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Offizin de Spezieria All'ercole d'Oro (Strada Nuova) © privat

Alte Arzneischätze

ZU BESUCH IN VENEDIG

Nur wenige Orte auf der Welt können mit so viel Schönheit und Geschichte aufwarten wie Venedig. Einzigartig ist nicht nur die außergewöhnliche Atmosphäre, sondern auch ihre bedeutende Rolle in der Geschichte der Medizin.

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Im ausgehenden Mittelalter, vor etwa 500 Jahren, war Venedig sehr wohlhabend und nicht weniger berühmt als heute. Damals hat der Handel die Stadt so bedeutend gemacht, denn Kaufleute aus der ganzen Welt kamen hierher, um ihre Geschäfte abzuwickeln und sich Neuigkeiten zu erzählen. Für die deutschen Händler war ein prächtiges Handelshaus am Rialto, der Fondaco dei tedeschi, der Ort des Gewerbes und des Tauschhandels.

Beliebt unter den Händlern waren zu dieser Zeit nicht nur glanzvolle Seiden und funkelnde Steine, sondern auch Kräuter und exotische Gewürze, die die Seefahrer aus dem fernen Osten mitbrachten. Die Apotheker der Stadt lobten vor allem deren medizinische Eigenschaften und gehörten daher zu wichtigen Abnehmern dieser seltenen und begehrten Importwaren.

Der Arzneihandel blüht auf Dank der gut vernetzten Handelswege verfügten die Apotheker Venedigs stets über reich bestückte Bestände außergewöhnlicher Naturstoffe. Heilmittel, die sie daraus herstellten, hatten über die Grenzen hinaus einen guten Ruf erlangt. So kam es, dass sich neben dem Gewürzhandel auch ein gewinnbringender Arzneimittelmarkt in der Lagunenstadt entwickelte. In der Blütezeit Venedigs gab es etwa 90 Apotheken in der Stadt, an solventer Kundschaft fehlte es ihnen sicherlich nicht. Denn zu ihren Stammkunden gehörten nicht nur die reichen Kaufleute, sondern auch Ärzte, die ausgefallene Therapeutika in Auftrag gaben.

Die Damen des venezianischen Adels zeigten sich zudem an der Herstellung von Duftessenzen und Schönheitselixieren besonders interessiert. Missstände in der Arzneimittelversorgung verfolgten Beamte der städtischen Apothekenaufsicht, indem sie sich mehrmals im Jahr von dem einwandfreien Zustand der pharmazeutischen Produkte überzeugten. Entsprachen diese nicht der erforderlichen Qualität, wurden sie kurzerhand beschlagnahmt und öffentlich verbrannt. Den Apothekern drohten saftige Geldstrafen, im Extremfall sogar Haft, kamen sie den Bestimmungen der Behörden nicht nach.

Ein Wundermittel macht Furore Im Mittelalter und der frühen Neuzeit wurde die Theriaca als universelles Heilmittel geradezu kultisch verehrt. Ihre bedeutendste Fabrikation fand damals in den Apotheken Venedigs statt. Auf der Zutatenliste der braunen, etwas zähen Masse standen mehr als 50 Ingredienzien, darunter auch solch absonderliche wie der Extrakt lebendiger Vipern, das Pulver getrockneter Hirschhoden sowie Entenblut und Krötenfleisch. Die scheinbare Heilkraft war vermutlich nur der großen Portion Opium zuzuschreiben, die den Anwender wenigstens kurzfristig zu betäuben vermochte. Wie auch immer: Der Erfolg dieses Wundermittels ließ die Kassen kräftig klingeln!

Als aber Quacksalber in der Stadt lümmelten, um Fälschungen an den Mann zu bringen, griffen die Behörden ein. Theriaca durften nur noch ausgewählte Apotheken anfertigen. Diese erhielten zudem die Anordnung, alle Zutaten drei Tage lang den Augen der Öffentlichkeit preiszugeben, bevor sie mit der Produktion beginnen. Kreisrunde Abdrücke auf dem Pflaster am Campo San Stefano und vor der Apotheke Alle due colonne zeugen noch heute von den schweren Bronzemörsern, in denen das Allheilmittel unter der Aufsicht von Stadtbeamten hergestellt wurde.

