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Welch ein Name

WAS, WIR SOLLEN VOM AFFEN ABSTAMMEN?

Charles Darwin konnte einem leidtun. Denn er entdeckte etwas, das er selbst kaum glauben konnte und das das Weltbild seiner Epoche ins Wanken brachte. Zudem gefährdete es das Fundament seines Berufes.

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Darwin wird 1809 im englischen Shrewsbury geboren, in eine wohlhabende Familie hinein. Der Vater ist Arzt, und so „rutscht“ er wie selbstverständlich in eine medizinische Ausbildung. Gemeinsam mit seinem Bruder Erasmus beginnt er ein Studium an der Universität Edinburgh.

Großvater wirkt prägend Der Bruder war auf den Namen des Großvaters getauft – jener Verwandte, der Charles die meisten Gene vererbt haben muss. Erasmus senior war neben dem Arztdasein auch immer Naturforscher – nichts Schöneres gab es für ihn als Tiere und Pflanzen zu sammeln und zu katalogisieren. Schon dieser spekulierte, dass alles Lebendige sich kontinuierlich weiterentwickelte und anpasste.

Was für uns heute ganz normal und selbstverständlich klingt, war für die damalige Zeit ungeheuerlich. Die Menschen glaubten an das, was in der Bibel steht: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde“. Und Gott brauchte dafür genau sechs Tage, am siebenten ruhte er. Der Mensch sah zur Zeit seiner Erschaffung genauso aus wie im Jahr von Darwins Geburt – Esel und Kühe und die Blaumeise übrigens auch.

Zuerst Arzt, dann Pfarrer In diesem Weltbild wächst auch Charles Darwin auf. Der Vater merkt bald, dass sein Sohn sich für sein Medizinstudium nicht so recht begeistern kann und schlägt ihm deshalb vor, Pfarrer zu werden. Vom Geld der Familie würde er ihm eine Pfarrei kaufen (das war damals so üblich) und vielleicht würde er sogar seiner Sammelleidenschaft für Käfer, Blumen und sonstigem weiterhin nachgehen können. Charles Darwin legt brav seine Prüfungen ab und besteht als zehntbester seines Jahrganges. Innerlich jedoch bleibt er Naturforscher.

Als solcher interessiert er sich besonders für die Naturtheologie William Paleys, der in seinem teleologischen Gottesbeweis (das ist ein Beweis mittels der Vernunft) einen intelligenten Schöpfer ableitet – womit der Gelehrte elegant die planvolle, durch die Natur gesteuerte Anpassung der Lebewesen umgeht. Es bedarf erst eines Charles Darwin, damit dieser die Natur studiert, um deren Entwicklung vom Gottesbegriff zu trennen.

Doch das weiß zu diesem Zeitpunkt noch keiner. Durch Vermittlung seines Botanikprofessors lernt Darwin den Kapitän Robert FitzRoy kennen, der für die Fahrt mit dem Vermessungsschiff HMS Beagle einen gebildeten Mitfahrer sucht, mit dem er sich auf der langen, langweiligen Reise gut unterhalten kann. Im Gegenzug bietet er einmalige Forschungsmöglichkeiten entlang der Route, die in einer Weltumsegelung über die Wasserwege vor Patagonien, Feuerland, Chile, Peru und einigen Südseeinseln führt. Darwin willigt überglücklich ein.

Wichtige Forschungsreise Am 27. Dezember 1831 sticht die HMS Beagle in See. Darwin wird auf der Stelle seekrank. Als er sich wieder auf den Beinen halten kann, verurteilt ein Choleraausbruch an Land ihn zur Quarantäne. Erst Mitte Januar kann der 22-jährige Jungforscher erstmals von Bord. Er sammelt, was das Zeug hält: Gesteins- und Muschelproben, Fossilien und auch Tiere. Er entdeckt das versteinerte Skelett eines ausgestorbenen Riesenfaultieres, Fossile von Bäumen sowie Sedimentablagerungen, die auf das Alter der Gesteinsschicht schließen lassen. Darwin packt vieles ein und schickt es nach England zu seinem Botanikprofessor.

