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Inkontinenz

TROCKEN BLEIBEN

Inkontinenz ist ein mit viel Unsicherheit und Schamgefühl behaftetes Thema. Aufklärung zu Therapie und Hilfsmitteln ist wichtig, um den Betroffenen ein normales Leben zu ermöglichen.

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Was ist das für ein Gefühl, wenn beim Husten und Niesen auf einmal Urin abgeht, die Hose nass wird oder wenn beim Einkaufen auf einmal der Drang so groß wird, aber keine Toilette in der Nähe ist? In unserer modernen Leistungsgesellschaft wird die Blasenkontrolle als ein wichtiger Indikator für geistige und soziale Fähigkeiten angesehen. Menschen mit Inkontinenz werden leicht als kognitiv eingeschränkt eingestuft und erfahren soziale Ausgrenzung. Die Angst vor unangenehmen Gerüchen oder davor, dass Einlagen oder Windeln von Außenstehenden erkannt werden, begleitet daher viele Patienten mit Inkontinenz.

Auch auf das Liebesleben kann dies Einfluss haben, wenn die Sorge besteht, beim Geschlechtsverkehr unbewusst Urin zu verlieren. So empfinden die Menschen deshalb Scham, Unsicherheit und tabuisieren die Beschwerden. Das führt in der Konsequenz dazu, dass sich viele Betroffene zunächst selber helfen, indem sie Binden oder Einlagen im Supermarkt kaufen und/oder sich sozial zurückziehen. Gerade für alte Menschen bedeutet es ein hohes Maß an Überwindung in der Apotheke oder beim Hausarzt dieses Thema anzusprechen. Dennoch sind PTA und Apotheker aufgrund ihrer Kompetenz hervorragend geeignet, diese Patienten zu identifizieren und empathisch anzusprechen.

Volkskrankheit Inkontinenz Entsprechend der demographischen Entwicklung wird das Thema Harn- oder Stuhlverlust im Rahmen der Gesundheitsversorgung alter Menschen zunehmend wichtig werden. In Deutschland leben über 4 Millionen Menschen, die unter unwillkürlichem Harn- und/oder Stuhlabgang leiden und deshalb Einschränkungen in ihrem Alltag erleben. Inkontinenz wird oft als Alterserscheinung abgetan, doch nicht nur Senioren haben diese Beschwerden. Chronische Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Multiple Sklerose, Querschnittslähmungen und neuronale Erkrankungen, aber auch die typische Beckenbodenschwäche nach einer Geburt begünstigen dies.

So finden sich in allen Altersgruppen Menschen mit Inkontinenz, wobei die Häufigkeit im höheren Lebensalter zunimmt. Etwa 30 Prozent der über 80-Jährigen leiden unter Harninkontinenz. Das weibliche Geschlecht ist etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Dass unwillkürlicher Harnverlust ein eher weibliches Problem ist, hat mit den anatomischen Voraussetzungen, der Belastung des Beckenbodens durch Entbindungen und der hormonellen Situation zu tun. Bei Männern steigt das Risiko für Inkontinenz zum Beispiel nach Prostataoperationen. Im hohen Alter treten die Beschwerden bei Männern und Frauen fast gleichermaßen oft auf. Das Lebensalter ist in der Regel nicht das alleinige Problem.

Alte Menschen haben oft eine Vielzahl von Erkrankungen und bekommen viele Medikamente. Deshalb lohnt sich der Blick auf die Medikamente und die sonstigen Diagnosen, denn möglicherweise fördern diese die Inkontinenz. Um der besonderen Situation alter Menschen Rechnung zu tragen, hat die Gesellschaft für Geriatrie (DGG) 2016 eine aktualisierte Leitlinie zur Harninkontinenz bei geriatrischen Patienten veröffentlicht (https://www.awmf.org/up​loads/tx_szleitlinien/084-001l_S2e_Harninkontinenz_geriatri​sche_Patienten_2016-05_1.pdf). Hier werden die Therapieoptionen auf ihre Relevanz beim alten Menschen überprüft.

