Depressionen und Angststörungen
PTA-Fortbildung

Ängste und Depressionen verstehen und behandeln

Trauer und Angst sind zwar zwei unterschiedliche Emotionen. Depressionen und Angststörungen treten aber häufig gemeinsam auf oder es entwickelt sich die eine psychische Erkrankung aus der anderen. Welche Berührungspunkte haben Sie in der Apotheke?

21 Minuten

Multikausale Erkrankung

Die Ursachen einer Depression sind vielfältig und bis heute nicht vollständig geklärt. Man geht inzwischen davon aus, dass das Zusammenspiel verschiedener Faktoren zu der Erkrankung führt. Auch scheint eine genetische Disposition eine Rolle zu spielen, wobei resiliente Menschen besser vor einem Ausbruch geschützt sind. 

Manche treibt ein Schicksalsschlag wie der Verlust einer geliebten Person, eine schmerzliche Trennung oder eine Beziehungskrise in die krankhafte Schwermut. Auch Mobbing, Erniedrigung, Gewalt, Misshandlung oder Missbrauch können Auslöser sein, ebenso wie anhaltende Stresssituationen oder Überforderung Auslöser. Typischerweise sind zudem besondere Lebensereignisse wie der Eintritt ins Berufsleben, Familiengründung oder die Geburt eines Kindes Anlass für Depressionen. 

Ebenso stellen sie sich bei diversen Erkrankungen wie beispielsweise Morbus Parkinson, Diabetes, Multiple Sklerose oder Tumoren ein. Und auch nach Operationen und kardiovaskulären Erkrankungen wie einem Herzinfarkt oder Schlaganfall treten sie gehäuft auf. Schließlich können Depressionen auch eine pharmakogene Ursache haben, also Nebenwirkung bestimmter Arzneimittel wie Opiate, Neuroleptika oder Betablocker sein.

Dysbalance der Botenstoffsysteme

Unklar ist auch, was bei einer Depression genau im Gehirn geschieht. Als gesichert gilt zwar, dass die Veränderungen in den Vorgängen des zentralen Nervensystems auf einer Störung der Botenstoffsysteme beruht. Dabei spielen vor allem Neurotransmitter wie die Monoamine Serotonin, Noradrenalin und Dopamin eine Rolle. Darüber hinaus sollen auch noch GABA-erge und cholinerge Systeme beteiligt sein. 

Die Spiegel dieser Neurotransmitter geraten aus der Balance. Häufig liegen bei einer Depression zu niedrige Monoamin-Spiegel (Serotonin, Dopamin und Noradrenalin) im synaptischen Spalt vor, wobei es individuell zu unterschiedlichen Mangelsituationen kommt. So soll sich beispielsweise eine durch Serotonin-Mangel induzierte Depression durch eine depressive Verstimmung, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit bemerkbar machen. Eine durch einen Noradrenalin-Mangel ausgelöste Depression soll sich hingegen eher mit Antriebslosigkeit, Konzentrationsschwäche und Ängstlichkeit auszeichnen.

Bei einer Depression ist auch die Reizbarkeit der Synapsen verändert, ebenso scheinen depressive Phasen mit einem Verlust an Synapsen einherzugehen. Folge ist eine beeinträchtigte neuronale Reizübertragung. 

Zudem gibt es Befunde bei depressiven Patienten, die eine erhöhte Dichte bestimmter Noradrenalin-Rezeptoren in der Hirnrinde (Cortex) zeigen. Das wird damit erklärt, dass das System versucht, den Mangelzustand an Noradrenalin durch eine Erhöhung der postsynaptischen Rezeptordichte auszugleichen, um jedes Molekül aufzufangen. Daneben sind Lipide und Proteine am Geschehen beteiligt, die unter anderem die Entstehung und Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn hemmen. 

Aber auch entzündliche Prozesse, hormonelle Veränderungen oder eine Übererregung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse („Stress-Achse“) sollen an der Auslösung von Depressionen mitwirken.

Diagnose stellen

Erste Hinweise auf eine Depression kann bereits ein einfacher Test liefern, den die Patientenleitlinie Unipolare Depression aufführt. Werden beide Fragen des „Zwei-Fragen-Tests“ mit „Ja“ beantwortet, sollte der Betroffene einen Arzt oder Psychotherapeuten aufsuchen.