1835 betritt Darwin erstmals die Galapagosinseln im östlichen Pazifik vor Südamerika. Hier macht er Entdeckungen, für die er später weltberühmt wird. Doch zunächst nimmt er das Außergewöhnliche gar nicht richtig wahr: Auf den vielen kleinen Inseln, die verstreut im Ozean liegen, als habe ein Riese sie dort hingeworfen, gedeihen Tiere und Pflanzen, die jeweils nur dort vorkommen. Jede Insel hat ihre eigenen Vögel, Pflanzen und sogar Schildkröten, jeweils in Farbe, Schnabel- oder Blütenform anders als die anderen. Darwin misst dieser Entdeckung gar nicht viel Bedeutung bei, notiert sie aber, wie alles auf dieser Reise, gewissenhaft in seinem Notizbuch.

CHARLES DARWIN … lebt von 1809 bis 1882. Durch seine Fahrt auf dem Forschungs- und Vermessungsschiff „HMS Beagle“ sammelt er so viele Proben, dass diese ihm die wissenschaftlich untermauerte Entwicklung der Evolutionstheorie ermöglichen, die zu Lebzeiten Darwins eine Sensation ist, da man ausschließlich an die göttliche, unveränderliche Schöpfung glaubt. Darwin heiratet 1839 seine Cousine Emma Wedgwood und bekommt mit ihr sieben Kinder.

Wieder zuhause Daheim in England zeigt er die Vögel einem befreundeten Biologen. Die Schnäbel der Tiere sahen doch sehr unterschiedlich aus – kann er die Arten identifizieren? Sind das vielleicht Zaunkönige und Kernbeißer oder Spottdrosseln? Mitnichten, sagt der Kollege nach eingehender Untersuchung. Alle diese Finkenarten – denn darum handelt es sich - seien miteinander verwandt.

Nur hätten die einen eben einen Schnabel, mit denen sie Nüsse knacken konnten, die anderen aber lediglich kleinkörnige Samen. Darwin begreift, was das bedeutet. Abhängig vom Nahrungsangebot auf der jeweiligen Insel haben sich die Finken weiterentwickelt, die zufällig mit der dazu passenden Schnabelform geboren wurden. Nur die haben sich daraufhin weiter fortgepflanzt, die am besten an ihre Umwelt angepasst waren.

Die umwerfende Erkenntnis Darwin wertet rund 1800 Seiten mit handschriftlichen Notizen aus, zwölf Kataloge mit Sammlungen kommen hinzu. Am Ende ist er sich sicher: Es gibt etwas, dass er „Evolution“ nennt (von lateinisch evolvere = entwickeln) – und die hat nichts mit Gott zu tun, sondern sie wird von der Natur selbst hervorgebracht, als eine Art Korrektiv an die herrschenden Umstände. Der Theologe Darwin stürzt in eine tiefe Sinnkrise. Alles, woran er glaubt, erweist sich nun als scheinbar widerlegt.

Deshalb zögert er fast zwanzig Jahre, um seine Beobachtungen aufzuschreiben und zu veröffentlichen, obwohl er sich in der Zwischenzeit durchaus als Naturforscher einen Namen gemacht hat (übrigens ohne Ausbildung!). Er weiß, dass ihm danach der Ruf des Gotteslästerers anhaften wird. Als jedoch seine Lieblingstochter Anna 1851 stirbt, ist es um ihn geschehen: Darwin glaubt nicht mehr an eine göttliche Ordnung, die auch die Gerechtigkeit mit einschließt. Er wird zum Agnostiker – glaubt daran, dass die Gottesexistenz nicht bewiesen werden kann, aber auch nicht auszuschließen ist.

Das ist für die damalige Zeit schon fast Atheismus. Mit seiner Haltung steht er im Gegensatz zu seiner Frau. Emma Wedgwood, Darwins Cousine, hat er 1839 geheiratet. Sie entstammt der berühmten Porzellandynastie. Emma schenkt ihm zehn Kinder. Sie bleibt zeit ihres Lebens tief gläubig. Mit ihrem Vermögen, zu dem sich auch der Erbteil seines Vaters gesellt, kann Darwin ein Leben als Privatier führen und sich ganz seinen Forschungen widmen. Hinzu kommt, dass der Wissenschaftler nicht gesund ist. Seit seiner Rückkehr von der Reise mit der Beagle plagen ihn Krankheitssymptome: Magenschmerzen, Schwindelanfälle, ein hoher Puls und Atembeschwerden gehören dazu. Bis heute bleibt die ursächliche Erkrankung Darwins rätselhaft.