Arzneistoffgruppen, die inkontinenz fördern
ArzneimittelGeförderte Inkontinenzformen
Diuretika (Erhöhung der Flüssigkeitsausscheidung)Alle Formen der Inkontinenz
Cholinergika, Cholinesterase-Hemmer, Betarezeptorenblocker, Digitalisabkömmlinge Dranginkontinenz
ACE-Hemmer, Benzodiazepine, Alpha- Sympathomimetika, MuskelrelaxanzienStress-, Belastungsinkontinenz
Betasympathomimetika, Tri- und Tetrazyklische Antidepressiva, Neuroleptika, Anticholinergika, Antiemetika, Phenytoin unterstützt Leber und Dickdarm in der Entgiftung

Funktion der BlaseDer gesamte Urogenitaltrakt besteht aus den Nieren, Harnleiter, Harnblase und Harnröhre. Gemeinsam sorgen sie für die Filtration der im Blut gelösten Stoffwechselabbauprodukte des Körpers. Die Ausscheidung zusammen mit Wasser erfolgt über den Urin, der aus den Nieren in die Harnleiter und dann in die Harnblase geleitet wird. Die Blase ist im unteren Bereich der Bauchhöhle hinter dem Schambein lokalisiert und hat eine wichtige Sammel- und Speicherfunktion. Pro Tag werden etwa 1,5 bis 2 Liter (l) Urin produziert, der zunächst in der Harnblase gesammelt und ab einem Füllungsvolumen von etwa 300 Milliliter (ml) entleert wird.

Dies können Menschen willentlich steuern, und so ist eine Entleerung von sechs- bis achtmal pro Tag normal. Damit dies funktioniert und kein Urin unkontrolliert abgeht, greifen spezielle Verschlussmechanismen, die über ein komplexes Zusammenspiel von Gehirn, vegetativem Nervensystem, Becken- und Blasenmuskulatur reguliert werden. Maximal 500 bis 1000 ml Harn kann die Blase aufnehmen, abhängig vom Trainingszustand. Die kindliche Blase hat natürlich ein geringeres Fassungsvermögen als die des Erwachsenen. Mit steigendem Füllungsvolumen werden neuronale Signale über Dehnungsrezeptoren an das Gehirn geschickt, wo sie als Harndrang wahrgenommen werden.

Dieser kann normalerweise eine gewisse Zeit unterdrückt werden. Zur Entleerung spannt sich die Blasenmuskulatur an, während der innere Schließmuskel und die Beckenbodenmuskulatur gleichzeitig loslassen, sodass der Urin abfließen kann. Bei gesunden Menschen bleiben nur wenige Milliliter Restharn in der Blase zurück. Nach der Entleerung spannt sich der Schließmuskel wieder an, die Blasenmuskulatur löst sich und die Harnröhre ist verschlossen. Die Blasenwand besteht aus drei Muskelschichten, die zusammen den Detrusormuskel bilden. An- und Entspannung der Muskeln werden durch das vegetative Nervensystem mit Sympathikus und Parasympathikus gesteuert.

Wir möchten die Sprachlosigkeit aufheben und Betroffenen Therapiemöglichkeiten aufzeigen. Harn- und Stuhlinkontinenz dürfen keine Tabuthemen sein! 

Deutsche Kontinenz Gesellschaft

Arten der Inkontinenz Die Ursachen für unwillkürlichen Harnverlust sind vielfältig. So werden die Belastungsinkontinenz, die Dranginkontinenz, Mischformen aus beiden und spezielle Inkontinenzformen wie die neurogene (zum Beispiel bei Querschnittslähmung), die extraurethrale (bei Blasen-Scheidenfisteln nach Bestrahlung oder Operationen) und die Überlauf-Inkontinenz unterschieden. Die Behandlung ist wesentlich von der Art der Inkontinenz abhängig. Deshalb ist die sorgfältige Anamnese und Diagnostik so wichtig. Die Leitlinie umfasst im Rahmen der Basisdiagnostik folgende Aspekte:

  • Allgemeine und gezielte Anamnese (Miktion und Trinkgewohnheiten, Stuhlgewohnheiten, gynäkologische Anamnese, Mobilität, kognitive Funktion, Medikation)
  • klinische Untersuchung
  • Urinuntersuchung
  • Miktionstagebuch
  • Restharnmessung.

