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Berühmte Giftmorde

TÖDLICHE SCHOKOLADE

Christa Lehmann wuchs in desolaten Verhältnissen auf und ermordete als Erwachsene mehrere Menschen. Auf die Spur kam man ihr durch ein Gastgeschenk: Die mitgebrachten Pralinen enthielten E605.

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Ihre Mutter war in einer Heil-und Pflegeanstalt, ihr Vater prügelte sie groß – die kleine Christa Ambros hatte keine leichte Kindheit. Mit 21 heiratete sie den Fliesenleger Karl Franz Lehmann. Ihr frischgebackener Ehemann verbachte die Hochzeitsnacht mit einem Buffetfräulein, während sie bei ihrer Schwester im Bett schlief. Schon früh beging Christa Lehmann kriminelle Straftaten, im Geschäft wurden Schwarzmarktaktivitäten aufgedeckt. Streitigkeiten und körperliche Auseinandersetzungen zwischen ihr, dem Ehemann und ihrem Schwiegervater waren an der Tagesordnung. Nur mit ihrer Schwiegermutter verstand sie sich gut. Eben diese soll der jungen Frau auf dem Sterbebett den folgenschweren Satz mitgegeben haben: „Wenn ich in deinen jungen Jahren wär‘, ich gäbe dem Alten was ins Fressen.“

Todesursache „Magengeschwür“ Im September 1952 starb Fritz Lehmann unter schweren Krämpfen; der Notarzt schrieb ins Protokoll „Durchbruch eines Magengeschwürs“. Da der Mann alkoholabhängig und magenleidend war, schien die Todesursache durchaus plausibel. Christa Lehmann war eine fröhliche Witwe und zeigte sich offen in der gemeinsamen Wohnung mit wechselnden Liebhabern. Ihrem Schwiegervater war das ein Dorn im Auge und es gab immer wieder Auseinandersetzungen zwischen den beiden – bis auch er im Oktober 1953 vom Fahrrad fiel: Herzversagen. Es gab nichts, was auf eine Beteiligung der Schwiegertochter hinwies. Christa Lehmann hatte eine Freundin, Annie Hamann. Diese lebte mit ihren Geschwistern und ihrer Mutter Eva Ruh in der Wormser Altstadt. Annie war ebenso wie Christa wechselnden Bettpartnern nicht abgeneigt; gemeinsam machte man nachts entsprechende Kneipen unsicher. Annies Mutter missfiel dies zutiefst. Und Christa wollte das Problem auf ihre Art lösen.

Mörderisches Gastgeschenk Am 14. Februar 1954 kam sie zu Besuch. Alle waren da: Die Mutter Eva Ruh, Annie Hamann, deren Bruder und eine zufällig anwesende Nachbarin. Christa bot Pralinen an, die sie extra aus einem großen Wormser Kaufhaus besorgt hatte. Eva Ruh lehnte trotz Drängens von Christa ab, sie zu essen und legte die ihr zugedachte Praline in den Kühlschrank, um sie für ihre Enkelin aufzubewahren. Am nächsten Tag fand Annie die Praline und biss hinein – sie schmeckte aber so eklig, dass sie die Hälfte davon auf den Boden spuckte. Neben ihr stand der Haushund, ein weißer Spitz – und wie Hunde so sind, fraß er den Schokomatsch auf der Stelle auf. Nur wenig später verstarb Annie unter Krämpfen, ein herbeigerufener Notarzt konnte nichts mehr für sie tun. Aufmerksam wurde der Doktor, da der Spitz genauso schnell gestorben war wie Annie – und er ordnete eine Obduktion der Frau an.

Toxikologe hat eine Eingebung Und so kam man Christa Lehmann auf die Spur: Sie hatte das Pflanzenschutzmittel E605 in die Pralinen appliziert. Das geruch- und farblose, hochwirksame Insektengift konnte man damals in jeder Drogerie, jeder Düngemittelhandlung kaufen. Es hemmt die Acetylcholinesterase irreversibel. Heutzutage würde man ein Screening anordnen – doch diese Nachweismethode gab es 1954 noch nicht. Kurt Wagner, Toxikologe am Rechtsmedizinischen Institut in Mainz, testete letztlich durch eine Eingebung, also auf Verdacht das Blut Annie Hamanns auf Parathion, den Wirkstoff des Pflanzenschutzmittels E605.

Und so fand er heraus, dass die Praline, die eigentlich der Mutter Annies zugedacht war, ein mörderisches Gift enthielt. Christa Lehmann gestand. Sie hatte mittels einer heißen Stricknadel den Schokoladenüberzug der Praline geöffnet, die Cognacfüllung herauslaufen und in die Öffnung E605 hineinträufeln lassen, die Öffnung dann mit einem Messer wieder verstrichen. Und sie machte noch mehr Geständnisse: Auch ihren Ehemann und den Schwiegervater hatte sie so ins Jenseits befördert. Sie hatte dazu stets deren Lieblingsspeisen benutzt: Frühstücksmilch im Falle von Fritz, Joghurt bei seinem Vater. Und eben Pralinen beim versuchten Mord an Eva Ruh.

Heute nicht mehr erhältlich Die Medien berichteten reißerisch über die Mordserie mit dem „Wormser Gift“. Die Folgen waren vorauszusehen: Es kam in kürzester Zeit zu einem dramatischen Anstieg an Suizid- und Mordfällen mit E605. Das führte zuerst dazu, dass die im Handel erhältliche Flüssigkeit gelbbraun eingefärbt und mit einem stechend knoblauchartigen Geruch versehen wurde. Bis 2002 war das Pflanzenschutzmittel noch im Handel und man konnte es unter Vorlage des Personalausweises erwerben. Mittlerweile ruht die Zulassung parathionhaltiger Pflanzenschutzmittel. Christa Lehmann versuchte sich im Gefängnis mehrfach, das Leben zu nehmen, doch alle Versuche misslangen. Nach 23 Jahren Haft wurde sie entlassen. Sie lebt noch heute, unter falscher Identität, und ist fast hundert Jahre alt.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 09/19 ab Seite 72.

Alexandra Regner, PTA und Journalistin

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