SARS-CoV-2
PTA-Fortbildung

Long-COVID – Langes Nachspiel

Mit Fortschreiten der COVID-19-Pandemie zeigt sich, dass immer mehr Infizierte noch Wochen und Monate nach einer Infektion mit dem Erreger SARS-CoV-2 von Spät- und Langzeitfolgen betroffen sind. Was steckt dahinter und was können Sie Betroffenen raten?

21 Minuten

Veröffentlichung der Teilnahmebescheinigung:
01. April 2023

Forschungsaktivitäten

Noch immer gibt es viele offene Fragen hinsichtlich der Ursachen, der Spätsymptome und der bleibenden Schäden. Um Long-COVID besser verstehen zu lernen und bessere Behandlungsmöglichkeiten zu finden, laufen derzeit weltweit zahlreiche Forschungsaktivitäten – auch in Deutschland. Eine großangelegte Studie zu dem Thema Langzeitfolgen nach einer SARS-CoV-2-Infektion ist beispielsweise die COVIDOM-Studie, die im Rahmen des Nationalen Pandemie-Kohorten-Netzes (NAPKON/NAPKON-POP) durchgeführt wird.

Forschende des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), des Universitätsklinikum Würzburg und der Charité Berlin, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Exzellenzclusters „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) untersuchen seit März 2020 die gesundheitlichen Folgen bei SARS-CoV-2-Infizierten unterschiedlicher Schweregrade.

Das Forschungsteam hat für die aktuelle Untersuchung Daten von rund 1000 Patientinnen und Patienten ausgewertet, deren SARS-CoV-2-Infektion mindestens sechs Monate zurücklag. Die Vergleichsgruppe ohne vorangegangene Infektion umfasste ebenfalls rund 1000 Menschen. 

Was wissen wir inzwischen?

+ Long-COVID ist eine eigenständige Erkrankung, wobei Long-COVID mehrere Krankheitsbilder umfasst.
+ Die derzeit gültige und verbreitete Definition zu Long- und Post-COVID findet sich in der S1-Leitlinie Long-/Post-COVID der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF).
+ Unter den möglichen Mechanismen zur Pathogenese von Long-COVID spielen vor allem ein überschießend reagierendes Immunsystem, Entzündungsprozesse sowie ein Autoimmungeschehen eine Rolle.
+ Unter den vielzähligen Symptomen zählen Erschöpfung (Fatigue, ME/CFS), Kurzatmigkeit und neurokognitive Beeinträchtigungen („Brain fog“) zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden.
+ Derzeit existiert keine allgemein anerkannte kausale Therapie. Die Behandlung erfolgt vielmehr symptomorientiert.
+ Eine Impfung schützt nicht nur vor einem schweren Krankheitsverlauf, sondern reduziert auch das Risiko für Long-COVID nach Durchbruchsinfektionen.

Aktuelle Forschungsergebnisse

Fatigue Kürzlich hat die Charité mit dem UKSH Ergebnisse der COVIDOM-Studie bezüglich der Fatigue veröffentlicht. Demnach wiesen rund 19 Prozent, der zuvor Infizierten, relevante Symptome für ein chronisches Erschöpfungssyndrom auf, im Gegensatz zu nur acht Prozent in der Vergleichsgruppe. 

Chronische Erschöpfung kommt damit Monate nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 mehr als doppelt so häufig vor wie in der gesunden Allgemeinbevölkerung.

Chronische Erschöpfung trifft insbesondere jüngere Frauen zwischen 18 und 24 Jahren. Als Risikofaktoren für das spätere Auftreten von Fatigue konnten neurologische Beschwerden während der akuten COVID-19-Erkrankung identifiziert werden. Zudem deuten erste Hinweise darauf, dass das chronische Erschöpfungssyndrom weniger stark ausgeprägt ist, je länger die SARS-CoV-2-Infektion zurückliegt.

Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen

Die COVIDOM-Studie hat auch spezifische Daten zu kognitiven Einschränkungen wie Konzentrations- und Gedächtnisstörungen publiziert. Sie sind laut der Studie eine weitere häufige Folge einer SARS-CoV-2-Infektion, denn sie zeigten sich bei 27 Prozent der Untersuchten. Vor allem traten Symptome dieser Art bei älteren Männern auf. Jedoch nur wenige von ihnen beklagten gleichzeitig Symptome einer chronischen Erschöpfung, während bei Patienten zwischen 25 und 54 Jahren etwa die Hälfte davon an Fatigue und kognitiven Einschränkungen zugleich litt. 

Das Forschungsteam schließt daraus, dass voneinander unabhängige Faktoren zum Auftreten dieser beiden verbreiteten Folgen führen. Welche der unterschiedlichen Lang- und Spätfolgen sich nach der SARS-Co-V-2-Infektion zeigen, ist ihrer Annahme zufolge sehr wahrscheinlich auf unterschiedliche Entstehungsmechanismen zurückzuführen. Derzeit widmen sich die Forscher insbesondere dem Verlauf der Beschwerden. Sie gehen dabei zum einen der Frage nach, ob die kognitiven Defizite dauerhaft bestehen bleiben oder ob sie sich zurückbilden. Zudem versuchen sie zu klären, ob es durch die SARS-CoV-2-Infektion zu einem früheren Auftreten von Demenzen bei Älteren kommen könnte.