Ziel der Basisdiagnostik ist es, das Ausmaß der Harninkontinenz zu beurteilen und daraus bereits die vorrangige Form der Harninkontinenz zu erkennen. Weil viele Aspekte in die Harninkontinenz im Alter hineinspielen, muss die Anamnese die Faktoren der gesundheitlichen Einschränkung im Alter, weitere Erkrankungen und Medikamenteneinnahme gezielt miterfassen. Außerdem sollten der Leidensdruck und die individuelle Lebenssituation des Menschen dabei berücksichtigt werden. Wenn dann weitergehende fachärztliche Diagnostik notwendig ist, sollte der Patient an einen Urologen überwiesen werden. Spezielle Untersuchungsmethoden der Urologie sind die Blasenspiegelung, um Tumoren auszuschließen, die Uroflowmetrie zur Harnflussmessung, die Ultraschalluntersuchung der Blase und das Miktions-Zysto-Urethrogramm – eine Röntgenuntersuchung. Bei Hinweisen auf eine typische Belastungsinkontinenz einer Frau komplettiert eine gynäkologische Untersuchung die Diagnostik, um eine mögliche Gebärmuttersenkung oder einen Gebärmuttervorfall zu erkennen.


Urinverlust unter Druck Ursache für die Belastungsinkontinenz, auch als Stressinkontinenz bezeichnet, ist eine Beckenbodenschwäche, unter der besonders häufig Frauen nach Entbindungen oder nach der Menopause leiden, aber auch wenn sie körperlich schwer gearbeitet haben. Charakteristisch ist der unwillkürliche Harnabgang unter Belastung des Beckenbodens, zum Beispiel beim Husten, Niesen, Lachen oder durch Sport. Mit steigendem Lebensalter und Rückgang der Estrogenkonzentration nimmt die Elastizität der Beckenbodenmuskulatur ab. Dazu kommt oftmals eine Senkung der Blase, wenn die Bänder die Organe des Unterleibs nicht mehr ausreichend halten können.

Als Konsequenz funktioniert der Schließmechanismus der Blase nicht mehr zuverlässig und kleine Urinspritzer gehen verloren. Bei Männern ist diese Inkontinenzform selten, eigentlich nur nach einer Prostataoperation. Der Name Belastungsinkontinenz leitet sich von der „Druckbelastung“ auf die Blase und deren Schließmuskel ab. Abhängig von den Urinmengen, die nicht mehr gehalten werden können, werden verschiedene Schweregrade unterschieden. Gehen beim Husten, Niesen oder Lachen lediglich kleine Mengen an Urin verloren, sprechen Experten von Grad I der Inkontinenz. Bei Grad II tritt ein Harnabgang bereits beim Aufstehen oder Laufen auf.

Grad III liegt vor, wenn sogar im Liegen Urin verlorengeht. Im Zentrum der Therapie steht die Stärkung der Beckenbodenmuskulatur. Dies kann physiotherapeutisch oder auch medikamentös – möglichst aber zweigleisig stattfinden. Laut Leitlinie ist Duloxetin, ein ursprünglich als Antidepressivum entwickelter selektiver Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer, der Wirkstoff der Wahl. Duloxetin wirkt außerdem alpha-adrenerg und anticholinerg und stärkt den Muskeltonus des Schließmuskels. In Studien mit einer zweimal täglichen Gabe von 40 Milligramm konnte bei 30 bis 40 Prozent der Patienten eine deutliche Reduktion der Inkontinenzepisoden erreicht werden.