Überlieferungen zufolge soll die Apotheke Zum goldenen Haupt am Fuße der Rialtobrücke den besten Theriak der Stadt hergestellt haben. Die Bronzefigur, die auch heute noch über dem ehemaligen Eingang schwebt, ist nicht zu übersehen. Für all diejenigen, die des Lesens nicht mächtig waren, war die Apotheke an diesem Wahrzeichen schon von weitem zu erkennen.

Zwei angesehene Berufe Der Verkauf und die Zubereitung von Heilmitteln blieben im Venedig jener Zeit den Speziere da medicina, der nichtakademischen Zunft der Apotheker, vorbehalten. Ihr umfangreiches Wissen um die Heil- a a kraft der Arzneidrogen wurde ebenso geschätzt wie ihre Fähigkeiten in der Fertigung galenischer Produkte. Als Simplicia bezeichneten sie Heilmittel, in die nur ein wirksamer Bestandteil eingearbeitet wurde. Composita dagegen enthielten mehrere pflanzliche, tierische oder mineralische Komponenten. Die Ausbildungsmodalitäten der Apotheker legten spezielle Bruderschaften, die sogenannten Scuole di spezierie, fest.

Wer den Apothekerberuf ausüben wollte, hatte nicht nur umfassende berufliche Kenntnisse aufzuweisen, sondern auch die lateinische Sprache zu beherrschen und ein untadeliges Leben zu führen. Heilmittel durfte nur verkaufen, wer eine Lizenz durch die Soprastanti erlangt hatte. Das Gewerbe der Arzneimittelherstellung galt an sich als edle Kunst und erlaubte es angesehenen Apothekern sogar, mittels Heirat in den Adelsstand aufzusteigen. Die Ärzte bildete das venezianische Collegium medicum aus. Das Studium dort sollte für viele Männer der Beginn einer aussichtsreichen Karriere sein: im Dienst der Flotte, des Militärs oder als Ratgeber der städtischen Gesundheitsbehörde.

Die Studenten schätzten vor allem den Unterricht angesehener Ärzte sowie die praktische Lehre und das Angebot, anatomischen Demonstrationen beizuwohnen zu können. Medizinern war der Arzneihandel streng verboten, trotzdem hielten sie sich gerne in den Apotheken auf. Nicht nur, um den Austausch mit Kollegen zu pflegen, sondern vor allem, um auf neue, zahlungskräftige Kunden zu stoßen. Der Gesellschaftsmaler Pietro Longhi schildert mit seinem Gemälde „Der Laden des Gewürzhändlers“ sehr eindrucksvoll, wie eine Apotheke im damaligen Venedig vermutlich ausgestattet war: ein edles Geschäft mit geschnitztem Mobiliar, glasierten Tongefäßen und bequemen Sitzgelegenheiten, das Gelehrte, Geistliche und Wissenschaftler zu gebildeten Gesprächen einlud. Die Laborausrüstung sowie die Gifte lagerten wohl damals schon aus Sicherheitsgründen in Nebenzimmern.

Die Geburtsstätte der Brille Venedig war sehr stolz auf die Kunstfertigkeit der Glasbläser, denn diese hatten den Ruf, die schönsten aller Vasen und Spiegel auf der ganzen Welt anzufertigen. Aber nicht nur das: Sie waren zu jener Zeit auch die einzigen, die in der Lage waren, weißes Glas herzustellen. So wurden in den Werkstätten Muranos auch die ersten geschliffenen Augengläser produziert. Später hatten die Handwerker dort die geniale Idee, zwei Gläser mit Holz oder Horn zu umranden und zu einer Einheit zu verbinden. Allerdings besaß diese Lesehilfe noch keine Halterung für den Kopf, der „Brillenträger“ musste sie von Hand auf der Nase festhalten.

Die ersten Brillen waren ausschließlich Sehhilfen für Weitsichtige, sie wurden in zahlreichen Geschäften Venedigs verkauft und fanden vor allem bei Gelehrten, Philosophen und Ärzten Verbreitung. Ihre Nachfrage stieg jedoch erst richtig an, als der Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden wurde. Aldo Manuzio war einer der berühmtesten Buchdrucker in der Stadt. Als er seine Druckerei eröffnete, kam ihm der Gedanke, die Buchstaben leicht schräg zu setzen, um die Anzahl der Wörter zu erhöhen.

