Biologicals und Biosimilars
THERAPIE AUS LEBENDEN ZELLEN
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Dem Zufall ist die Entdeckung von Arzneimitteln schon lange nicht mehr überlassen. Moderne Arzneistoffe sind Hightech-Produkte, deren Entwicklung die genaue Erforschung des Krankheitsgeschehens vorausgeht. Neue Erkenntnisse aus der Genforschung haben die Medizin entscheidend vorangebracht, denn je tiefer man in das menschliche Erbgut hineinschaute, desto besser gelang es, Krankheiten zu verstehen und anzugehen. So rückten auch Therapiestrategien in greifbare Nähe, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar waren.
Besonders großes Interesse gilt seither hochmolekularen Wirksubstanzen, die in der Lage sind, regulatorisch in biologische Prozesse des Körpers einzugreifen. Für diese Substanzklassen hat sich der Begriff Biopharmazeutika, Biologika oder Biologicals durchgesetzt. Das europäische Arzneibuch versteht darunter Arzneistoffe, die mit Mitteln der Biotechnologie in genetisch veränderten Zellen hergestellt werden. Biologicals von gleichbleibender Qualität und in großem Maßstab zu produzieren, stellt die pharmazeutischen Hersteller immer wieder vor neue Herausforderungen. Den Anfang machte 1982 ein Insulin. Aktuell liegen große Hoffnungen in der Krebsmedizin.
Vielfältige Anwendungsgebiete Mit Arzneistoffen biogenen Ursprungs werden meist schwere, oft lebensbedrohliche Krankheiten behandelt. Vor allem dann, wenn die üblichen Therapieverfahren keinen ausreichen Behandlungserfolg zeigen oder ganz versagen. Überaus stark vertreten sind Biopharmazeutika in der Immunologie, in der Onkologie und in der Therapie angeborener Stoffwechsel- und Gerinnungsstörungen. Rund zwei Drittel aller Wirkstoffe sind auch für die Behandlung an Kindern zugelassen.
Struktur und Eigenschaften Biopharmazeutika sind Proteinarzneistoffe, bestehen also aus langen Ketten verknüpfter Aminosäuren, die typische Proteinstrukturen ausbilden. Da diese Wirksubstanzen zu groß sind, um die Schleimhäute im Magen-Darm-Trakt zu passieren, werden sie bis auf wenige Ausnahmen parenteral verabreicht. Subkutane Präparate sind zur Selbstanwendung geeignet, Infusionen bekommt der Patient in der Klinik. Viele Biologicals haben eine lange Halbwertszeit und dementsprechend auch ein längeres Dosierungsintervall als die meisten oralen Arzneiformen.
Auf einen Blick: Biopharmazeutika und chemisch-synthetische Wirkstoffe im Vergleich
Chemisch-synthetische Arzneistoffe | Biotechnologisch hergestellte Arzneistoffen | |
---|---|---|
Wie werden sie hergestellt? | Durch chemische Synthese | In gentechnisch veränderten Zellen |
Was zeichnet ihre Moleküle aus? | Kleine Größe | Große und sehr komplexe Struktur |
Wo entfalten sie ihre Wirkung? | Innerhalb oder außerhalb von Zellen | Außerhalb von Zellen oder in der Blutbahn |
Wie werden sie verabreicht? | Überwiegend oral | Als Infusion oder Injektion |
In welchen Dosierungsintervallen? | Überwiegend täglich | Oftmals in Abständen von Wochen bis Monaten |
Wie Zellen Wirkstoffe produzieren Biopharmazeutika sind so komplex aufgebaut, dass sie durch chemische Synthesen nicht mehr herzustellen sind. Deshalb setzt die Pharmaindustrie Bakterien-, Hefe- oder Säugetierzellen als Produktionsorganismen ein. Einfache Proteine lassen sich aus Bakterien- und Hefezellen gewinnen; zur Herstellung veredelter Wirkstoffe sind jedoch nur Säugetierzellen fähig.
