Mikrobiom
PTA-Fortbildung

Mensch und Mikrobiom – eine innige Beziehung

Auf jede menschliche Zelle in unserem Körper kommt aktuellen Schätzungen zufolge mindestens eine Bakterienzelle. Diese besondere Beziehung geht weit über Wirt und Bewohner hinaus – Mikroben beeinflussen unsere Stimmung, Verdauung und unseren Gesundheitszustand.

16 Minuten

Krank durch die „falschen“ Bakterien?

Zum Zusammenhang zwischen der Mikrobiom-Zusammensetzung und der Ausbildung verschiedener Krankheiten gibt es zahlreiche Studien. Die Frage, die sich hier stellt, ist, wie kam man eigentlich auf die Idee, dass hier ein Zusammenhang bestehen könnte? Grundlage hierfür bildet die Hygiene-Hypothese. Sie stellt den Versuch dar, den rasanten Anstieg von Asthma und Heuschnupfen der letzten Jahrzehnte in Industrieländern zu erklären.

Demnach soll eine übertriebene Hygiene beziehungsweise der mangelnde Kontakt mit Umweltmikroben in der Kindheit dazu beigetragen haben, dass immer mehr Allergien auftreten. Nach aktuellem Kenntnisstand sollen im Umkehrschluss folgende Faktoren vor der Ausprägung von Allergien schützen:

  • frühzeitige Kontakte mit vielen anderen Kindern (Krippe, Kita, Großfamilie),
  • das Aufwachsen auf einem Bauernhof sowie der Kontakt mit (Haus-) Tieren, wobei heterogene Studienergebnisse diesen Faktor in seiner Bedeutung abschwächen.

In diesem Zusammenhang zeigten Untersuchungen, dass sich das Mikrobiom gesunder Probanden von dem kranker Probanden unterschied – es befand sich in Dysbiose. Wo jedoch der Ursprung liegt, also ob ein gestörtes Mikrobiom die Ausbildung verschiedener Krankheitsbilder bewirkt oder ob die Veränderungen mit der Erkrankung einhergeht, gilt bislang als ungeklärt – ein klassisches Henne-Ei-Problem. Für die Hygiene-Hypothese sprechen Untersuchungen aus ärmeren Regionen der Welt. Menschen in Entwicklungsländern, die traditionell mit ihrem Vieh auf dem Land leben, leiden auffallend seltener an Allergien.

Die Häufigkeit von Allergien steigt mit der Verstädterung. Ein Allergievergleich in Ost- und Westdeutschland zeigt, dass es zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung in Ostdeutschland weitaus weniger Allergien als im Westen gab. Liegt es daran, dass im Osten mehr Kinder schon sehr früh in Kinderkrippen erzogen wurden? Fakt ist, nach der Wende haben sich die Lebensverhältnisse angeglichen und schon nach wenigen Jahren gab es ähnlich viele Allergien im Osten wie im Westen.

Als am besten untersucht gilt das Darmmikrobiom. Veränderungen im gastrointestinalen Mikrobiom liegen demnach sowohl bei Magen-Darm-Erkrankungen als auch bei extraintestinalen Erkrankungen der Haut, der Lunge oder des Urogenitaltraktes vor. Ein sicherer Zusammenhang zwischen gestörtem Mikrobiom und Krankheit besteht nach aktuellem Kenntnisstand bei:

  • Antibiotika-assoziierter Diarrhö,
  • infektiösen Durchfällen und Darmmykosen,
  • chronischen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Colitis ulcerosa,
  • Nahrungsmittelunverträglichkeiten und
  • dem postinfektiösen Reizdarmsyndrom (PI-RDS).

Einen schwachen Zusammenhang vermutet man bei:

  • chronischer Obstipation,
  • dem Reizdarmsyndrom als Krankheitskomplex und
  • dem kolorektalen Karzinom. 

