Rasur | Aufklärung
WIESO WIRD DIE KLINGE STUMPF?
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Die Schneide einer Rasierklinge besteht aus einem kohlenstoffhaltigen Edelstahl, dessen geschichtete Mikrostruktur, der sogenannte Lattenmartensit, ihn besonders hart macht. An der Rasierklingenschneide liegt darüber ein noch härterer Kohlenstoffüberzug, der von einer dünnen, reibungshemmenden Polymerschicht abgeschlossen wird. Eigentlich die besten Voraussetzungen, um das menschliche Haar leicht und ohne Folgen durchschneiden zu können, oder?
Ja, aber schon nach einiger Zeit des Rasierens wird die Rasierklinge stumpf. „Es ist wirklich erstaunlich, dass man etwas Weiches wie ein menschliches Haar mit etwas sehr Hartem wie dem Stahl schneiden kann und trotzdem gibt der Stahl nach”, sagt Seniorautor Cem Tasan vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge.
Und was steckt hinter dem Versagen der Rasierklinge? Die Antwort auf diese Frage haben Tasan und seine Kollegen in Experimenten untersucht. Zunächst machte Erstautor Gianluca Roscioli einen Selbstversuch, indem er sich mehrmals mit einer neuen Rasierklinge rasierte, bis sie stumpf wurde. Nach jeder Rasur untersuchte er die Klinge im Elektronenmikroskop. Das Ergebnis war überraschend: Die Schneide wies nach einiger Zeit immer mehr kleine Risse und Kerben auf. „Diese Mikrorisse breiteten sich zunächst senkrecht zur Kante aus, bevor sie dann ihre Richtung änderten und im Bogen zurückführten – dadurch entstand die Geometrie der Abplatzungen”, berichten Roscioli und seine Kollegen. Außerdem zeigten die Aufnahmen, dass sich der Martensitstahl unmittelbar vor dem Brechen verformte, während der harte, spröde Überzug sofort einriss.
Es ist wirklich erstaunlich, dass man etwas Weiches wie ein menschliches Haar mit etwas sehr Hartem wie dem Stahl schneiden kann und trotzdem gibt der Stahl nach.
Die Forscher wollten im nächsten Schritt herausfinden, „unter welchen Bedingungen dieses Abplatzen stattfindet und was es braucht, um den Stahl zum Nachgeben zu bringen”, erklärt Tasan. Auch warum die winzigen Kerben nur an einigen Stellen der Schneide aufzutreten schienen. Dazu wurden Haare verschiedener Durchmesser und in unterschiedlichen Winkeln im Elektronenmikroskop an eine fest eingespannte Rasierklinge herangeführt und zerschnitten. Ähnlich wie bei Bart- oder Achselharen waren die Haare auch am unteren Ende befestigt, oben aber frei beweglich.
Der Versuch zeigte, dass wenn die Klinge das Haar genau im rechten Winkel schneidet, sie intakt bleibt. „Doch wenn wir eine realistische Situation nachstellten und die Schneide um 21 Grad neigten, führte dies zu einer plastischen Verformung und Kerben an mehreren Stellen”, berichten die Wissenschaftler. Die Dicke des Haares oder die Haardichte spielten kaum eine Rolle. Die Mikrorisse traten besonders dort auf, wo die Ränder des Haares auf die Schneide trafen. „Dadurch kann ein einzelnes Haar zwei Kerben in einer Schneide verursachen – jede von ihnen beginnt an einer der beiden Seiten des Haares”, so Roscioli und seine Kollegen. Das passiert, wenn die Kante des Haares auf eine der weicheren Stellen in der Mikrostruktur des Stahls trifft.
Den Ergebnissen zufolge scheint der paradoxe Effekt durch Kräfte zu entstehen, die bei einem flachen Winkel von Klinge und Haar zustande kommen und die Spannungen im Edelstahl erzeugen. Dabei entfalten die Seitenränder der Haare die größte Zerstörungskraft – wahrscheinlich, weil dort die harte Hülle des Haares seitlich auftrifft. Ihre Erkenntnisse könnten nun dabei helfen, künftig beständigere Klingen zu produzieren. Solange dies noch nicht der Fall ist, gilt für die nächste Rasur: Je senkrechter man das Haar schneidet, desto länger bleibt die Klinge scharf.
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Sabrina Peeters,
Redaktionsvolontärin
Quellen:
https://www.wissenschaft.de/technik-digitales/wie-haare-den-rasierer-stumpf-machen/?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=wissenschaft.de_07_08_2020
Gianluca Roscioli (Massachusetts Institute of Technology, Cambridge) et al., Science, doi: 10.1126/science.aba9490