Ein Großteil aller Biologicals wird aus Ovarialzellen des chinesischen Hamsters, den sogenannten CHO-Zellen produziert. Will man Produkte erhalten, die den menschlichen Proteinen gleichen, müssen zuvor die entsprechen Genabschnitte in das Erbgut der Produktionszellen eingefügt werden. Artfremde Gene in einem Wirtsorganismus zur Proteinbildung zu bringen ist nur möglich, weil alle bekannten Lebewesen im Grunde nach dem gleichen Bauplan arbeiten, also den gleichen genetischen Code besitzen.
Von der Ausgangszelle zur Zellbank Mit Hilfe der Gentechnik bauen Molekularbiologen nicht nur menschliche Proteine nach, sondern entwickeln auch neue Moleküle, die ein besseres Wirkprofil im Vergleich zu den natürlichen Vorbildern versprechen. Inzwischen haben sich vielfältige Methoden etabliert, mit denen man Gene gezielt verändern oder neu zusammensetzen kann. Die Wissenschaft fasst diese Prozesse unter dem Begriff Rekombinationstechnik zusammen. Darüber hinaus ist es gelungen, therapeutische Proteine auch chemisch zu modifizieren.
Eine verlängerte Wirksamkeit erreicht man beispielsweise durch die sogenannte PEGylierung, also die Verknüpfung des Arzneistoffproteins mit einem oder mehreren Polyethylenglykol-Molekülen. Pharmazeutische Unternehmen haben ein großes Interesse daran, ihre von den Behörden genehmigten Zellkulturen über einen möglichst langen Zeitraum aufrecht zu erhalten. Aus einer gentechnisch veränderten Zelle werden daher ganze Zelllinien, also Tausende von Kopien dieser Ursprungszelle hergestellt und in sogenannten Masterzellbänken als Ausgangsmaterial für weitere Produktionszyklen aufbewahrt.
Ein Großteil aller Biologicals wird aus Ovarialzellen des chinesischen Hamsters, den sogennannten CHO-Zellen produziert.
Der Prozess ist das Produkt Die eigentliche Produktion biopharmazeutischer Wirkstoffe erfolgt durch Fermentation in großen Bioreaktoren und ist technisch höchst anspruchsvoll. Jeder Produktionsschritt muss genau kontrolliert und dokumentiert werden, damit das Endprodukt von Charge zu Charge die gleiche Qualität aufweist. Nach der Auswahl eines geeigneten Wirtsorganismus (Bakterien-, Säugetier- oder Hefe-Zelllinie) wird das genetische Material in die Wirtszelle eingebracht und die Zellen vermehrt.
Unter optimalen Bedingungen (Temperatur, Druck, Medium, Rührgeschwindigkeit usw.) findet die Produktion des Proteins statt. Anschließend wird das Protein vom übrigen Zellmaterial isoliert, gereinigt, auf Reinheit und Identität geprüft und in eine stabile Arzneiform gebracht. Da jede Produktionsanlage einzigartig ist, geht immer auch der Herstellungsprozess in die Zulassung eines Biopharmazeutikums mit ein.
Sichere Quelle für Wirkstoffe Ursprünglich bediente sich die Arzneimittel-Industrie der Gentechnik, um Proteine zur Behandlung von Mangelerkrankungen in ausreichender Menge und guter Qualität zu erhalten. Biologicals, die fehlende körpereigene Substanzen ersetzen, übernehmen beispielsweise die Aufgabe von Enzymen, von Wachstums- und Sexualhormonen oder sie gleichen die Fehlfunktion der Blutgerinnung aus. Auch das in der Diabetes-Therapie benötigte Insulin wird biotechnologisch erzeugt, denn aus natürlichen Quellen wäre der Insulinbedarf heute nicht mehr zu decken.
Umsatzstark und innovativ: Analoginsuline Der Ersatz von körpereigenem durch rekombinantes Insulin, das auch als Humaninsulin bezeichnet wird, ist bereits seit 1982 möglich. Im Aufbau gleicht es exakt dem Hormon, das die menschliche Bauchspeicheldrüse bildet. Humaninsuline werden immer vor den Mahlzeiten gespritzt, damit der Blutzuckerspiegel nach dem Essen rasch absinkt. Im Gegensatz zum körpereigenen Insulin wirken Humaninsuline erst nach etwa 30 Minuten. Insgesamt hält die Wirkung vier bis sechs Stunden an, reicht also nicht aus, um den Insulinbedarf abzudecken, der unabhängig vom Essen über den ganzen Tag benötigt wird.