Es liegen Hinweise dafür vor, dass die Kombination von Duloxetin mit physiotherapeutischem Beckenbodentraining der alleinigen medikamentösen Therapie überlegen sein könnte. Die Dosierung sollte langsam eingeschlichen werden, um mögliche Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Übelkeit oder Müdigkeit zu reduzieren. Obwohl die Leitlinie Estrogene nicht mehr zur Behandlung erwähnt, werden bei Frauen in der Menopause lokal anzuwendende Estrogenpräparate immer noch angewendet. Der Estrogenmangel nach der Menopause ist ein Risikofaktor für die Blasenschwäche bei Frauen.

Liegt gleichzeitig auch eine Blasensenkung vor, können stabilisierende Kunststoffnetze oder biokompatible spannungsfreie Bänder operativ eingesetzt werden und zur Hebung der Unterleibsorgane beitragen. Bei schweren Inkontinenzformen können Ballons zur Abdichtung der Harnröhre oder ein künstlicher Schließmuskel implantiert werden. Sehr erfolgreich wirkt bei der Belastungsinkontinenz das gezielte Beckenbodentraining mit Hilfe eines Physiotherapeuten. Patienten lernen ihren Beckenboden zu spüren und An- und Entspannung gezielt zu nutzen. Auch Pessare können den Beckenboden stabilisieren. Apotheker und PTA sollten betroffene Patienten mit Informationsmaterial versorgen und zu solchen Übungen motivieren.

Fragen für die Beratung

1. Verlieren Sie beim Husten, Niesen oder sportlicher Belastung unwillkürlich Urin? Ohne, dass Sie zuvor einen Drang verspürt haben?
2. Wie häufig müssen Sie am Tag oder in der Nacht auf die Toilette?
3. Spüren Sie manchmal einen plötzlichen, unkontrollierbaren Harndrang, sodass Sie es kaum zur Toilette schaffen?
4. Wie lange haben Sie bereits die Beschwerden?
5. Welche Maßnahmen haben Sie bereits ergriffen?
6. Wurde durch den Arzt eine Diagnose gestellt?
7. Welche Medikamente nehmen Sie dauerhaft gegen welche Erkrankungen ein?

Überaktive Blase Gleichermaßen bedeutsam wie die Belastungsinkontinenz ist die Dranginkontinenz. Im Alter leiden fast ebenso viele Männer wie Frauen darunter. Die Dranginkontinenz beeinträchtigt die Lebensqualität von Patienten im Alter sehr. So ist sie eng verbunden mit dem Auftreten von Depressionen, Stürzen, Hautekzemen, sozialer Isolierung, Krankenhauseinweisungen und Einweisung in Pflegeheime. Während bei der Belastungsinkontinenz unter hohem Füllstand und Druck auf die Blase Urin verloren geht, verspürt der Patient mit einer Dranginkontinenz bereits schon bei geringer Füllung der Blase einen starken Drang zur Toilette zu gehen.

Der Schließmuskel reagiert sofort, die Blasenmuskulatur kontrahiert sich und die Entleerung muss dann sofort passieren, um ungewollten Harnverlust zu vermeiden. Die Ursache der übermäßigen Aktivität des Schließmuskels liegt einerseits in einer erhöhten Empfindlichkeit von Muskarinrezeptoren und andererseits in einer mangelhaften Hemmung von Harndrangimpulsen. Blasentumore, schwere Blaseninfektionen oder neurodegenerative Erkrankungen (Morbus Parkinson, Multiple Sklerose und Morbus Alzheimer) beeinträchtigen die neuronale Steuerung und begünstigen die Dranginkontinenz als Folgeerkrankung. Im hohen Alter scheint eine veränderte neurogene Steuerung und das Nachlassen von Kompensationsmechanismen eine zusätzliche Rolle zu spielen.

