Komplementärmedizin
TRADITIONELL, ABER PRAGMATISCH
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Die Kampo-Medizin ist die traditionelle sino-japanische Heilpflanzentherapie. Sie entwickelte sich in Japan aus der traditionellen chinesischen Medizin (TCM), die im 6. bis 10. Jahrhundert von medizinisch ausgebildeten buddhistischen Mönchen nach Japan gebracht wurden. Eine bedeutende Grundlage des Wissensschatzes waren 164 Bände medizinischer und pharmazeutischer Bücher, die der Exil-suchende koreanische Prinz Chiso dem japanischen Kaiser im Jahr 562 bei seiner Ankunft überreichte. Die Heilmethode entwickelte sich in Japan eigenständig weiter. Einheimische Heilpflanzen aus der japanischen Volksmedizin ergänzten oder ersetzten das chinesische Kräuterrepertoire, Weiterentwicklungen durch japanische Ärzte und auch Einflüsse der westlichen Phytotherapie veränderten die ursprüngliche chinesische Therapierichtung.
Weniger, aber effektiver In der Edo-Zeit (1639–1854), in der sich Japan von auswärtigen Beziehungen und Einflüssen weitestgehend abschottete, erlebte die Kampo-Medizin einen bedeutenden Aufschwung: Um zu verhindern, dass die medizinische Versorgung unter der Abgrenzungspolitik leide, wurde die einheimische Medizin durch ein großes Forschungsprogramm gefördert. In dieser Zeit kam es zur eigentlichen Emanzipation der japanischen Heilmethode. Sie orientierte sich zunehmend an Symptomen und wurde von esoterisch-spekulativen Ansätzen der TCM wie beispielsweise den Funktionskreisen und Energiebahnen befreit.
Und sie wurde pragmatischer: So reduzierten die praktizierenden Ärzte den Arzneidrogenschatz deutlich von über 2000 auf rund 250 Arzneidrogen und ähnlich viele festgeschriebene Rezepturen, deren Wirkung nachvollziehbar war. Fertigarzneimittel entstanden in großer Zahl. Die japanische Apothekerschaft, die die Arzneimittel entwickelte, herstellte und die Qualitätskontrollen übernahm, gewann stark an Bedeutung. Trotz der Abgrenzungsversuche nahm im 19. Jahrhundert der Einfluss der westlichen Medizin in Japan zu und beide Methoden wurden zunehmend parallel eingesetzt.
Kampo-Schulen
Im Laufe der Jahrhunderte entstanden drei bedeutende Schulen der Kampo-Medizin:
Goseiha-Kampo: stark beeinflusst von der TCM
Seccuha-Kampo: großer europäischer Einfluss
Kohoha-Kampo: auf die als puristisch eingestufte Schule stützt sich die moderne klinische Kampo-Medizin weitestgehend.
Die chinesische Methode Mit dem Umsturz der Regierung Mitte des 19. Jahrhunderts war eine gewaltsame Verwestlichung der japanischen Bevölkerung verbunden. Den Ärzten wurde die Behandlung nach der japanischen Heilmethode verboten. In dieser Zeit wurde der Begriff Kampo-Medizin geprägt. Er bedeutet wörtlich übersetzt „Chinesische Methode“ und grenzt die nun unerwünschte Therapierichtung von der westlichen Medizin ab, die jetzt ausschließlich angewandt werden sollte. Während nur noch einzelne Mediziner an der traditionellen Methode festhielten, vertrieben die japanischen Apotheken weiterhin parallel sowohl die traditionell-japanischen als auch synthetische Fertigarzneimittel. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Kampo-Medizin eine Renaissance.
Sie wurde in den vergangenen Jahrzehnten wissenschaftlich überprüft und neu bewertet. Ein Qualitätsstandard für Rohdrogen und Extraktpräparate wurde entwickelt. Die Kampo-Arzneien unterliegen nun in Japan in Bezug auf Qualität und Wirksamkeitsnachweis den gleichen rechtlichen Bestimmungen wie alle Arzneimittel. Nur approbierten Ärzten ist es in Japan erlaubt, die Kampo-Arzneimittel zu verordnen und die Kosten werden von den Krankenkassen übernommen. Die meisten der erstatteten Medikamente und angewandten Therapien folgen der Kohoha-Schule (siehe Kasten). Hier erstellt der Arzt nach der Anamnese ein Beschwerdeprofil, das als shô bezeichnet wird, und sucht ein dazu passendes Arzneimittel aus den Kampo-Rezepturen.
Wissenschaftlich untermauert Kampo-Medizin bietet heute neben der westlichen Medizin eine weitere evidenzbasierte therapeutische Option. Sie setzt insbesondere da an, wo die moderne westliche Medizin an ihre Grenzen stößt. Dazu gehören beispielsweise chronische Zivilisationskrankheiten, funktionelle sowie postindustrielle Störungen. Auch im Bereich der Prävention und der Altersmedizin findet sie ihren Einsatz. Ein großer Anwendungsbereich für die Kampo-Rezepturen sind gastrointestinale Funktionsstörungen. So gibt es vielversprechende Wirksamkeitsbelege für Rezepturen, die bei Beschwerden des Verdauungstraktes wie funktioneller Dyspepsie oder Reizdarmsyndrom häufig genutzt werden.
Hierzu gehört die Rikkunshi-to-Rezeptur, eine fixe Zusammensetzung aus acht ostasiatischen Arzneipflanzen, von denen einige wie Süßholzwurzel, Bitterorangenschale, Ginseng- und Ingwerwurzelstock auch bei uns häufig gegen Beschwerden im Verdauungstrakt eingesetzt werden. Ergänzt durch Jujubae fructus, Pachyma hoelen, Pinelliae tuber und Atractylodis ov. rhizoma, die hierzulande weitgehend unbekannt sind. Das Wirkspektrum der Heilpflanzenkombination reicht von mukoprotektiv über motilitätsfördernd, spasmolytisch, Mikrozirkulation-fördernd bis analgetisch. Die Rezeptur reguliert die Magenmotalität, fördert die Magenschleimhautdurchblutung und führt zur Entspannung des Darmes.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 ab Seite 24.
Dr. Susanne Poth, Apothekerin/Redaktion