In der modernen Diabetes-Therapie kommen daher die sogenannten Analoginsuline zum Einsatz. Nur geringe Abwandlungen in deren Proteinstrukturen lassen die blutzuckersenkende Wirkung im Vergleich zum Humaninsulin entweder schneller oder auch langsamer eintreten. Wissenschaftler bezeichnen Analoginsuline als Biobetters, da die therapeutische Wirkung der natürlichen Vorlage überlegen ist. Insulin Detemir und Insulin Glargin sind Langzeitinsuline, die nach ihrer Injektion erst allmählich in den Blutkreislauf abgegeben werden. Sie dienen dazu, im Tagesverlauf für ein gleichmäßiges Blutzuckerprofil zu sorgen.
Schnell wirkende Analoginsuline, wie Insulin Aspart, Insulin Lispro und Insulin Glulisin haben den Vorteil, dass sie sehr rasch ins Blut aufgenommen werden und der übliche Spritz-Ess-Abstand entfällt. Werden sie erst nach der Mahlzeit gespritzt, kann die Insulindosis sogar der tatsächlich gegessenen Menge an Broteinheiten angepasst werden. Mittlerweile sind die Kurzzeit-Analoginsuline bei Typ-I-Diabetes im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie, aber auch in der Insulinpumpentherapie die Standardinsuline.
Neue Therapieoption bei Typ-II-Diabetes Neuere Wirkstoffe in der Therapie des Typ-II-Diabetes setzen auf die Unterstützung bestimmter Darmhormone, die sogenannten Inkretine. Der Darm schüttet sie direkt nach einer Mahlzeit aus, um die Bauchspeicheldrüse zur Insulinabgabe zu veranlassen. Als Arzneimittel sind die natürlichen Inkretine nicht geeignet, da sie durch körpereigene Enzyme schnell wieder abgebaut werden.
Doch die auf biotechnologischem Weg hergestellten Inkretin-Mimetika Liraglutid, Albiglutid und Dulaglutid haben große Ähnlichkeit mit dem Inkretinhormon GLP-1 (Glucagon-like Peptid 1) und wirken deutlich länger. So wie das körpereigene Hormon regen sie die Insulinsekretion an, drosseln darüber hinaus aber auch die Magenentleerung und hemmen den Appetit. Deshalb haben sie einen hohen Stellenwert bei der Behandlung von Diabetes-Patienten, die zusätzlich unter Adipositas leiden.
Schwanger durch rekombinante Hormone Medikamente, die in der Kinderwunschtherapie eingesetzt werden, regen die Funktion der Eierstöcke an, gleich mehrere zur Befruchtung geeignete Eizellen zu produzieren. Follitropin (rekombinantes FSH, Folikelstimulierendes Hormon) ist das wichtigste rekombinante Hormon, das zur Anwendung kommt. In besonderen Fällen kann auch Lutropin (LH) erforderlich sein. Humanes Choriongonadotropin (hCG), das sogenannte Schwangerschaftshormon, wird ebenfalls gentechnologisch produziert und erst in der zweiten Zyklushälfte zum Auslösen des Eisprungs eingesetzt.
Unverzichtbar bei BlutarmutEines der ältesten Biopharmazeutika ist rekombinantes Erythropoietin. Als Ersatz des blutbildenden Hormons löst es seit vielen Jahren aufwändige und mit Risiken behaftete Bluttransfusionen zur Behandlung von Blutarmut ab. Da natürliches Erythropoietin in der Niere gebildet wird, ist der rekombinante Wirkstoff vor allem wichtig für Menschen, die unter chronischer Niereninsuffizienz leiden. Eine zweite Indikation sind Anämien, die infolge chemotherapeutischer Maßnahmen auftreten. Um die Anwendung von Fremdblut und damit verbundene Komplikationen zu vermeiden, wird Erythropoietin aus biotechnologischer Produktion auch zur Gewinnung einer größeren Eigenblutmenge vor Operationen eingesetzt.