Er druckte daher fortan auch Ausgaben, die kleinere Formate hatten und somit preisgünstiger waren. Mediziner knüpften schnell Kontakte zu den einflussreichen Verlegern und gaben dort ihre Abhandlungen naturwissenschaftlicher Forschung in Auftrag. Mit der Veröffentlichung wichtiger medizinischer und pharmazeutischer Fachbücher wurde Venedig als Verlags- und Druckereistandort führend in ganz Europa.

Die andere Seite Venedigs Trotz allem Ruhm und Erfolg gehörte auch die Bewältigung von Seuchen über lange Zeit zum Alltag Venedigs. Als weltweite Handelsmetropole stand die Stadt vor der schwierigen Aufgabe, nach den Ursachen der Epidemien zu forschen und die Seuchenausbreitung einzudämmen. Daher rief die Regierung schon frühzeitig eine Gesundheitsbehörde ins Leben. Der Magistrato alla sanita hatte seinen Sitz im Fondaco delle farine, der den Provveditori einen direkten Blick auf die Häfen des Markusbeckens bot. Diese zentrale Lage war sehr praktisch, denn ankommende Waren und Personen konnte man sofort einer ersten Kontrolle unterziehen.

Handelsschiffe, die aus Seuchengebieten anreisten, durften erst gar nicht anlegen, sie mussten auf einer vorgelagerten Insel erst einmal 40 Tage in Quarantäne verweilen. Auch wenn man von Bakterien und Viren damals noch nichts wusste, so war die Isolation der Kranken bereits der richtige Weg, die Bevölkerung vor gefährlichen Seuchen zu schützen. Ursprüglich gegründet, um die Pest abzuwehren, hat man der Gesundheitsbehörde später auch viele andere Aufgaben im Gesundheitswesen übergetragen. Diese hat die Sanita di Venezia mit Bravour gemeistert und ist seitdem ein Vorbild für die Gesundheitsgesetzgebung geworden.

Auf den Spuren der Spezierie Wer sich heute beim Schlendern durch die Gassen Venedigs genau umschaut, dem werden Straßenbezeichnungen, Inschriften und symbolische Darstellungen an den Hauswänden Hinweise auf die Aktivitäten der Apothekerzunft geben. Aber nur die wenigsten der alten Apotheken sind noch so erhalten, wie sie früher einmal waren. Die älteste unter ihnen, die Spezieria all´ercole d´oro, befindet sich auf einer belebten Einkaufsstraße im Stadtteil Cannaregio. Für ihre Pillole purgative di S. Fosca aus Aloe Vera und Röhren-Kassie war sie früher einmal sehr bekannt.

Wie der Name schon vermuten lässt, handelte es sich hierbei um ein Produkt, das für abführende Wirkung sorgte. Vor einigen Jahren hat man die Apotheke restauriert, das alte Holz wieder auf Hochglanz gebracht und die Arzneibehälter über den geschnitzten Regalen in Szene gesetzt. Auf dem barocken Tresen sind nun Parfümflacons aus Muranoglas zu bewundern, denn die Inhaber haben sich auf den Verkauf venezianischer Düfte spezialisiert. Der Innenraum mit dem antiken Interieur hat dadurch aber nichts von seinem Charme verloren und ist auf jeden Fall eine Besichtigung wert.

Autoren-Tipp!
Im Museum der Ca`Rezzonico erwartet den Besucher die historische Apotheke „Ai do San Marchi“. 1935 hat man ihre Einrichtung von einem Antiquitätenhändler übernommen und sehr aufwändig renoviert. Ein besonderes Augenmerk gilt den knapp 200 Majolika-Gefäßen sowie dem aus Nussbaumwurzelholz gefertigten Mobiliar. Das Museum liegt am Canal Grande in der Nähe der Accademia-Brücke und ist außer dienstags täglich geöffnet.

Adresse:
 Museo del Settecento Veneziano
Ca` Rezzonico
Dorsoduro 3136
30123 Venezia

Dr. Andrea Hergenröther, Apothekerin

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/17 auf Seite 74.

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