SARS-CoV-2
PTA-Fortbildung

Long-COVID – Langes Nachspiel

Mit Fortschreiten der COVID-19-Pandemie zeigt sich, dass immer mehr Infizierte noch Wochen und Monate nach einer Infektion mit dem Erreger SARS-CoV-2 von Spät- und Langzeitfolgen betroffen sind. Was steckt dahinter und was können Sie Betroffenen raten?

21 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. April 2023

Komplexes Krankheitsbild

Zugleich betonte die WHO, dass die gesundheitlichen Probleme nach einer SARS-CoV-2-Infektion vielfältig sind. Betroffene berichten von einer Vielzahl von Symptomen, die unterschiedliche Organe treffen können. Die Liste der Symptome ist lang. Mittlerweile werden mehr als 200 Symptome mit Long-COVID in Verbindung gebracht. 

Drei Symptome hob die WHO bereits letztes Jahr hervor:

  • Erschöpfung (Fatigue),
  • Kurzatmigkeit,
  • neurokognitive Beeinträchtigungen („brain fog“). 

Diese Beschwerden machen noch heute viel von sich Reden. Darüber hinaus sind:

  • Husten,
  • Brustschmerzen,
  • Muskelschwäche und -schmerzen,
  • depressive Verstimmungen und Ängstlichkeit,
  • Störungen von Geschmack und Geruch,
  • Schlafstörungen,
  • Sprachstörungen und
  • Fieber typisch.

Dabei können nur einzelne oder auch mehrere Krankheitszeichen zugleich auftreten. Die Beschwerden können sich im Laufe der Zeit verändern und sich unterschiedlich stark präsentieren. Auch haben manche nur leichte gesundheitliche Probleme, andere sind dadurch wiederum so stark in ihrem täglichen Leben eingeschränkt, dass sie nicht in der Lage sind, ihren Alltag zu meistern. 

Alle Organe können betroffen sein

Zusammenfassend kann man festhalten, dass SARS-CoV-2 – wie auch in der akuten Krankheitsphase – als Multiorganvirus ein breites Spektrum an Manifestationen an zahlreichen Organen auslöst. Neben der Lunge sind beispielsweise auch Nieren, Herz, Leber und das Gehirn betroffen. Forscher sprechen auch von einem Cluster verschiedener Krankheitsbilder, die unterschieden werden können.

Fatigue – Unerklärlich müde

Eine der häufigsten Beschwerden ist die postinfektiöse chronische Erschöpfung – auch Fatigue genannt. Betroffene verspüren eine starke, anhaltende Schwäche und sind schnell erschöpft. Dieser Zustand bessert sich selbst durch Schlaf und Ruhepausen nicht. Sowohl die körperliche Fitness als auch die mentale Belastbarkeit sind eingeschränkt. Zur bleiernen Müdigkeit und der als qualvoll erlebten Erschöpfung können sich weitere Symptome wie Kopf-, Muskel-, Glieder- oder Thoraxschmerzen sowie kardiale Beschwerden einstellen. 

Auch kognitive Beeinträchtigungen sind keine Seltenheit. Betroffene sprechen von einem „Nebel in ihrem Gehirn“, der klares Denken verhindere. Die Medizin spricht vom „brain fog“. Die mentale Vernebelung ist mit Störungen der Konzentration, der Informationsverarbeitung, der Handlungsplanung, des Gedächtnisses, der kognitiven Leistungsfähigkeit und möglicherweise mit Wortfindungsstörungen verbunden. Praktisch bedeutet das, dass die Betroffenen Probleme haben, ihren Tag oder anstehende Aufgaben richtig zu planen. Manchen geht es so schlecht, dass sie nicht mehr das Haus verlassen können. Teilweise sind sie sogar bettlägerig.

