Geballte Pflanzenkraft
17 Minuten
- 1Entwicklung der Phytotherapie
- 2Zulassungsverfahren
- 3Qualitätssicherung
- 4Extraktgewinnung
- 5Beratungsthemen
- 6Fortbildung
01. September 2020
Erleichterte Zulassung
An Phytopharmaka werden als Voraussetzung für ihre Verkehrsfähigkeit hohe Anforderungen gestellt. Auch diese sind vergleichbar mit den Ansprüchen an Arzneimittel mit chemisch- synthetischen Wirkstoffen. Somit gelten dementsprechend für Phytopharmaka dieselben rechtlichen Bestimmungen und damit Qualitätsstandards des Arzneimittelgesetzes (AMG) wie sie auch für andere Arzneimittel verbindlich sind. Phytopharmaka können nur durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassen werden, wenn die vom AMG gestellten detaillierten Zulassungsanforderungen erfüllt sind. Folglich müssen pharmazeutische Unternehmen die Qualität, Unbedenklichkeit und Wirksamkeit pflanzlicher Arzneimittel sicherstellen. Allerdings gelten einige Besonderheiten und Phytopharmaka können unter erleichterten Bedingungen zugelassen werden. Dementsprechend wird heute der Zulassungsantrag selten auf Basis eines Vollantrags gestellt, der eine vollständige Dokumentation der präklinischen und klinischen sowie präparatespezifisch durchgeführten Untersuchungen umfasst.
Well-established use
Am häufigsten erfolgt die Zulassung pflanzlicher Arzneimittel auf Basis ihrer „allgemein anerkannten medizinischen Verwendung“ (well-established use). Dabei müssen die für die Zulassung benötigten Daten zur Bewertung der Qualität durch vollständige produktspezifische klinische Studien immer belegt sein. Auf die Vorlage von präklinischen und klinischen Daten zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit kann aber verzichtet werden. Dafür muss der Antragsteller sicherstellen, dass die Wirkstoffe des Arzneimittels seit mindestens zehn Jahren medizinisch etabliert sind und eine anerkannte Wirksamkeit sowie einen annehmbaren Grad an Sicherheit besitzen. Die Belege dafür erfolgen durch anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial wie beispielsweise Monographien, Erfahrungsberichte oder Bibliographien.
Traditional use
Davon zu unterscheiden ist die Registrierung als traditionelles pflanzliches Arzneimittel. Bei dem vereinfachten Registrierungsverfahren wurde der Nachweis der Wirksamkeit wesentlich erleichtert. Die Wirksamkeit muss lediglich plausibel sein, was aufgrund langjähriger Anwendung des Präparates über den „Traditionsbeleg“ (traditional use) darzulegen ist. Dazu muss die medizinische Verwendung des Arzneimittels seit über 30 Jahren ohne Zwischenfälle (davon mindestens 15 Jahre in der Europäischen Union) belegt sein. Weiterhin sind bei registrierten traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln folgende Kriterien zu erfüllen: Es können nur Indikationen beantragt werden, die keiner ärztlichen Aufsicht (Diagnose, Verschreibung, Überwachung) bedürfen, womit die Präparate nur für die Selbstmedikation gedacht sind. Zudem sind nur bestimmte, unbedenkliche Stärken und Dosierungen möglich. Schließlich darf ihre Anwendung nur oral, äußerlich oder inhalativ erfolgen.
Standardzulassungen
Daneben gibt es die Möglichkeit, bestimmte Arzneimittel aufgrund von Standardzulassungen von der Zulassungspflicht freizustellen. Voraussetzung hierbei ist, dass keine Gefährdung von Mensch und Tier zu befürchten ist. Für diese Arzneimittel sind die erforderlichen Angaben zur Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit in Form von Standardmonographien beim BfArM hinterlegt. Das Spektrum der arzneilich wirksamen Bestandteile reicht von chemisch definierten Substanzen bis hin zu arzneilich wirksamen Tees. Typische Beispiele aus dem Bereich der pflanzlichen Arzneimittel, mit denen Sie im Apothekenalltag regelmäßig zu tun haben, sind diverse Tinkturen (z.B. Baldrian-, Myrrhentinktur), Arzneidrogen (z. B. Kamillenblüten, Salbeiblätter) oder Arzneitees (z.B. Hustentee, Magentee). Eine vollständige Liste kann auf den Seiten des BfArM abgerufen werden. Die Nutzung einer Standardzulassung muss der Hersteller dem BfArM und der zuständigen Landesbehörde anzeigen, ebenso Änderungen oder der Verzicht darauf.
Nahrungsergänzungsmittel
Abzugrenzen von den zugelassenen und registrierten traditionellen pflanzlichen Arzneimitteln sind die Nahrungsergänzungsmittel (NEM). Auch sie können pflanzlichen Ursprungs sein, so dass sie auf dem ersten Blick einem Phytopharmakon ähneln. Rechtlich handelt es sich aber nicht um pflanzliche Arzneimittel. NEM unterliegen nicht dem Arzneimittel-, sondern den Regelungen des Lebensmittelrechts. Ihr Inverkehrbringen ist daher nicht mit einer Zulassung oder Registrierung und somit mit Prüfungen auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und Qualität verbunden. Sie können hingegen sofort nach einer Anzeige beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BLV) in den Markt eingeführt werden. Voraussetzung dafür ist lediglich eine Überprüfung der produktbezogenen Aussagen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit.
Im Gegensatz zu den pflanzlichen Arzneimitteln, die eine kurative und präventive Wirkung erzielen sollen, sind NEM nicht dazu bestimmt, Krankheiten zu heilen oder zu verhüten. Sie dienen der Ergänzung der allgemeinen Ernährung. Daher dürfen sie weder krankheitsbezogene Aussagen treffen noch sich auf Indikationen festlegen. Es sind lediglich nährwert- und gesundheitsbezogene Aussagen erlaubt. Diese Gesundheitsversprechen, Health Claims genannt, klingen allerdings häufig indikationsähnlich, auch wenn eine Heilaussage unzulässig ist. Dennoch sind im gewissen Rahmen indikationsähnliche Produktaussagen möglich, sodass es selbst für Fachleute nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich ist, ob es sich um ein NEM oder ein pflanzliches Arzneimittel handelt, zumal sich immer wieder Produkte hinsichtlich ihrer Inhaltsstoffe und Bewerbung im Grenzgebiet zwischen Arzneimitteln und Lebensmitteln befinden. Außerdem erschweren fehlende Deklarationsstandards die Qualität eines NEM zu beurteilen.