Neue Leitlinie | Hypersalivation
WENN MAN SCHWER ZU SCHLUCKEN HAT
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Unser Speichel ist lebenswichtig, geregelte Bildung und Abfluss sind dennoch oft nicht selbstverständlich. Verschiedene Erkrankungen können zum einen die Speichelbildung beeinflussen, zum anderen kann eine Schluckstörung den Abtransport verhindern und der Speichel fließt dann unkontrolliert aus dem Mund oder sammelt sich im Rachenraum. Die resultierende Aspirationsgefahr kann zu lebensgefährlichen Lungenentzündungen führen. Ein übermäßiger Speichelfluss bei Kindern bis zum vierten Lebensjahr ist damit nicht gemeint. Bei ihnen ist der Schluckreflex noch nicht richtig ausgebildet.
Als pathologische Ursache für einen übermäßigen Speichelfluss kommen bei Kindern und Jugendlichen hirnorganische Störungen bei Zerebralparese oder auch schwere Schädel-Hirn-Verletzungen in Frage. Bei Erwachsenen führen oft neurodegenerative Erkrankungen wie Morbus Parkinson oder ein Schlaganfall zu diesem Effekt. Deshalb sind die Diagnostikverfahren und Therapiemöglichkeiten sehr vielfältig. Hier müssen auch der Schweregrad und gegebenenfalls begleitende Störungen in Betracht gezogen werden.
Die interdisziplinäre S2k-Leitlinie „Hypersalivation“ unter der Führung der Deutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, veröffentlicht Ende 2018, gibt Überblick.
Diagnostikverfahren
Die Schluckdiagnostik der Patienten ist neben der klinischen Untersuchung der Hirnnerven für motorische und sensible Mund- und Rachenmotorik von entscheidender Bedeutung. Dabei wird die Schluckfähigkeit von verschiedene Nahrungsmittelkonsistenzen geprüft, aber auch Kieferfehlstellungen oder potenzielle anatomischen Ursachen einer gestörten Mundatmung. Zur Hilfe können standardisierte Fragebögen wie Drooling Severity and Frequency Scale gezogen werden, die auch Therapiemöglichkeiten aufzeigen können.
Therapieverfahren
Ein therapeutisches Schlucktraining macht bei einer zugrundeliegenden Schluckstörung Sinn, da hier die Ursache behandelt wird. Die Bandbreite der Möglichkeiten ist recht groß und geht von Stimulation des Schluckreflexes, Training von Einzelkomponenten des Schluckaktes, veränderten Nahrungsmittelkonsistenzen bis hin zu bestimmten Kopfhaltungen oder Erlernen bestimmter Schluckmanöver.
Für die medikamentöse Behandlung der Hypersalivation kam bislang nur ein Off-Label-Einsatz mit Anticholinergika wie Atropin oder Scopolamin in Frage, die lediglich die Speichelsekretion hemmen und in ihrer Wirksamkeit begrenzt sind. Zudem rufen sie unerwünschte anticholinerge Wirkungen am Herzen, Sedierung, Sehstörungen oder Harnblasen-Entleerungsstörungen hervor.
Das Parasympatholytikum Glycopyrronium, das seit Frühjahr 2018 in Deutschland verordnungsfähig ist, hat sich in randomisierten, kontrollierten Studien mit gutem Nutzen-Risiko bewährt. Unter dem Fertigarzneimittelnamen Sialanar® (320µg/ml Glycopyrroniumbromid) wird die symptomatische Behandlung der Hypersalivation, auch als Sialorrhö oder Drooling bezeichnet, bei Kindern und Jugendlichen ab drei Jahren, therapiert. Es erhielt eine europaweite Zulassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Darreichungsform ist eine Lösung zum Einnehmen mit zugehöriger Dosierhilfe.
Weitere Therapieverfahren
Die Injektion von Botulinumtoxin, zumeist vom Serotyp A in die Ohr- und Unterkieferspeicheldrüse, hemmt die cholinerge neuroglanduläre Übertragung und vermindert somit reversibel die Aktivierbarkeit der Speicheldrüsen. Bislang ist dieses Verfahren ohne Zulassung, eine Ultraschallkontrolle mindert aber das Risiko einer Fehlinjektion am Mundboden und eine Verletzung des Gesichtsnervs kommt so gut wie nie vor. Vorteil der Injektion von Botulinumtoxin A ist die mögliche Anwendung bei allen Patientengruppen unterschiedlichen Alters mit Hypersalivation. Des Weiteren kann bei Kindern über spezielle Zahnspangen versucht werden, die Zungenlage zu verbessern, um den Mundschluss zu erzielen. Auch eine Entfernung der Speicheldrüsen kann erwogen werden.
Bei neurodegenerativen Erkrankungen wie Parkinson oder der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) kann auch eine Bestrahlung Abhilfe schaffen. Bei Kindern ist dies aufgrund des hohen Risikos einer Krebserkrankung als Folge als sehr kritisch anzusehen.
Melanie Pal
Quelle: Pharmazeutische Zeitung