Zwei-Fragen-Test der Patientenleitlinie Unipolare Depression 

1. Fühlten Sie sich im letzten Monat häufig niedergeschlagen, traurig bedrückt oder hoffnungslos?
2. Hatten Sie im letzten Monat deutlich weniger Lust und Freude an Dingen, die Sie sonst gerne tun?

Besteht der Verdacht auf eine Depression, kann der Arzt diesem mithilfe weiterer Verfahren genauer auf den Grund gehen und ihn bestätigen. Dafür kommen eine Diagnostik nach ICD und in Ergänzung dazu verschiedene Fragebögen und Skalen (z. B. WHO-5-Fragebogen, Hamilton-Depressionsskala, Montgomery-Asperg-Depressionsskala) zum Einsatz.

Hilfe im Notfall bietet die Telefonseelsorge, die deutschlandweit täglich rund um die Uhr kostenfrei und anonym unter 0800 1110111 erreichbar ist.

Nationale Versorgungsleitlinie

Eine Orientierungs- und Entscheidungshilfe für die Diagnostik und Therapie der psychischen Erkrankung liefert die nationale Versorgungsleitlinie (NVL). Sie wurde von der Bundesärztekammer (BÄK) in Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften wie der Arzneimittelkommission Deutscher Apotheker (AMK) erarbeitet und vor einem Jahr in ihrer dritten Auflage neu überarbeitet und veröffentlicht. Dabei haben sich einige Änderungen ergeben, unter anderem wurden die Kriterien zur Diagnosestellung modifiziert.

Nach der vorherigen Version liegt eine behandlungsbedürftige Depression bereits vor, wenn nach den Kriterien des Diagnosemanuals ICD-10 (International Classification of Diseases, 10. Fassung) zwei Haupt- und zwei Nebensymptome länger als zwei Wochen auftreten. Als Hauptsymptome gelten eine gedrückte, depressive Stimmung, Interessenverlust/Freudlosigkeit sowie Antriebsmangel/erhöhte Ermüdbarkeit. Zu den Nebensymptome werden verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit, vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen, Schuldgefühle, psychomotorische Agitiertheit oder Hemmung, Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken oder -handlungen sowie Schlaf- und Appetitstörungen gezählt.

Die neue Version legt für die Diagnosestellung die 2018 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verabschiedete ICD-11 zugrunde und fasst die Leitsymptome einer depressiven Episode zu drei verschiedenen Clustern zusammen: Affektiver Cluster (gedrückte Stimmung, Interessenverlust, Freudlosigkeit), kognitiver Cluster (Konzentrationsstörungen, reduziertes Selbstwertgefühl, Schuldgefühle, Hoffnungslosigkeit, Suizidgedanken) und neurovegetativer Cluster (Schlafstörungen, Veränderung des Appetits, Antriebsmangel, Unruhe, schnelle Ermüdbarkeit). Für die Diagnose einer depressiven Episode sind nach der kürzlich aktualisierten NVL fünf Leitsymptome notwendig, wobei mindestens ein Symptom aus dem affektiven Cluster vorliegen muss. 

Die Einstufung in verschiedene Schweregrade (leichte depressive Episode, mittelgradige und schwere Depression) erfolgt demnach zudem nicht mehr allein nach der Summe der Symptome. Vielmehr spielen jetzt auch deren Intensität und der Grad der Funktionseinschränkung sowie psychosoziale Folgen für den Patienten (z. B. im Sozial- und Arbeitsleben) eine Rolle.

Therapie gemeinsam planen

Zweites wichtiges Element der NVL ist die Therapieplanung, bei der die Aufklärung und Information des Patienten eine zentrale Rolle einnimmt. Hierzu stehen Patientenblätter in laiengerechter Sprache zur Verfügung, die als Arbeitshilfe genutzt werden können. Wichtig ist den Leitlinienautoren, dass Arzt und Patient die Therapieziele und Behandlungsmaßnahmen zusammen festlegen. Hintergrund der partizipativen Entscheidungsfindung ist, dass man sich davon verspricht, die Zusammenarbeit und Therapietreue des Patienten zu steigern.

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