Chronisches Fatigue-Syndrom - Nichts geht mehr

Häufig kommt es zur starken Krankheitsverschlechterung selbst nach geringfügiger körperlicher oder geistiger Anstrengung. Dieses Phänomen beschreiben die Betroffenen selbst als den totalen „Crash“. Mediziner sprechen von einer Belastungsintoleranz oder PEM für Post-Exertionelle Malaise. Typischerweise stellt sich die Verschlechterung oft erst am Folgetag der Belastung ein und kann tage- oder wochenlang andauern.

Die Betroffenen sind dann so schwer in ihrer Lebensführung eingeschränkt, dass sie nicht mehr in der Lage sind, ihren Alltag zu bewältigen geschweige denn zur Arbeit zu gehen. Kindern und Jugendlichen kann der Schulbesuch unmöglich werden.

Die Leitlinie spricht bei dieser postinfektiösen Symptomatik auch von einem Chronischen Fatigue-Syndrom (CFS), wenn bei Patienten im Alter unter 60 Jahren schwere Fatigue mit Belastungsintoleranz, kognitiven Störungen und Schmerzen auftreten und diese für mehr als sechs Monate bestehen. Gängiges Synonym ist auch Myalgische Encephalomyelitis (ME), weshalb man für das Chronische Fatigue-Syndrom meist die kombinierte Abkürzung ME/CFS benutzt.

Ein solcher Zustand ist nicht nur nach durchgemachter SARS-CoV-2-Infektion bekannt, sondern kann auch nach anderen viralen oder bakteriellen Erkrankungen (z. B. Epstein-Barr-Virus (EBV), Humanes Herpesvirus (HHV), Rickettsien) sowie nach (intensivmedizinischen) Krankenhausbehandlungen auftreten. Ebenso kommt es häufig bei Autoimmunerkrankungen wie der Multiplen Sklerose dazu.

Erklärungsmodelle für Fatigue

Zahlreiche Forschungsaktivitäten beschäftigen sich mit den potenziellen Ursachen für die Fatigue. Eine eindeutige Antwort konnte bislang noch nicht gefunden werden. Auf der Website des Fatigue Centrums der Berliner Charieté findet sich die Aussage, dass Ursache meistens nicht das Virus selbst sei, sondern wahrscheinlich das Immunsystem, das nach der Infektion noch nicht wieder zu Ruhe gekommen ist.

Zudem geht man prinzipiell davon aus, dass sowohl COVID-19-bedingte Organschädigungen als auch psychische Komorbiditäten bei der Entstehung eine Rolle spielen. Allerdings weiß man auch, dass ebenso Personen eine Fatigue entwickeln können, bei denen sich keine Schäden an Organen finden lassen und nicht alle Betroffenen klinische Kriterien für psychische Erkrankungen erfüllen. 

Unter den möglichen Mechanismen für die krankhafte Erschöpfung und ihre begleitenden Beschwerden wird unter anderem eine Beeinträchtigung der Feinsteuerung der Blutverteilung unter Belastung angenommen. Sie soll bei Anstrengung zu einer verminderten Sauerstoffversorgung von Gehirn und Muskeln führen.

Zudem deutet vieles darauf hin, dass die durch SARS-CoV-2 bedingten Fehlregulationen des Immunsystems neurologische Symptome auslösen. Die im Übermaß freigesetzten Zytokine sollen dabei ebenso eine Rolle spielen wie Auto-Antikörper und die dadurch ausgelösten Entzündungsreaktionen im Gehirn und Rückenmark beziehungsweise im ganzen Körper.

Auch in der S1-Leitlinie wird keine abschließende Antwort auf die möglichen Erklärungsmodelle zur Pathogenese der Fatigue gegeben. Hier werden einige der Mechanismen aufgelistet, die die Experten für denkbar halten: „low-grade“-Inflammation, Auto-Antikörper, verminderte Durchblutung/Hypoperfusion/Mikrothromben, eine autonome Dysfunktion, Hyperkapnie (erhöhter CO2-Gehalt im Blut) sowie die Persistenz von Virusbestandteilen.