Eine Sonderform der Dranginkontinenz ist die Giggle- oder Kicher-Inkontinenz. Diese sehr seltene Form tritt vorwiegend bei jungen Mädchen zwischen acht und zwölf Jahren auf. Bei ausgiebigem Lachen kommt es zu unkontrolliertem schwallartigem Harnverlust. Vermutlich gibt es eine familiäre Veranlagung dafür. Es handelt sich um eine Reifungsstörung, sodass die Blasenkontrolle noch nicht vollständig gesteuert werden kann. Zur Therapie wird zunächst ein Beckenbodentraining und alternativ Anticholinergika empfohlen. Bei einem großen Teil der Mädchen wachsen sich die Beschwerden im Erwachsenenalter aus.

Anticholinergika Die Behandlung einer Dranginkontinenz kann erfolgreich medikamentös durchgeführt werden. Bevor die Therapie begonnen wird, muss eine neurologische Ursache ausgeschlossen werden. Anticholinergika sind mit ihrer blockierenden Wirkung an den Muskarinrezeptoren die erste Wahl, gelten als verträglich und sicher. Mittlerweile gibt es eine breite Palette an Wirkstoffen, die oral oder als Pflaster angewendet werden. Sie senken die Miktionsfrequenz und erhöhen das Harnvolumen bei der Entleerung. Unter der Gabe nimmt der maximale Druck des Schließmuskels ab und die funktionale Blasenkapazität steigt. Dies bewirkt eine Besserung der Drangsymptomatik und eine Verringerung der Inkontinenzzwischenfälle.

Anticholinergika werden alleine oder mit anderen Maßnahmen kombiniert eingesetzt. Von Nachteil sind die Nebenwirkungen, die sich aus den anticholinergen Effekten an anderen Organen herleiten, zum Beispiel eine Steigerung des Augeninnendrucks, Obstipation, Tachykardien, Unruhe, Verwirrtheit, Restharnbildung und Mundtrockenheit. Hinsichtlich der bei geriatrischen Patienten relevanten zentralen Nebenwirkungen existieren Fallberichte über delirante Zustände, Halluzinationen, Gedächtnisverlust bei Tolterodin sowie Oxybutynin und parkinsonähnliche Symptome unter Propiverin. Deshalb müssen diese Anzeichen auf mögliche Einflüsse von Anticholinergika überprüft und wenn nötig Dosisanpassungen oder Wirkstoffumstellungen vorgenommen werden.

Oxybutynin ist einer der ältesten Wirkstoffe. Er ist als retardierte und unretardierte Tablette, sowie als transdermales System verfügbar. Während der Behandlung mit Oxybutynin leiden besonders viele Patienten unter Mundtrockenheit, dies ist ein häufiger Grund für einen Therapieabbruch. Diese Nebenwirkung tritt bei der Verwendung des transdermalen Systems seltener auf. Durch Umgehung des First-Pass-Effektes wird die Freisetzung eines stark anticholinerg wirkenden Metaboliten von Oxybutynin vermieden. Das Pflaster sollte zweimal pro Woche auf Bauch, Hüfte oder Oberschenkel geklebt werden. Die jüngeren Wirkstoffe Solifenacin und Darifenacin blockieren selektiv M3-Rezeptoren und wirken deshalb spezifisch auf die glatte Muskulatur im Gastrointestinal- und Urogenitaltrakt.

Deshalb sind die sonstigen anticholinergen Nebenwirkungen hier geringer ausgeprägt. PTA und Apotheker sollten Patienten über mögliche Nebenwirkungen informieren und ihnen außerdem direkt Linderungshinweise mitgeben, um die Therapiefortsetzung zu sichern. Vorsicht gilt bei Menschen mit Engwinkelglaukom, Leber- und Nierenfunktionsstörungen und Myasthenia gravis, weil Anticholinergika in diesen Fällen kontraindiziert sind.

Da Antidepressiva, Neuroleptika oder Schlafmittel ebenfalls anticholinerge Eigenschaften haben, ist es wichtig, auf die Gesamtmedikation des Patienten zu achten. So kann eine hohe „anticholinerge Last“ die beschriebenen typischen Nebenwirkungen hervorrufen. Dann sollten Apotheker und Arzt gemeinsam überlegen, ob es alternative Wirkstoffe gibt, die weniger Nebenwirkungen hervorrufen. Dazu ist die PRISCUS-Liste (www.priscus.de) zu potenziell inadäquaten Wirkstoffen im Alter eine gute Arbeitshilfe.