Aufgrund der Bedeutung des Mikrobioms für unseren Stoffwechsel liegt die Vermutung nahe, dass auch hier Zusammenhänge zwischen Mikrobenzusammensetzung und Stoffwechselerkrankungen bestehen könnten. Hinweise gibt es bislang bei Adipositas oder Diabetes mellitus Typ 2. So brachte der Bakterien-Transfer übergewichtiger Mäuse auf sterile, normalgewichtige Mäuse diese dazu, bei gleicher Fütterung rapide zuzunehmen und daraus resultierende Stoffwechselstörungen (Diabetes, metabolisches Syndrom) zu entwickeln.

Im Falle von Adipositas ist man sogar so weit, einen einzelnen Vertreter mit der Krankheit zu verbinden: bei hochkalorischer Ernährung nahm die Besiedelung mit Clostridium ramosum signifikant zu. Die veränderte mikrobielle Zusammensetzung könne so zum einen eine erhöhte fermentative Kapazität aufweisen, also mehr Energie aus der aufgenommenen Nahrung zur Verfügung stellen. Und andererseits solche Bakterienarten verdrängen, deren kurzkettige Carbonsäuren katabole (also abbauende) Stoffwechselvorgänge beschleunigen.

Doch ein gestörtes Mikrobiom findet sich auch bei zahlreichen anderen Krankheitsbildern wie beispielsweise:

  • immer wiederkehrenden Harnwegsinfekten,
  • rezidivierenden Vaginalmykosen sowie bakteriellen Vaginosen,
  • einzelnen Ausprägungen des rheumatoiden Formenkreises,
  • atopischen Hautveränderungen (Neurodermitis, Psoriasis, Urtikaria),
  • Allergien (inklusive Haut und Atemwege).

Durch die mittlerweile als gesicherte geltende Kommunikation zwischen Zentralem Nervensystem und Mikrobiom geht man sogar noch weiter. Mikrobiomforscher vermuten, dass jegliche Krankheiten, bei deren Entstehung auch Stress eine Rolle spielt, wie Angststörungen, Depressionen oder Autismus, durch die mikrobielle Zusammensetzung getriggert werden. Gleiches gilt für (Autoimmun-) Krankheiten, in deren Pathogenese proinflammatorische Prozesse beteiligt sind, wie beispielsweise bei Multipler Sklerose.

Arzneimittel und mikrobielle Veränderungen

Alles, was wir zu uns nehmen, beeinflusst nicht nur unsere humanen, sondern auch unsere mikrobiellen Körperfunktionen. Das betrifft auch Arzneistoffe. Zu allererst natürlich antimikrobielle Wirkstoffe wie Antibiotika, indem sie sensible Mikroorganismen abtöten. Dies merkt man nicht zuletzt an gastrointestinalen Nebenwirkungen wie Durchfall, Blähungen oder Schmerzen, die die meisten Substanzen mit sich bringen. Aber auch an Pilzinfektionen, die viele Menschen nach einer Antibiotikabehandlung ausbilden.

Ein Erklärungsansatz hierfür wäre, dass die leeren Plätze der abgetöteten Bakterien von Hefepilzen besiedelt werden. Dabei lässt sich im Vorfeld weder abschätzen, in welchem Ausmaß diese unerwünschten Wirkungen stattfinden, noch welche Folgen dies mit sich bringen könnte. Wobei die Häufigkeit der Verordnungen innerhalb einer bestimmten Zeitspanne eine Rolle zu spielen scheint. In der Regel erholt sich die mikrobielle Gemeinschaft innerhalb einiger Wochen wieder. Bei manchen Menschen sind jedoch langanhaltende Veränderungen nachweisbar, teils auch mit gesundheitlichen Folgen.

Doch auch bei anderen Arzneimittelgruppen findet man zunehmend Hinweise auf ein Wechselspiel mit dem Mikrobiom – erstmals im Jahr 2016. Zahlreiche Wirkstoffgruppen wurden seither unter die Lupe genommen und ihre Auswirkung auf bestimmte Vertreter des Mikrobioms untersucht, darunter Laxanzien, hormonelle Kontrazeptiva, Mesalazin, Benzodiazepine, Antidepressiva, Antihistaminika, Protonenpumpeninhibitoren, Statine, Betablocker, Opiate, Metformin, ACE-Hemmer und Blutplättchen-Aggregationshemmer.