Biologicals, die in die Gerinnung eingreifen Fehlen dem Körper aufgrund eines genetischen Defekts Gerinnungsfaktoren im Blut, schützen Substitutionstherapeutika den Patienten vor lebensbedrohlichen Blutungen. Derzeit werden vier Faktoren aus der Blutgerinnungskaskade biotechnologisch produziert. Das kürzlich zugelassene rekombinante Protein Andexanet alfa hat zwar selbst keine gerinnungsfördernde Aktivität, ist aber in der Lage, Faktor Xa-Inhibitoren wie Rivaroxaban, Edoxaban und Apixaban zu binden, sodass es bei einer Überdosierung der neuen Gerinnungshemmer als Antidot eingesetzt werden kann.
Um Gerinnsel nach einem Gefäßverschluss wieder aufzulösen, verabreichen Ärzte im Akutfall sogenannte Plasminogen-Aktivatoren. Zur Verfügung stehen dafür die gentechnologisch hergestellten Substanzen Alteplase, Tenecteplase und Reteplase. Mit Abciximab ist ein rekombinanter Arzneistoff in den Handel gekommen, der als Aggregationshemmer wirkt. Um die Gerinnselbildung zu verhindern, bindet sich Abciximab an verschiedene Rezeptoren auf den Blutplättchen und verfolgt damit eine Strategie, wie sie für therapeutische Antikörpermoleküle typisch ist.
Monoklonale Antikörper – die maßgeschneiderten Biologicals Unter allen Biologicals, die heute im Einsatz sind, bilden monoklonale Antikörper das Segment mit dem größten Wachstum. Im Gegensatz zu physiologischen Antikörpern (polyklonale Antikörper), die sich immer gegen mehrere Proteinstrukturen (Epitop) richten, binden monoklonale Antikörper immer nur ein bestimmtes Epitop und stammen aus einer Zelllinie, die auf einen einzigen B-Lymphozyten zurückgeht (Klone). Monoklonale Antikörper werden zielgerichtet produziert. Im Idealfall steuern sie also nur die Körperstrukturen an, die bei der Krankheitsentstehung oder auch im Krankheitsverlauf eine wichtige Rolle spielen.
Vom -omab zum –umab Antikörper, die therapeutisch eingesetzt werden, sind humanisiert, das heißt in möglichst großen Bereichen den menschlichen Antikörperstrukturen angeglichen. Beim Herstellungsprozess rein humaner Antikörper ersetzt man sogar alle Mausproteinbestandteile durch menschliche Eiweißmoleküle, um dadurch die Verträglichkeit nochmals zu erhöhen. Bei der Wirkstoffbezeichnung monoklonaler Antikörpermoleküle hat sich die WHO auf ein bestimmtes System geeinigt, alle Präparat-Namen enden mit der Abkürzung – mab (monoclonal anti body). Der mittlere Teil des Substanznamens gibt Auskunft über das Einsatzgebiet oder den Zielort. So weist beispielsweise der Namensbestandteil –os– auf die Knochen als Zielstruktur hin, –tu– dagegen steht für den Einsatz in der Tumortherapie. Die Silbe, die der Endung –mab vorausgeht, lässt auf den Ursprung des Antikörpers schließen.
Entzündungshemmer – häufig im Apothekenalltag anzutreffen Besonders verdient macht sich die Antikörpertherapie in der Behandlung chronischer Entzündungserkrankungen. Da die Ursachen dieser Erkrankungen in einer überschießenden Immunreaktion liegen, setzten Mediziner schon früh auf die Hemmung spezieller Botenstoffe, die die Aktivität verschiedener Immunzellen regeln. Im Zusammenhang mit der Entstehung und Aufrechterhaltung von Entzündungen sind vor allem Interleukine, Interferone und Tumornekrosefaktoren von Bedeutung.