Relaxation des Schließmuskels Laut Stufenplan kommen nach unzureichendem Therapieerfolg der Arzneimittel elektrische Neuromodulation und Botulinum A Toxin in Frage. Ein häufiges Problem bei der Dranginkontinenz ist eine fehlerhafte, übermäßige Kommunikation zwischen Blase und Gehirn, die zu ständigem Entleerungsdrang führt. Mit einem elektrischen Schrittmacher werden sanfte elektrische Impulse an die Sakralnerven – die Nervenbahnen zwischen Blase, Darm und Gehirn – abgegeben. Diese Signale modulieren die Fehlinformationen und verbessern die Funktionsstörungen der Blase, aber auch des Darms.

Dieses Implantat wird auch als Beckenbodenschrittmacher bezeichnet und eignet sich für Patienten mit Dranginkontinenz, Miktionsstörungen und Stuhlinkontinenz. Durch diese Stimulation kann keine Heilung, aber eine Reduktion der Symptome erreicht werden. Das hochtoxische Neurotoxin aus Clostridium botulinum blockiert die Freisetzung von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte. Damit wird eine mehrere Monate andauernde Verminderung der Schließmuskelkontraktilität erreicht. Erst wenn wieder neue Axone aufsprießen, stellt sich ein Wirkverlust ein und die Behandlung muss wiederholt werden.

Angewendet wird es als minimalinvasives Verfahren, bei dem das verdünnte Toxin in 10 bis 30 Areale der Blasenwand injiziert wird. Es gilt als Reserveverfahren, wenn andere Maßnahmen nicht greifen und kann bei geriatrischen Patienten in Erwägung gezogen werden. Eine weitere Methode ist die Instillationstherapie mit Glykosaminoglykanen bei der überaktiven Blase. Grundlage der Therapie ist, dass eine fehlerhafte Glykosaminoglykanschicht in der Blasenwand zu Irritationen und Schmerz- und Drangsymptomen beitragen soll. Die Studienlage ist begrenzt und die Behandlung ist auch nicht erstattungsfähig. Laut Leitlinie kann sie im Einzelfall bei Therapieversagen aller non-invasiven Ansätze in der Geriatrie zum Einsatz kommen.

Überlaufinkontinenz Abflussstörungen der Blase entstehen, wenn der Blasenausgang verengt oder versperrt ist, zum Beispiel bei Prostatavergrößerungen, durch einen Tumor oder Harngries. Eine Behandlung ist nötig wegen der Gefahr eines Rückstaus bis in die Nieren mit dem Risiko der Niereninsuffizienz. Eine andere Ursache der Überlaufinkontinenz ist eine Kontraktionsschwäche des Blasenmuskels. Dieser kann medika- mentös und alternativ durch Elektrostimulation aktiviert werden. Alpha-​Rezeptorenblocker wie Alfuzosin, Doxazosin und Terazosin kommen bei Ablassstörungen zum Einsatz. Sie wirken entspannend auf die Blasenmuskulatur, der Urin wird besser abgegeben und die Restharnmenge sinkt.

Bei einer Kontraktionsschwäche sind Parasympathomimetika wie Carbachol die Mittel der Wahl. Diese werden jedoch wegen der gastrointestinalen Nebenwirkungen nicht so gut vertragen. Die Überlaufinkontinenz, auch als chronische Harnretention bezeichnet, tritt überwiegend bei Männern im höheren Lebensalter auf. Typisch ist ein tröpfchenartiger Harnverlust, der manchmal kaum wahrgenommen wird. Bei Drücken auf den Unterbauch verstärkt sich das Tröpfeln. Nach dem Toilettengang verbleibt in der Regel Restharn in der Blase, die vollständige Entleerung ist nicht möglich. Zum Teil müssen die Patienten sich selber katheterisieren, um die Menge des Restharns so niedrig wie möglich zu halten.