Kurzatmigkeit – Die Luft bleibt weg

Allgemeine Kurzatmigkeit, Beklemmungsgefühle im Brustkorb, Luftnot in Belastungssituationen – auch diese Symptome zählen zu den häufigsten Spätfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion. Selbst bei leichter körperlicher Aktivität wie Treppensteigen oder Spazierengehen bleibt den Betroffenen die Luft weg. Laut der Patientenleitlinie „Long-/Post-COVID-Syndrom“ berichtet etwa jeder dritte Patient nach überstandener Infektion über Atembeschwerden, die mehrere Wochen lang anhalten. Besonders häufig bleibt die Lungenfunktion nach einem schweren Krankheitsverlauf eingeschränkt. Aber auch ein milder Verlauf kann zu Atemproblemen führen. 

Leitlinien

Ein umfassender Überblick über Long-/Post-COVID findet sich sowohl in der S1-Leitlinie „Long-/Post-COVID“ (1) als auch in der darauf basierenden Patientenleitlinie „Long-/Post-COVID-Syndrom“ (2). Abrufbar sind diese unter

(1) https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-027l_S1_Post_COVID_Long_COVID_2022-08.pdf
(2) https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-027p_S1_Post_COVID_Long_COVID_2021-12.pdf

Während die S1-Leitlinie sich an medizinisches Fachpersonal richtet und auf Empfehlungen zur Diagnostik und Therapieoptionen fokussiert, erklärt die Patientenleitlinie, wie sich Betroffene verhalten können.

Pneumologen führen dies auf eine Entzündung der Blutgefäße in der Lunge zurück, woraus eine mangelnde Sauerstoffaufnahme der Lunge (eingeschränkte Diffusionskapazität) resultiert. Bei schweren Krankheitsverläufen kann es zudem zu massiven Gewebeschäden und einem Umbau der feinen Blutgefäße in der Lunge kommen (Fibrose).

Da dieser Prozess typischerweise erst zwei bis drei Wochen nach Symptombeginn der akuten Infektion und folglich mit Sinken der Viruslast eintritt, gehen die Mediziner davon aus, dass nicht die Viren selber, sondern das überreagierende Immunsystem dafür verantwortlich ist. 

Allerdings sind anhaltende Veränderungen der Lunge, die im Röntgenbild oder CT sichtbar werden, laut Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) selten. Selbst nach einer Lungenentzündung durch SARS-CoV-2 mit Krankenhausaufenthalt und Beatmung würden sich die meisten Veränderungen der Lunge wieder vollständig zurückbilden.

Zu den Betroffenen zählen häufig Asthma-Patienten, da sich SARS-CoV-2 wie auch andere Atemwegsviren negativ auf die bereits bestehende chronische Lungenerkrankung auswirken kann. Die Kurzatmigkeit wird aber nicht nur durch Lungenprobleme hervorgerufen. Es ist auch möglich, dass eine Entzündung des Herzmuskels sowie die chronische Erschöpfung mit Atemnot einhergehen.

Riech- und Schmeckstörungen – Ein Frühsymptom

Dass der Geruchssinn durch die COVID-Infektion häufig längerfristig gestört ist, stellte sich bereits am Anfang der Pandemie heraus. Mittlerweile ist die Liste der Symptome, die mit dem Multiorganvirus in Verbindung gebracht werden lang. Depressive Verstimmungen Kurzatmigkeit und neurokognitive Beeinträchtigungen gehören dazu.

Ebenso zählen Störungen von Geruch (olfaktorischer Sinn) und Geschmack (gustatorischer Sinn) zu den typischen Long-COVID-Symptomen. Die Riechstörungen werden in quantitative und qualitative Riechstörungen eingeteilt. Unter einer Hyposmie wird ein vermindertes und unter einer (funktionellen) Anosmie eine sehr deutliche Einschränkung beziehungsweise der Verlust des Riechvermögens verstanden.