Eine Schlüsselrolle spielt der Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α). TNF-α-Blocker bekämpfen keine Symptome, sondern unterbrechen den Entzündungsvorgang. Infliximab, Adalimumab, Golimumab, Certolizu- mab-Pegol sowie das umsatzstarke Etanercept zählen zu den bestverträglichen Arzneimitteln gegen rheumatoide Arthritis. Darüber hinaus kommen TNF-α-Blocker auch in der Behandlung chronisch entzündlicher Darmerkrankungen sowie bei schweren Formen der Psoriasis zum Einsatz, falls Basistherapeutika versagen.
Andere Biologicals in der Therapie chronisch entzündlicher Erkrankungen verhindern die entzündungsfördernde Wirkung verschiedener Interleukine (IL). Ein Beispiel hierfür ist der Arzneistoff Ustekinumab. Der monoklonale Antikörper zeigt gute Wirksamkeit bei Patienten mit schwerer Plaque-Psoriasis. Rekombinante Interferone werden als sogenannte Immunstimulanzien eingesetzt. Interferon-β-Präparate spielen für die Basis-Therapie der Multiplen Sklerose eine große Rolle; mit Interferon-α werden virale Erkrankungen, insbesondere Hepatitis B und C behandelt. Zur Unterbrechung allergischer Reaktionen ist der Ig-E-bindende Antikörper Omalizumab geeignet, er wird daher in der Zusatztherapie des schweren allergischen Asthmas empfohlen. Zudem lindert der Arzneistoff chronische Urtikaria.
Wie Antikörper Krebszellen überlisten Wachstum und Teilung von Zellen sind normalerweise streng reguliert, doch Tumorzellen können sich dieser Kontrolle entziehen. Daher nutzt die Krebsmedizin die Eigenschaften bestimmter Antikörper Rezeptoren zu blockieren, die für das Wachstum von Tumoren entscheidend sind. Ein Beispiel dafür ist der humanisierte Antikörper Trastuzumab. Indem er sich an den Rezeptor des Wachstumsfaktors HER-2 heftet, verhindert der Arzneistoff, dass die Zellen weitere Wachstumssignale erhalten. Das Tumorwachstum wird gestoppt.
Eine andere Antikörper-vermittelte Wirkung resultiert aus der Stimulation des Immunsystems. Das Zielprotein von Rituximab ist das CD-20-Antigen auf der Oberfläche erkrankter B-Lymphozyten. Bindet der Antikörper das Antigen, leitet das körpereigene Immunsystem eine Immunreaktion mit anschließender Zellzerstörung ein. Auch bei den sogenannten Angiogenese-Hemmern spielt die Blockade-Funktion eine zentrale Rolle. Unter dem Begriff Vascular endothelial cell growth factor (VEGF) wird eine Gruppe von Proteinen zusammengefasst, die das Wachstum von Blutgefäßen anregen, damit der Tumor mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt wird (=Angiogenese).
Bevazimumab ist nur ein Beispiel für einen monoklonalen Antikörper, der den VEGF-A-Rezeptor besetzt und damit dem Tumorgewebe die Nährstoffversorgung abschneidet. Schließlich werden mit Antikörpern auch Chemotherapeutika an ihren Wirkort transportiert. Als Teil eines sogenannten Antikörper-Wirkstoff-Komplexes (AWK) dient der Antikörper als Trägermolekül und sorgt für das Auffinden der Tumorzellen. Bindet er an die Krebszelle, löst sich der toxische Wirkstoff ab, dringt in die Zelle ein und bringt sie zum Absterben. Gesundes Gewebe bleibt weitestgehend verschont.
Hilfe bei feuchter Makuladegeneration Das Prinzip der Angiogenese-Hemmung hat sich auch in der Augenheilkunde bewährt. Bei der feuchten Form der altersbedingten Makuladegeneration (AMD) geht der Sehverlust auf das übermäßige Wachstum von Gefäßen unter die Netzhaut zurück. Die rekombinanten VEGF-Blocker Ranibizumab, Pegaptanib und Aflibercept unterdrücken die unkontrollierte Gefäßbildung und halten dadurch das Fortschreiten der Erkrankung auf. Angiogenese-Hemmstoffe werden unter örtlicher Betäubung direkt in den Glaskörper injiziert.