Richtig heben für den Beckenboden: Hüftbreit hinstellen, den Oberkörper gerade halten und etwas in die Knie gehen. Die Last zusätzlich aus den Armen heraus anheben. Spürt man beim Heben einen starken Druck im Bauch, dann ist die Last zu schwer.

Sonderfall Stuhlinkontinenz Besonders belastend ist es für Patienten, wenn sie den Stuhlgang nicht halten können. Laut WHO-Definition ist Stuhlkontinenz die erlernte Fähigkeit, „Stuhlgang willentlich ort- und zeitgerecht abzusetzen“. Generell kann die Stuhlinkontinenz in jedem Alter auftreten. Sie kann angeboren oder aufgrund von Erkrankungen oder operativ erworben sein. Frauen sind aufgrund anatomischer Gegebenheiten öfter betroffen als Männer. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass etwa fünf Prozent der Bevölkerung mit unterschiedlicher Ausprägung darunter leiden.

Die Ursachen sind vielfältig und werden entsprechend eingeordnet: sensorisch (Verlust analer Empfindung, meist Operationsfolge), muskulär (Sphinkterdefekte, Beckenbodeninsuffizienz), neurogen (zentrale/periphere Ursachen), gestörte Reservoirfunktion (Tumoroperationen, chronisch entzündliche Darmerkrankungen), funktionell (Laxanzienabusus, Überlaufinkontinenz), idiopathisch. Abhängig von diesen Ursachen werden therapeutische Maßnahmen empfohlen. Die Stuhlkonsistenz und -frequenz kann mit einer ausgewogenen ballaststoffreichen Ernährung und angemessener Flüssigkeitszufuhr positiv beeinflusst werden.

Wenn Auslöser wie Laxanzien oder Nahrungsmittelintoleranzen dabei eine Rolle spielen, sollten sie vermieden werden. Gibt es ursächliche Grunderkrankungen, zum Beispiel eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung, muss diese optimal behandelt werden, um auch die Komorbidität Stuhlinkontinenz zu verbessern. Bei der idiopathischen Stuhlinkontinenz wird symptomatisch mit Loperamid und Diphenoxylat/Atropin behandelt. Physiotherapie, die den Schließmuskel trainiert, Biofeedbacktraining und Elektrostimulation sind nichtmedikamentöse Maßnahmen, die den Beckenboden und Sphinkterapparat erfolgreich stabilisieren.

Selbst gegen Inkontinenz Um die Kontinenz im Alltag zu verbessern, sollten Patienten auf nichtmedikamentöse Maßnahmen wie Toilettentraining, Beckenbodentraining, Gewichtsreduktion und das Führen eines Miktionstagebuchs aufmerksam gemacht werden. Während die Stärkung des Beckenbodens bei der Belastungsinkontinenz gute Erfolge erzielt, ist das professionelle Toilettentraining bei Patienten mit Dranginkontinenz sehr effektiv. Dabei üben die Patienten bei dem Gefühl des Harndrangs den Gang zur Toilette und die Entleerung bewusst zu verzögern. Indem sie den Beckenboden fest anspannen, wird ein Reflex aktiviert, der die Blase entlastet und die Inkontinenzsymptome auf Dauer verringert.

Eine andere Strategie ist es, die Toilettenbesuche zu festen Zeiten festzulegen. Dies ist sinnvoll für Patienten, die lernen müssen, den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, bevor der nicht zu kontrollierende Harndrang eintritt. Der Rhythmus ist abhängig von der Trinkmenge und dem Schweregrad der Inkontinenz. Unterstützung bietet ein Miktionstagebuch, in das die Uhrzeiten der Toilettengänge, unwillkürliche Abgänge, Trinkmenge und Urinmenge eingetragen werden. Vordrucke zur Dokumentation gibt es von der Deutschen Kontinenz Gesellschaft (siehe nützliche Internetadressen).

