Mikrobiom
PTA-Fortbildung

Mensch und Mikrobiom – eine innige Beziehung

Auf jede menschliche Zelle in unserem Körper kommt aktuellen Schätzungen zufolge mindestens eine Bakterienzelle. Diese besondere Beziehung geht weit über Wirt und Bewohner hinaus – Mikroben beeinflussen unsere Stimmung, Verdauung und unseren Gesundheitszustand.

16 Minuten

Das humane Mikrobiom im Überblick

Wird vom Mikrobiom gesprochen, meint man zumeist lediglich die im Darm lebenden Mikroben. Zwar scheint hier der Großteil unserer Untermieter zu leben, doch besiedeln sie auch andere Körperregionen:

  • Haut und Schleimhäute,
  • Mund- und Nasenrachenraum,
  • Lunge,
  • Urogenitaltrakt,
  • den gesamten Magen-Darm-Trakt.

Dabei hat jeder Vertreter seine eigenen Aufgaben: Manche besiedeln in großer Zahl unsere Haut- und Schleimhäute, machen ihr eigenes Ding und belegen so jedoch gleichzeitig Platz für potenziell krankmachende Mikroben, was uns vor Krankheiten schützt. Andere wiederum produzieren aktiv humane Stoffwechselprodukte wie beispielsweise Vitamine oder essenzielle Aminosäuren oder senden Botenstoffe an humane Zielstrukturen.

Auf diese Weise kommunizieren beispielsweise Darmbakterien mehrerer Hinweise zufolge direkt mit unserem Zentralnervensystem, beeinflussen Hunger und Verdauung. Oder trainieren unser Immunsystem – manche Forschende zählen das Mikrobiom gleich zum humanen Immunsystem hinzu.

Und dafür gibt es einige Argumente: So helfen uns Mikroben der Lunge oder der Haut Krankheitserreger davon abzuhalten, in den Körper einzudringen; Lactobazillen stabilisieren den Vaginal-pH-Wert und Darmbakterien verdrängen Durchfallerreger wie Clostridium difficile. All diese Mikroben gehören zur physiologischen Grundbesiedelung. 

Dann gibt es aber auch solche, die unser Körper zwar schadensfrei toleriert, die jedoch Probleme verursachen können, wenn sie sich stark vermehren. Zu diesen fakultativ pathogenen Erregern zählen beispielsweise kariesauslösende Bakterien oder der Hefepilz Candida albicans. Ist unsere physiologische Grundbesiedelung jedoch gesund, also „im Gleichgewicht“, hält sie diese Vertreter in Schach. Umgekehrt heißt das aber auch, dass diese potenziell krankmachenden Bakterien oder Pilze in tolerablen Mengen zu einem gesunden Mikrobiom dazugehören.  

Auch den ein oder anderen obligat pathogenen Erreger findet man gelegentlich – das lässt sich durch unseren täglichen Umweltkontakt kaum vermeiden. Dennoch haben diese innerhalb einer vielfältigen, gesunden physiologischen Besiedelung keine große Chance sich anzusiedeln. Im besten Fall werden sie sogar als schädlich erkannt und bekämpft.

Mit der Geburt fängt alles an

Jeder Mensch ist einzigartig, auch in seiner Zusammensetzung des Mikrobioms. Natürlich gibt es in einem geeignet großen Stichprobenumfang deckungsgleiche Muster, die auf bestimmte Stoffwechseleigenschaften oder Verhaltensmuster hinweisen können – ein wichtiger Aspekt der Mikrobiomforschung. Dennoch: Wie der Fingerabdruck auch, existiert jedes Mikrobiom nur einmal.

Doch wann beginnt der Mensch eigentlich mit der Ausbildung seines einzigartigen Bakterienmusters? Ob der ungeborene Fötus bereits Mikrobenkontakt hat oder nicht, wird seit langer Zeit diskutiert. Einzelne Untersuchungen fanden mikrobielles Vorkommen im Mekonium (dem ersten Stuhl des Säuglings), der Plazenta sowie dem Fruchtwasser. Aus dem Tierreich ist bekannt, dass Mütter bereits vorgeburtlich ihre mikrobiellen Informationen weitergeben, das wurde beispielsweise bei Tsetsefliegen, Muscheln oder Schildkröten beobachtet. Lässt sich dieses Phänomen also auch auf den Menschen übertragen?

Ein internationales Expertenkonsortium sagt nun: Nein, die wissenschaftliche Annahme ist unbegründet, die Daten stammten aus verunreinigten Proben. Man kann also davon ausgehen, dass Fruchtwasser und Plazenta eine sterile Umgebung bilden und der erste Mikrobenkontakt durch die Geburt stattfindet.

So lassen sich auch Unterschiede im Mikrobiom von kaiserschnitt- und vaginalgeborenen Säuglingen feststellen: Das Darmmikrobiom eines Kaiserschnittbabys enthält weniger Lactobazillen und Bifidobakterien – Arten, von denen man annimmt, dass sie vor der Ausbildung von Asthma, Allergien oder anderen Krankheiten schützen können. Daher empfehlen manche Experten das sogenannte Vaginal Seeding. Dabei wird Vaginalsekret der Mutter per Finger oder Gaze auf den Säugling übertragen. Eine allgemeine Empfehlung hierzu existiert jedoch nicht. 
Nach der Geburt baut sich das Kernmikrobiom in seiner vollumfänglichen Form in den ersten zwei bis drei Lebensjahren auf und ist dabei maßgeblich von seiner Umwelt abhängig: 

  • Wurde das Kind gestillt, wenn ja wie lange? 
  • Wann wurde die Beikost ein- und wie fortgeführt? 
  • Wie eng ist der Körperkontakt zu anderen Menschen? 
  • Welche Konfrontation mit Krankheitserregern oder Umweltmikroben gab es? 
  • Oder mit Medikamenten?