Und alle zeigten Auswirkungen auf das Mikrobiom: Sie beeinflussten das Wachstum bestimmter Arten, unterdrückten das Wachstum anderer Arten oder variierten deren Stoffwechselaktivität. Weder die genauen Wirkmechanismen noch die Auswirkungen für die Gesundheit, aber auch auf den ursächlich behandelnden Krankheitsverlauf sind bislang geklärt. Aber mit der Mikrobiomforschung scheint ein entscheidender Faktor in der ganzheitlichen Betrachtung von Pharmakotherapie mit ins Spiel gekommen zu sein.

So scheint es beispielsweise Hinweise darauf zu geben, dass Metformin einen Teil seiner antidiabetischen Wirkung dem Wechselspiel mit dem Mikrobiom zu verdanken hat. Forschende fanden zudem heraus, dass die gleichzeitige Gabe bestimmter Wirkstoffe positive synergistische Begleiteffekte hervorrief. Werden beispielsweise Betablocker zusammen mit Diuretika verabreicht, stiegt nachweislich die Konzentration der Bakteriengattung Roseburia, die im Körper antientzündliche Prozesse anstößt. 

Nicht nur Arzneistoffe haben einen Einfluss auf das Mikrobiom: Je nach mikrobieller Zusammensetzung scheinen bestimmte Therapien oder auch Impfstoffe eher anzuschlagen als bei anderen.

Bakterien als Medizin

1995 fand der funktionelle Joghurt Einzug in das deutsche Kühlregal. Seitdem ist viel passiert – Pro- und Präbiotika sind mittlerweile fester Bestandteil des Nahrungsergänzungsmittelmarktes. Sie finden sich in Medizinprodukten, Lebensmitteln oder bilanzierten Diäten. Letzte Marktzahlen aus dem Jahr 2019 zeigten einen Wirtschaftszuwachs von 15 Prozent auf insgesamt 152 Millionen Euro, womit Probiotika rund sieben Prozent des Gesamtumsatzes mit Nahrungsergänzungsmitteln ausmachten.

Doch von was genau sprechen wir eigentlich? Zum einen gibt es Probiotika, Zubereitungen, die lebende Mikroorganismen enthalten. Sie zählen zu den Funktionslebensmitteln und sollen sich in ausreichender Konzentration aufgenommen im Darm ansiedeln und dort gesundheitsfördernde Effekte erzielen. Präbiotika dagegen enthalten keine lebenden Bestandteile, sondern Futter für nützliche Darmmikroben wie lösliche Ballaststoffe, Inulin oder Oligosaccharide. Synbiotika stellen eine Fusion aus Pro- und Präbiotikum dar. Mittlerweile gibt es zahlreiche Präparate aus allen drei Kategorien, mitunter enthalten sie noch weitere Inhaltsstoffe wie bestimmte Vitamine oder Mineralstoffe. 

Evidenzbasierte Daten über den versprochenen gesundheitsfördernden Effekt existieren wenige. Lediglich Leitlinien aus dem Bereich der gastrointenstinalen Erkrankungen sprechen Empfehlungen aus. So hat die S3-Leitlinie zur Behandlung des Reizdarmsyndroms verschiedene Bakterienstämme als therapeutische Alternative aufgenommen, wobei sich die Auswahl nach der jeweiligen Symptomatik richtet (Schmerz, Blähungen, Verstopfung, Durchfall).

Nach aktueller Studienlage eignen sich einzelne Arten aus den Gattungen der Bifidobakterien, Lactobazillen, Escherichia coli, sowie Saccharomyces cerevisiae. Auch ein Kombinationspräparat mehrerer Spezies wird in der Leitlinie genannt. Auch die aktuelle Leitlinie zur Behandlung chronischer Obstipation spricht sich für einen Therapieversuch mit Probiotika aus. 

