Politik
WIE IST DAS MIT DEM RX-VERSANDHANDEL?
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Die Apotheker wollen den Versand von Arzneimitteln verbieten. Das passt nicht zur digitalen Entwicklung und zeigt, wie rückwärtsgewandt der Berufsstand ist. Solche oder ähnliche Beiträge finden sich in der pharmazeutischen Fach- oder der Tagespresse, seitdem der EuGH 2016 ausländischen Versendern ein Unterlaufen der einheitlichen Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel ermöglichte.
Sind die Vorwürfe berechtigt? Zunächst einmal wollen die Apotheker den Versand nicht pauschal verboten wissen, sondern nur den Versand von Rx-Arzneimitteln. Und auch das fordern sie erst seit dem oben genannten Urteil. Mit dem Versand von OTC- und gleichpreisigen Rx-Arzneimitteln hatten sich die Apotheker seit 2004 arrangiert. Die Apotheker wollen auch keinesfalls die Digitalisierung aufhalten. Sie sind vielmehr auf digitale Lösungen angewiesen, um allen Anforderungen gerecht zu werden, die der Gesetzgeber mittlerweile an den Betrieb einer Apotheke stellt. Dabei ist durchaus fraglich, wieviel Innovation und Digitalisierung im Geschäftsmodell „Versandhandel“ tatsächlich steckt. Schließlich gibt es die Idee, Waren in Päckchen zu versenden, bei uns schon seit den 50er Jahren. Die digitale Zukunft Deutschlands entscheidet sich nicht an diesem Geschäftsmodell, bloß weil anstelle eines Kataloges eine Webseite für den Bestellvorgang genutzt wird. Dabei geht es den Apothekern nicht um das Versandverbot an sich. Ein Verbot erschien bislang aber als bester Weg, einheitliche Preise für verschreibungspflichtige Arzneimittel überall in der Bundesrepublik zu gewährleisten.
Die Gleichpreisigkeit ist ein hohes Gut, das Patienten vor Ausbeutung schützt. Nur so können sie sicher sein, ihr verordnetes Arzneimittel zu jeder Zeit und an jedem Ort in Deutschland zu einem Preis zu erhalten, den ihre Krankenkasse bezahlt. Den Apotheken geben die festen Preise Planungssicherheit in ihren Betrieben. Diese benötigen sie, weil sie zahlreiche Aufgaben übernehmen, die keinen Gewinn abwerfen, aber dem Gemeinwohl dienen, beispielsweise indem sie Rezepturen anfertigen oder Notdienste leisten. Diese Aufgaben zu übernehmen wird in dem Maße schwieriger, wie ausländische Versandapotheken ihren Kunden Preisvorteile auf OTC im Tausch gegen Verordnungen bieten können, weil sie sich nicht an die in der Bundesrepublik geltende Arzneimittelpreisverordnung halten müssen. So entgehen den Apotheken vor Ort Erträge, die sie zur Sicherstellung der Versorgung und der oben genannten Aufgaben brauchen. Die von den Versendern gewährten Boni werden, obgleich die Gesetzliche Krankenversicherung die bestellten Rx-Arzneimittel zahlt, den Kunden persönlich zugeschrieben und können für Lifestyleprodukte investiert werden.