Gemeinsame Abstammung Er schreibt sein bekanntestes Werk „Über die Entstehung der Arten“ (The Origin of Species). Darin beschreibt er die Evolution und die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen. Er behauptet, dass die Selektion einen natürlichen Mechanismus der Evolution darstellt und verweist dabei auf die Varietäten der Finken, die er auf den Galapagos-Inseln gefunden hat. In diesem Werk, das 1859 erscheint, vermeidet er es, die Evolutionstheorie auch auf den Menschen anzuwenden.

Das tut er erst 12 Jahre später: In „Die Abstammung des Menschen und die geschlechtliche Zuchtwahl“ behauptet Darwin, Mensch und Affe haben gemeinsame Vorfahren. Der Sturm der Entrüstung, der über beide Schriften und ihn selbst hereinbricht, ist absehbar. Darwin selbst bleibt fest. Er wird in Karikaturen geschmäht (die ihn als Affen mit langem weißen Bart darstellen) und als „Gotteslästerer“ beschimpft. Es schmeckt den Menschen nicht, dass sie nur ein Evolutionsprodukt sein sollen und nicht das Resultat einer eigenständigen göttlichen Schöpfung. Der Erfinder der Psychoanalyse, Sigmund Freud, bemerkt dazu trocken, die Evolutionstheorie sei „eine der drei Kränkungen der Eigenliebe der Menschheit“.

Wegbereiter wider Willen Und doch katapultiert sich Darwin mit seinen Schriften auf den Olymp der Wissenschaft. Als er 1882 stirbt, wird er in der Westminister Abbey zu Füßen des Monuments von Isaac Newton beigesetzt. Ohne Darwin wäre weder die nachfolgende Disziplin der Verhaltensforschung noch die Genetik denkbar. Ganz zum Schluss erweisen ihm seine Kollegen noch einmal Referenz: Die Finken, die der Naturforscher auf den Galapagos-Inseln entdeckt hat, werden ihm zu Ehren „Darwin-Finken“ getauft.

Auswirkungen bis heute Mit der Formulierung der Evolutionstheorie war die Leistung Darwins jedoch noch nicht zu Ende. Im Gegenteil, sie begann erst und beeinflusst bis heute alle modernen Wissenschaften. Vorweggenommen hat das schon der große Forscher selbst, indem er seine Theorie mit dem Wachstumsgesetz des Nationalökonomen Thomas Robert Malthus verglich. Dieser führte aus, dass die Menschheit sich exponentiell vermehre – sich also innerhalb einer Generation verdopple –, aber die Nahrungsmittelproduktion lediglich linear ansteige.

Also werde irgendwann zwangsläufig die Nahrung knapp, Hungerkatastrophen seien die Folge. Den „struggle for existence“ übertrug Darwin auf die Natur – nur der überlebt, der im natürlichen Selektionsmechanismus die Nischen ausnutzt, sodass vorteilhafte Variationen erhalten bleiben, unvorteilhafte verschwinden. Darwin betonte dabei ausdrücklich den Begriff „Kampf ums Dasein“ im metaphorischen Sinn zu gebrauchen: für Raubtiere, die um Beute kämpfen, ebenso wie für eine Pflanze, die sich bemüht, am Rande der Wüste zu überleben.

Der Forscher griff bei der Formulierung seiner Evolutionstheorie immer auch auf Konzepte zurück, die für die englische Gesellschaft seiner Lebenszeit galten und übertrug sie auf die Naturgeschichte. Heute hat der Begriff „Sozialdarwinismus“ einen politisch negativen Beigeschmack. Doch Darwin selbst hat ihn streng naturwissenschaftlich gemeint, keinesfalls jene „menschenverachtende Perspektive auf Randgruppen der Gesellschaft und sozial Schwächere“, wie es die Bundeszentrale für politische Bildung für die heutige Zeit formuliert.

Darwins „historische Leistung“, schreibt der Darwin-Biograf Jürgen Neffe, „ist eine weltumspannende Theorie des Lebens: Er stellte die menschliche Existenz auf eine natürliche, materielle Grundlage. Seitdem wissen wir, was die Welt des Lebendigen im Innersten zusammenhält: ihre Entwicklungsgeschichte.“ Darwins Thesen haben bis heute eine große Sprengkraft. Gute 150 Jahre nach Veröffentlichung der „Entstehung der Arten“ hat auch die Pharmazie dem Forscher zu verdanken, dass er als erster Wissenschaft und Religion getrennt hat, was eine Weiterentwicklung jeder evidenzbasierten Forschung ermöglichte.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 12/17 ab Seite 86.

Alexandra Regner, PTA/Redaktion

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