Probleme identifizieren Apotheker und PTA sind in der Apotheke kompetente Gesprächspartner für betroffene Patienten. Sie kennen die Medikamente der Stammkunden, die persönliche Lebenssituation und haben bereits ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut. Dies macht es möglich, Risikopatienten aktiv ein Beratungsangebot zu unterbreiten. Wenn in der Apotheke Inkontinenzprodukte sichtbar positioniert sind oder ein Plakat auf die Beratung hinweist, schöpfen die Kunden Mut, das Thema Harnverlust anzusprechen. Im Rahmen einer Medikationsanalyse können die eingenommen Arzneimittel ein Gesprächsaufhänger sein: „Wissen Sie, dass Ihre Medikamente die Blasenfunktion schwächen können? Ist das für Sie ein Thema?“

Beispielsweise sind Diuretika Medikamente der Wahl bei Herz-Kreislauferkrankungen und kommen häufig im Alter zum Einsatz. Hier sind Dosierung, Einnahmemodus und häufiges Wasserlassen eventuell mit Inkontinenzproblemen verbunden und zu hinterfragen. PTA sollten sich mit der Beratung zu Vorlagen und Windeln auskennen und die Patienten kompetent unterstützen. Die Vielfalt der Produkte ist so groß, dass gerade bei der erstmaligen Auswahl Sorgfalt und Anamnese nötig sind. Dazu gibt es Anamnesebögen zur Verordnung von Inkontinenzvorlagen, die einen guten Beratungsleitfaden darstellen.

Einfache Vorlagen, die im Slip getragen werden und unterschiedliche Saugstärken haben, werden von mobilen Menschen mit leichter bis mittlerer Harninkontinenz verwendet. Sie sind anatomisch geformt und besitzen eine undurchlässige Außenseite als Wäscheschutz. Vorlagen werden entweder durch Klebestreifen in der normalen Unterwäsche fixiert oder durch elastische Netzhosen sicher am Körper getragen. Für Männer gibt es Inkontinenzeinlagen, die auf die spezielle Anatomie des Mannes abgestimmt sind. Windeln geben mehr Sicherheit, werden vom Patienten direkt am Körper getragen und sind in verschiedenen Saugstärken und Taillengrößen verfügbar.

Vor der Auswahl sollte der Bauchumfang des Patienten ermittelt werden. Unterschieden werden Windeln, die an der Seite mit Klebestreifen fixiert werden, Windeln oder Vorlagen mit Hüftgürtel und Pants, sogenannte Einmalunterhosen. Diese sind für mittlere bis schwere Inkontinenz geeignet. Die Systeme bestehen alle aus einem saugfähigen Kern – dem Superabsorber, der Flüssigkeit und Geruch bindet. Ziel ist, dass der Körper des Patienten dabei trocken bleibt, um Infektionen und Ekzeme zu verhindern. Pants haben den Vorteil, dass sie relativ diskret getragen werden und etwas an einen Slip erinnern.

Sie haben eine textile Außenseite und lassen sich wie normale Unterwäsche an- und ausziehen. Pants gibt es für verschiedene Inkontinenzgrade, sowohl für Frauen als auch für Männer. Windelhosen sind sowohl für schwere Harn- als auch für Stuhlinkontinenz geeignet. Sie haben eine vollflächige Vliesabdeckung und sind rundum elastisch mit einer feuchtigkeitsundurchlässigen Folie versehen. Einige besitzen sogar einen Nässeindikator, der es dem Pflegenden ermöglicht, den Feuchtigkeitsgrad der Windel zu erkennen. Die elastischen Beinabschlüsse bieten einen guten Auslaufschutz. Sie werden wegen ihrer hohen Saugkraft häufig bei bettlägerigen Menschen verwendet, ermöglichen aber auch mobilen Betroffenen optimale Sicherheit.

Zur aktuellen Fortbildung zum Thema Inkontinenz geht es hier.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 11/18 ab Seite 34.

Dr. Katja Renner, Apothekerin

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