenen Patientinnen sind dann keine Eizellen mehr vorhanden. Behandlungsoptionen: In diesen Fällen hilft nur die Eizellspende, die jedoch in Deutschland verboten ist.
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Weitere Risikofaktoren für Subfertilität sind Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum, bestimmte Arzneimittel, Umweltschadstoffe, chronische Erkrankungen.
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Kann die langjährige Einnahme der „Pille“ zu Unfruchtbarkeit führen? Nein, selbst nach langjähriger Pilleneinnahme kommt es nach Absetzen nicht zu einer Einschränkung der Fertilität