Dagegen bezeichnet die Parosmie eine veränderte Wahrnehmung von Gerüchen in deren Gegenwart und die Phantosmie eine Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer Reizquelle. Zudem kann es auch zu Irritationen für die Empfindung der Schärfe von Chili oder der Kühle von Menthol im Mund kommen. Für diese Einschränkung gibt es keinen medizinischen Fachbegriff. Die Fähigkeit dafür wird im Englischen Chemesthesis genannt.

Der plötzliche Verlust der Riechwahrnehmung zählt zu den Frühsymptomen von COVID-19. Die olfaktorische Störung kann auch bei ansonsten symptomfreien Personen auftreten und gilt daher als ein deutlicher Hinweis auf eine Infektion mit SARS-CoV-2. Betroffenen wird daher geraten, sich umgehend auf COVID-19 testen zu lassen. Vor allem zu Beginn der Pandemie berichteten viele Patienten darüber. Bei den derzeitigen Infektionen mit den Omikron-Varianten klagen weniger Patienten über olfaktorische oder gustatorische Beeinträchtigungen. 

Die Zahlen dazu schwanken allerdings je nach Studie. In der Regel liegen sie niedriger, wenn sich die Patienten selbst bezüglich des Riechens und Schmecken einschätzen sollen. Auch die Dauer der Störung ist verschieden. Manche Betroffene berichten, dass sie nur während der akuten Infektion darunter gelitten haben. Andere können mehrere Wochen oder gar monatelang nicht riechen oder schmecken.

Es müssen aber nicht zwangsläufig sowohl der Geruchs-, der Geschmackssinn als auch die Chemethesis betroffen sein. Geruchs- und Geschmacksstörungen treten in der Akutphase häufig gemeinsam auf, wobei das Schmecken meist schneller wieder zurückkehrt. Ein Großteil der Betroffenen berichtet über eine vollständige beziehungsweise weitgehende Besserung binnen ein bis zwei Monaten. In circa fünf bis 20 Prozent der Fälle bleiben allerdings relevante Einschränkungen zurück. 

Regeneration möglich

Als Ursache für den Geruchsverlust vermuten Forscher Schädigungen der Riechsensoren. Dabei wird ein Zusammenhang mit der hohen Expression von ACE2-Rezeptoren auf den Zellen diskutiert. ACE2-Rezeptoren gelten als Eintrittspforten, durch die SARS-CoV-2 in die Körperzellen gelangt. Da sich die Nervenzellen der Nasenschleimhaut nach rund drei Monaten regenerieren, kehrt bei den meisten der Geruchssinn nach wenigen Wochen schon zurück.

Währenddessen kommt es häufig zu Parosmien, also zu fehlerhaften Riechempfindungen. Sie werden als Zeichen gedeutet, dass sich das olfaktorische System erholt. Bei längerfristigen Ausfällen wird eine akute Entzündung angenommen, die dazu führt, dass zu Nerven- und Sinnenzellen nicht mehr richtig miteinander kommunizieren. 

Aber auch in diesen Fällen konnten Studien zeigen, dass die Sinnenfunktionen noch nach vielen Monaten zurückkehren können. Unterstützen lässt sich die Regeneration des Geruchssinns mit einem Riechtraining, das täglich zuhause durchgeführt werden sollte. Dafür riecht der Betroffene morgens und abends an den vier klassischen Düften Rose, Zitrone, Eukalyptus und Gewürznelke.

Helfen kann aber auch schon das morgendliche Schnuppern am Kaffee. Der Betroffene schult damit seine Aufmerksamkeit für Gerüche. Zugleich wird eine Regeneration oder Reorganisation im olfaktorischen System angeregt. Wurden allerdings die Nervenzellen in der Nase durch die SARS-CoV-2-Infektion irreparabel zerstört, kann das Riechtraining nichts mehr bewirken.

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