Bei antibiotikaassoziierter Diarrhoe (AAD) hat sich der Einsatz bestimmter Probiotika-Stämme beweisen können. Das rechtfertigt allerdings nicht den pauschalen Satz „Zu jedem Antibiotikum ein Probiotikum empfehlen“. Dafür weiß man viel zu wenig über die Auswirkungen auf das individuell gestaltete Darmmikrobiom. Ein Cochrane-Review verglich zur Prophylaxe einer AAD bei Kindern vier verschiedene Probiotika. Am ehesten konnten sie prophylaktisch Lactobacillus rhamnosus und Saccharomyces boulardii in einer Dosierung von 5 bis 40 Milliarden koloniebildenden Einheiten (KBE)/Tag empfehlen, da sich auch die Verträglichkeit insgesamt als gut herausstellte.

Dennoch seien Einzelfälle mit schweren unerwünschten Wirkungen bei immungeschwächten Personen beobachtet worden. Bei Menschen, die Immunsuppressiva einnehmen oder eine Chemotherapie durchlaufen, sollte man daher vorsichtig mit einer Empfehlung sein. Manche Hersteller weisen dies auch in ihrem Beipackzettel aus. Ein weiterer Cochrane-Review von 2017 konnte zeigen, dass sich durch die Gabe eines Probiotikums während einer Antibiotikatherapie das Risiko für eine Clostridium-difficile-assoziierten Diarrhö (CDAD) reduzieren ließe, doch nicht die Infektion mit dem Problemkeim an sich. 

Revival der Stuhltransplantation

Lange galt es als antiquierte Methode, nun scheint es eine echte Alternative bei der Behandlung komplizierter, rezidivierender Clostridium-difficile-Infektionen zu sein: die Transplantation von Darmbakterien gesunder Probanden. Dabei sollte der Spender mit dem Empfänger verwandt sein oder im gleichen Haushalt leben.
Der Spenderstuhl wird untersucht, aufbereitet und dann entweder während einer Koloskopie in den Dickdarm geschwemmt oder über eine Nasensonde in den Dünndarm geleitet. Auch gefriergetrocknete und anschließend verkapselte, individuell hergestellte Arzneiformen werden mitunter verabreicht.
Die Heilungschancen bei Clostridium-difficile-Infektionen liegt bei 90 Prozent. Ob sich die Methodik auf andere Krankheitsbilder mit verändertem Mikrobiom übertragen lässt, ist derzeit Bestandteil der Forschung.

Im Falle extraintestinaler Erkrankungen wird die Datenlage dünner. Die S3-Leitlinie zu akutem und chronischen Husten spricht Vertretern der Lactobazillen, Streptokokken und Bifidobakterien eine geringe Evidenz zu – bezogen auf die Anzahl der akuten Infektionsepisoden und der Dauer der Erkrankung. Einzelne positive Studienbelege sprechen für einen individuellen Therapieversuch bei Neurodermitis, hier scheinen auch Synbiotika sinnvoll.

Im Falle der Prävention atopischer Erkrankungen ist die Datenlage strittig. Und für allergische Erkrankungen im Allgemeinen, eingeschlossenen Asthma, gerade im Bereich der Prävention im Säuglingsalter, fehlt jegliche Datenlage. Das bedeutet nicht, dass nach Betrachtung aller Gegebenheiten inklusive des Menschen und seines Lebensstils ein individueller Therapieversuch mit Pro-, Prä- oder Synbiotika nicht doch sinnvoll sein kann.

Wer weiß, was die nächsten Jahrzehnte an Erkenntnissen liefern werden? Doch für die meisten beworbenen Einsatzgebiete fehlt zurzeit die allgemeingültige Empfehlung. Auch der Ansatz „Im schlimmsten Fall wirkt es nicht, schadet aber auch nicht“, besitzt keine Allgemeingültigkeit. Entscheidend ist hier die Beratung.


Die Autorin versichert, dass keine Interessenkonflikte im Sinne von finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten bestehen, die von den Inhalten dieser Fortbildung positiv oder negativ betroffen sein könnten.

Hier finden Sie die PTA-Fortbildung der Ausgabe 06/2023 als PDF-Download.

×