Kinder und Long-COVID

Long-COVID kann es auch bei Kindern und Jugendlichen geben. Unklar ist allerdings noch, wie häufig und wie stark sie betroffen sind. Dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte zufolge legen erste Studienergebnisse nahe, dass Kinder mit schwerem Verlauf an anhaltenden Symptomen wie Abgeschlagenheit, Konzentrationsproblemen oder Muskelschmerzen leiden können.

Andere Studien, unter anderem eine Untersuchung der Dresdner Universitäts-Kinderklinik, kommen zu dem Ergebnis, dass es keine Unterschiede bezüglich der Beschwerden bei Kindern mit und ohne SARS-CoV-2-Infektion gäbe. 

Sie nehmen als Erklärung dafür unter anderem an, dass bei Kindern als Ursache neben dem Virus selbst vor allem die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie (wie geschlossene Schulen und Kontaktbeschränkungen) eine Rolle spielen und im Zusammenhang mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen stehen. Insgesamt sind noch viele Fragen hinsichtlich der Verbreitung und Behandlung von Long-COVID bei Kindern und Jugendlichen offen.

Mehrere Forschungsprojekte, darunter das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte LongCOCid-Projekt der Universitätsmedizinen Magdeburg, Jena und Ilmenau, versuchen, Antworten zu finden. LongCOCid geht beispielsweise der Frage nach, ob Kinder und Jugendliche nach einer Long COVID-Erkrankung besonders gefährdet sind, Allergien und Autoimmunerkrankungen zu entwickeln. 

Rolle des Mikrobioms

Aktuell wird zudem eine Veränderung der mikrobiellen Zusammensetzung im Darm (Dysbiose) als Pathomechanismus für Long-COVID diskutiert. Diverse Studien konnten zeigen, dass nicht nur eine akute SARS-CoV-2-Infektion mit einer Dysbiose einhergeht, sondern dass diese bei Patienten mit Long-COVID-Symptomatik überdauert.

Die Diversität nimmt bei ihnen ab, insbesondere die Zahl anti-inflammatorisch wirkender Bakterien (z. B. Faecalibacterium prausnitzii und die Gattung Roseburia). Hingegen finden sich vermehrt opportunistische, entzündungsfördernde Keime (z. B. aus der Familie der Enterobacteriaceae und der Gattung Bacterioides). In einer prospektiven Studie zeigte sich beispielsweise noch sechs Monate nach einer akuten COVID-Erkrankung eine Persistenz dieser Dysbiose mit anhaltenden Symptomen.

Die Hypothese der Forscher ist, dass die Dysbiose nicht nur gastroinotestinale Beschwerden auslöst, sondern über die Darm-Hirn-Achse auch pathophysiologisch an der Entwicklung der neurokognitiven Long-COVID-Symptomatik beteiligt sein könnte. Sie begründen ihre Annahme unter anderem auf Basis einer aktuellen Studie an Mäusen.

In dieser Studie wurde einem Teil der Mäuse Stuhl von Long-COVID-Patienten mit mildem akuten Krankheitsverlauf transplantiert. Die anderen erhielten Stuhl von Gesunden. Es zeigte sich, dass die Mäuse, die Proben von den Long-COVID-Patienten erhalten hatten, eine erhöhte Anfälligkeit für pulmonale Infektionen entwickelten und schlechtere neurokognitive Leistungen zeigten als die Mäuse, denen Stuhl von gesunden Kontrollen übertragen wurde.

Buchvorstellung

Eine kausale Arzneimitteltherapie bei Long-COVID existiert bislang nicht. Umso größer ist das Interesse an Nahrungsergänzungsmitteln mit Vitaminen und Mineralstoffen, zumal man weiß, dass Mikronährstoffe die Immunfunktion bei viralen Atemwegsinfektionen unterstützen können. Uwe Gröber stellt in seinem Buch, das 2021 erschienen ist, eine Auswahl an Mikronährstoffen vor, die für das Immunsystem relevant sind. Zudem gibt er einen Überblick über die Funktionsweise des Immunsystems und erläutert die Zusammenhänge einer COVID-19-Infektion auf zellulärer Ebene. Den Abschluss bildet ein Fallbeispiel eines Long-COVID-Patienten, der von einer nutritiven Intervention mit Mikronährstoffen profitiert hat. Uwe Gröber COVID-19 und Long-COVID - Bessere Resilienz durch immunrelevante Mikronährstoffe Wissenschaftlichen Verlagsgesellschaft Stuttgart ISBN-Nummer 978-3-8047-4229-1

Aktuell laufen diverse prospektive Studien, die den Einsatz von Pro- und Präbiotika bei Long-COVID-Patienten untersuchen. Während es für akute SARS-CoV-2-Infektionen bereits erste Daten gibt, die auf einen positiven Effekt bezüglich des Krankheitsverlaufs durch Probiotika-Gabe deuten, stehen entsprechende Daten bei Long-COVID noch aus. Erste vielversprechende Hinweise meldete aber bereits die Heidelberger Long-COVID-Ambulanz.

Dort gaben 36,6 Prozent der Patienten in einem Follow-Up eine Verbesserung ihrer Symptome durch Probiotika-Gabe an. Da sie jedoch noch zusätzlich verschiedene weitere Therapiemaßnahmen wie Physiotherapie und B-Vitamine erhielten, lassen sich noch keine abschließenden Schlüsse daraus ziehen, wie die Forscher betonen. Vielmehr müssen zukünftige Studien noch viele Fragen klären – nicht nur zur grundsätzlichen Wirksamkeit von Probiotika, sondern auch zu stammspezifischen Effekten, Therapiezeitpunkt und dem Effekt auf einzelne Symptome.

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