Epidemiologische Studien zu der Art der Zusammensetzung sowie Folgerungen über den weiteren Gesundheitszustand des Menschen – auch im Alter – gibt es einige. So gilt beispielsweise die Empfehlung der WHO, einen Säugling die ersten sechs Lebensmonate voll zu stillen und bis zum zweiten Geburtstag neben der Beikosteinführung weiter nach Bedarf zu stillen. 

Die bakterielle Zusammensetzung der Muttermilch kann eingeschränkt sein, wenn die Mutter per Kaiserschnitt entbunden hat, mit Antibiotika behandelt wurde oder übergewichtig ist.

Das legitimiert aber keine pauschalen Aussagen wie „ein ungestilltes Kind trägt immer ein lebenslang höheres Risiko bestimmte Krankheiten auszubilden.“ Dennoch ist man sich sicher, dass sich eine möglichst ausgeprägte Mikrobenvielfalt in der Gesundheit widerspiegelt.

Überwiegen bestimmte Gattungen innerhalb dieser Ordnung oder verdrängen diese viele andere Gattungen, kann es im Umkehrschluss eher zur Ausbildung bestimmter Krankheitsbilder kommen – wer in welchem Maße wie beteiligt ist, wird mehr und mehr bekannt.

Im Alter nimmt die mikrobielle Diversität übrigens ebenfalls ab. Dabei sinkt die Zahl der Lactobazillen (z.B. Lactobacillus, Enterococcus), wohingegen mehr Bacteroides (z.B. Escherichia, Enterobacter, Salmonella, Shigella) nachgewiesen werden können.

Das alternde Mikrobiom

Mit dem Alter nimmt die systemische Inflammation zu. Das nennt sich auch „Inflamm-Aging“ und meint, dass die Zahl proinflammatorischer, also Entzündungen fördernder Zytokine, im Verhältnis zunimmt. Das beeinflusst auch die Zusammensetzung des Mikrobioms. Diese Veränderungen bewirken wiederum eine schlechtere Versorgung mit Nährstoffen und geben krankmachenden Bakterien Raum zum Wachsen – was die Konzentration proinflammatorischer Botenstoffe noch verstärkt. Lebensstilveränderungen (ausgewogenene, ballaststoffreiche Ernährung und Bewegung) können das Inflamm-Aging verlangsamen und so vielfältig zu unserer Gesundheit beitragen, auch im Alter.

Mikroben im gesunden Körper

Ein gesundes Mikrobiom ist nach aktuellem Kenntnisstand vielfältig gestaltet und gleichmäßig auf seinem jeweiligen Lebensraum verteilt. Dann spricht man von Eubiose, bei Störungen von Dysbiose. Zu Beginn der Mikrobiom-Forschung war man sich über das Ausmaß des Einflusses der Mikroben auf unsere physiologischen Körperfunktionen noch unsicher. Heute wir das Mikrobiom teilweise sogar als Schlüssel- oder Superorgan betrachtet. Seine Aufgaben lassen sich grob unterteilen in:

  • Stoffwechselfunktionen: Mikroben unterstützen unseren Stoffwechsel nicht nur, sie sind als Teil davon zu betrachten. Sie produzieren lebenswichtige Vitamine wie Vitamin B12, Folsäure, Biotin und Vitamin K2, sind an der Bildung sekundärer Gallensäuren beteiligt und stellen uns letztlich Energie zur Verfügung, indem sie beim Abbau komplexer Polymere aus der Nahrung helfen. Über die Bildung kurzer Carbonsäuren wie Butyrat, Lactat und Propionat beeinflussen sie die Leberfunktion oder die Verdauung. Außerdem sind sie an der Entgiftung beteiligt, sowohl endogener wie exogener Stoffe.
  • Barrierefunktion: Eine lückenlose, vielfältige Mikrobenbesiedlung verhindert die Ansiedelung krankmachender Erreger und ist Teil weiterer Körperbarrieren, indem sie deren Aufbau, Funktionalität und Stabilität unterstützt.
  • Immunsystemtraining: Über seine Stoffwechselaktivität trägt das Mikrobiom auch zur Steuerung des Immunsystems bei. So sezernieren sie Stoffe, die beispielsweise regulatorische T-Zellen aktivieren können. Studien legen den Schluss nahe, dass Mikroben unser Immunsystem trainieren, indem sie es auch außerhalb realer Bedrohungen in einem stets bereiten Zustand halten. Auf diesem Weg kann es schnell auf eindringende Krankheitserreger reagieren. Mäuse, die komplett steril aufwachsen, zeigen eine deutlich unterentwickelte Immunantwort und sind anfälliger für Infektionskrankheiten. Das dient letztlich auch purem Eigennutz. Denn ohne diese Sensibilisierung des Immunsystems würde es das Mikrobiom selbst angreifen. So kennt es den Unterschied zwischen Freund und Feind und kann im Notfall direkt in Alarmbereitschaft übergehen.

Nahezu jeder dritte Metabolit unseres Körpers ist mikrobiellen Ursprungs.

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