Zwei hohe Stapel Zeitschriften
Wer am Messie-Syndrom leidet, erkennt nicht, von welchen Dingen er sich trennen kann - so kommt es zum krankhaften Horten, zum Beispiel von alten Zeitschriften. © prospective56 / iStock / Getty Images Plus

Psychologie | Zwangserkrankungen

WEGWERFEN VERWEIGERT: DAS MESSIE-SYNDROM

Wer am Messie-Syndrom leidet, kann nicht entscheiden, welche Dinge wertvoll sind und welche in den Müll gehören. Die Ursachen liegen oft tief im Inneren verborgen - und müssen ergründet werden.

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Überfüllte Räume, Stapel von Dokumenten, im schlimmsten Fall ganze Müllberge in der Wohnung: Menschen mit dem Messie-Syndrom sind nicht fähig, die Lage im eigenen Zuhause in den Griff zu bekommen. „Es ist etwas ganz anderes, als wenn Menschen einfach sehr unordentlich sind oder eine Familie mit drei Kindern mal an ihre Grenzen kommt“, sagt die Gründerin des Messie-Kompetenz-Zentrums in Stuttgart, Veronika Schröter. „Betroffene haben das Bedürfnis, dass auf existenzieller Ebene alles bleiben muss, was sie besitzen.“

Experten sprechen auch vom pathologischen Horten. „Man erkennt es daran, dass Menschen sich nicht von Dingen trennen können, weil sie nicht die herkömmlichen Entscheidungskriterien entwickelt haben, was für den Wohnraum und das Leben wichtig ist und was nicht“, erläutert Schröter.

Wenn sich die Wohnung füllt
Ein Messie-Syndrom kann viele Ursachen haben. „Oft kommt es zu immer wiederkehrenden Gedankenkreisen, aus denen die Betroffenen nicht herauskommen“, erklärt Sabine Köhler, Vorsitzende des Berufsverbands Deutscher Nervenärzt. Das Messie-Syndrom wird der Expertin zufolge den Zwangserkrankungen zugeordnet und trete oft zusammen mit anderen Krankheiten auf, zum Beispiel mit Depressionen. Auch Menschen, die im Alter eine Demenz entwickeln, können ein Messie-Syndrom ausbilden.

Ursache liegt oft in der Kindheit
Veronika Schröter hat in ihrer Arbeit mit Betroffenen erlebt, dass die Wurzel für pathologisches Horten oft in der Kindheit liegt.

  • „Eine häufige Ursache ist es, dass Menschen sehr früh die Erfahrung gemacht haben, zu etwas gezwungen worden zu sein“, erklärt sie. „Sie konnten ihren eigenen Willen nicht entwickeln und auf ihre Bedürfnisse ist nicht eingegangen worden.“ Diese Personen haben früh gelernt, alles in vorgegebenen Bahnen zu regeln und haben keine eigenen Strategien für den Alltag entwickelt.
  • „Es kommt auch vor, dass die Familie des Betroffenen materiell sehr gut aufgestellt war, aber die emotionale Zuwendung fehlte“, erläutert Schröter. „Sie wurden emotional tief im Stich gelassen und haben dies durch materielle Dinge kompensiert.“ Deshalb fällt es noch Jahrzehnte später schwer, sich von Gegenständen zu trennen.
  • Auch Menschen, die einen Krieg erlebt haben, können ein Messie-Syndrom entwickeln: „Sie haben viel erlebt, was mit Hunger und Flucht zu tun hat. Diese Personen haben deshalb das Bedürfnis, alles aufzuheben - es könnte sonst wieder knapp werden.“

Wenn der Hausbesuch das Problem offenbart
„Es kommt oft vor, dass Patienten zunächst wegen anderer Beschwerden zu uns kommen“, sagt Sabine Köhler. Wenn es nach Gesprächen zu einem Besuch der Wohnung komme, stelle man dann fest, wie es dort aussehe. Therapeuten oder Sozialarbeiter haben in diesem Fall die schwere Aufgabe, die Betroffenen auf ihr Problem aufmerksam zu machen. Dabei ist es wichtig, behutsam vorzugehen - das gilt auch für Angehörige.

Einfach aufräumen? Kein guter Weg
„Es macht keinen Sinn, bei Betroffenen einfach mit dem Aufräumen der Wohnung zu beginnen“, sagt Köhler. „Wenn derjenige es selbst nicht möchte, ist das eine Verletzung der Intimsphäre und es kommt zu Konflikten.“ Oft hielten Patienten auch an dem Status quo fest, weil dieser eine besondere Bedeutung für sie habe.

Wenn Angehörige dabei helfen möchten, etwas zu verändern, sollten sie vorsichtig und freundlich ein Gespräch suchen - und nicht einfach über die Unordnung schimpfen. „Man könnte zum Beispiel darauf hinweisen, dass derjenige sich mal von den alten Blumen trennen sollte, weil die schon stark riechen, und fragen, ob man dabei helfen soll“, rät Köhler. Es sei wichtig, dass man wertschätzend mit der Person rede. „Aber es ist immer eine Gratwanderung.“

Die „Lebenswunde“ heilen Für die Behandlung von Betroffenen hat Veronika Schröter vom Messie-Kompetenz-Zentrum ein Therapiekonzept entwickelt, sie bildet auch spezialisierte Messie-Fachkräfte aus. „Es geht erst einmal nicht ums Aufräumen, sondern um die Behandlung der eigenen Lebenswunde“, sagt sie. „Die Betroffenen erfahren so, warum sie ihr eigenes Leben derart zugebaut haben.“

Ist dieser Schritt gemacht, können sich Betroffene zusammen mit Experten dem nächsten Thema widmen: Dem Aufräumen und der Entscheidung, was man wirklich braucht.

Mehr zum Thema Messie-Syndrom erfahren Sie hier.

Quelle: dpa

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