Apotheken berichten von Kunden, die ihnen Tüten mit Arzneimittelpackungen zur Entsorgung bringen, die sie nicht benötigten, für deren Bestellung sie aber Boni erhielten. So steigen die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherungen, nur weil Einzelne finanzielle Vorteile erlangen wollen. Denkt man “freie Preise für Rx-Arzneimittel“ weiter, gelten die Gesetze von Angebot und Nachfrage. Das bedeutet, dass es nicht nur billiger, sondern in Engpass- oder Notsituationen wie einer Grippewelle auch deutlich teurer werden kann. Auch ein Preisgefälle zwischen Stadt und Land, das dazu dienen soll, das angebliche Überangebot an Stadtapotheken zu bereinigen, fällt zum Nachteil der Menschen auf dem Lande aus. Wer dort keinen Bonus bekommt, reicht seine Verordnung lieber in der Stadt ein. Wann die Apotheke in der ländlichen Gemeinde schließt, ist dann nur noch eine Frage der Zeit. Es darf nicht passieren, dass kranke Menschen übervorteilt werden oder im Notfall vielleicht noch nach dem billigsten Antibiotikum suchen müssen. Daher ist die Forderung nach uneingeschränkter Gleichpreisigkeit ein wichtiger Teil des Verbraucherschutzes und zentrales Element des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Sie zeugt nicht davon, dass die Apotheker Wettbewerb scheuen, sondern vielmehr von ihrem Verantwortungsbewusstsein für die Allgemeinheit. Den bislang innerhalb eines Teils der Regierung erzielten Konsens, Rx-Boni im SGB V zu verbieten, begrüßt der Berufsstand daher ausdrücklich.
Wir sind ein Teil von Europa Die Bundesrepublik Deutschland ist als eines der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft nicht losgelöst von der Rechtsprechung der EU. Im Bereich Gesundheitswesen und Arzneimittel gab es zahlreiche Gerichtsverhandlungen vor dem Europäischen Gerichtshof. Im Jahre 2012 bestätigte ein sehr bemerkenswertes Urteil, dass die Preisregelungen, die die Bundesrepublik mit ihrem Arzneimittelgesetz und der Arzneimittelpreisverordnung getroffen hat, europarechtskonform sind. Dabei spielt auch der Begriff der Subsidiarität immer wieder eine Rolle.
Was ist das Subsidiaritätsprizip überhaupt? Wikipedia erklärt es so: „Subsidiarität (von lateinisch subsidium „Hilfe, Reserve“) ist eine politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Maxime, die Selbstbestimmung, Eigenverantwortung und die Entfaltung der Fähigkeiten des Individuums, der Familie oder der Gemeinde anstrebt. […] Das Subsidiaritätsprinzip ist ein wichtiges Konzept und bewährte Praxis für föderale Staaten wie die Bundesrepublik Deutschland oder die Schweizerische Eidgenossenschaft sowie föderale Staatengemeinschaften wie die Europäische Union. Es ist auch zentrales Element des ordnungspolitischen Konzepts der sozialen Marktwirtschaft.“ Die Europäische Union basiert auf diesem Prinzip und ermöglicht so den Staaten der Gemeinschaft, ihre Gesundheitsvorsorge nach ihren eigenen Vorstellungen zu regeln. Die EU gesteht der Bundesrepublik daher eine eigene Gesetzgebung im Gesundheitswesen zu, die innerhalb ihrer Grenzen gelten.
Doch leider hat das schon erwähnte Urteil des EuGH im Jahr 2016 festgestellt, dass die Regeln eben nicht für Versender aus dem Ausland gelten! Dies führt zu einer Schräglage für die deutschen Apotheken, die auf Dauer nicht auszuhalten sein wird. Unser bewährtes System der sicheren und flächendeckenden Versorgung mit Arzneimitteln basiert auf dem Engagement der Apotheker und ihrer Mitarbeiter, dem Bewusstsein der Patienten und ihrem Zusammenspiel mit vielen weiteren Akteuren. Sie alle sollten sich bewusst sein, welche Folgen freie Preise für Arzneimittel haben können und warum die Forderung nach einheitlichen Preisen für verschreibungspflichtige Arzneimittel berechtigt ist. Hieran hängen nicht nur Steuereinnahmen und qualifizierte Arbeitsplätze in den Gemeinden, sondern vor allem die zügige und zuverlässige Versorgung mit benötigten Arzneimitteln – auch und vor allem in Notfällen.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/19 ab Seite 50.
Mira Sellheim, Apothekerin und Delegierte der Landesapothekerkammer Hessen