Impfstoffe aus dem Genlabor Dank gentechnischer Produktionsmethoden können Pharmafirmen heute auch viel schneller und gezielter auf Erreger reagieren. Der Hepatitis-B-Impfstoff gilt als einer der ersten großen Erfolge auf dem Gebiet der Gentechnologie, denn er schützt vor Hepatitis-Infektionen und kann somit die spätere Entwicklung von Leberkrebs verhindern. Ein weiterer Impfstoff ermöglicht eine Immunisierung gegen Humanpapillom-Viren, die an der Entstehung von Gebärmutterhalskrebs beteiligt sind. Ebenso aus gentechnischer Herstellung stammen Impfstoffe gegen Tetanus und Diphterie, gegen Hirnhaut- und Lungenentzündung sowie gegen Cholera und Grippe.
Inhalation bei Mukoviszidose Dornase-α ist das bisher einzige Produkt aus biotechnologischer Herstellung, das als Inhalat im Handel ist. Das Enzym wird erfolgreich zur Behandlung der Mukoviszidose eingesetzt, denn es spaltet DNA aus zerfallenen Leukozyten, was den Schleim in der Lunge verflüssigt und dessen Abtransport aus den Atemwegen erleichtert. Dornase-α wird ein bis zweimal täglich mit Hilfe eines speziellen Verneblers inhaliert.
Biologicals und Knochenerkrankungen Der monoklonale Antikörper Denosumab ist ein wirksames Therapeutikum bei Krankheiten, die mit einem erhöhten Knochenabbau einhergehen. Sein Zielobjekt ist RANKL (Receptor Activator of NF κB Ligand), ein Protein aus der Familie der Tumornekrosefaktoren, das indirekt die Bildung knochenfressender Zellen aktiviert. Die Unterbrechung der Wechselwirkung von RANKL und dem RANKL-Rezeptor behindert die Bildung, die Funktion und das Überleben der Osteoklasten. Auf diesem Weg wird das Fortschreiten der Osteoporose gehemmt sowie das Frakturrisiko gesenkt. Rekombinante Nebenschilddrüsenhormone, wie das rekombinante Parathormon, steigern hingegen die Verfügbarkeit von Calcium, das zum Knochenaufbau dringend benötigt wird.
Konkurrenz belebt das Geschäft Die Herstellung biotechnologischer Wirkstoffe ist langwierig und teuer. Verfahrensdetails geben die Hersteller in der Regel nicht preis, ganz im Gegenteil, sie lassen ihre Produkte sogar patentrechtlich schützen. Ist das Patent aber abgelaufen, haben auch andere Unternehmen die Möglichkeit, mit einem vergleichbaren Präparat in den Markt einzusteigen. Die Nachahmerprodukte rekombinationstechnisch hergestellter Proteinarzneistoffe bezeichnet man als Biosimilars.
Ähnlich, aber nicht gleich Hersteller von Biosimilars stehen vor der schwierigen Aufgabe, das Originalprodukt möglichst genau zu kopieren; durch Analyse des Referenzproduktes wird versucht, auf dessen Bausteine und den Herstellungsprozess zu schließen und daraus eine geeignete, neue Herstellungsmethode abzuleiten. Fachleute sprechen bei diesem Vorgehen vom „reversed engineering“. Biosimilars sind zwar keine exakten Kopien ihres Referenzproduktes, doch am Ende ihres Entwicklungsprozesses dem Original so ähnlich (= similar), dass sie als wirksame und sichere Therapiealternativen gelten.
Nachahmerprodukte von Biopharmazeutika sind in Deutschland nur dann verkehrsfähig, wenn sie das von der europäischen Zulassungsbehörde EMA vorgeschriebene Verfahren durchlaufen und bestanden haben. Herstellung und Zulassung von Biosimilars sind nicht weniger aufwendig als die der Originalprodukte, trotzdem werden Nachahmerprodukte zu einem günstigeren Preis angeboten. Gesundheitspolitiker sowie Krankenkassen begrüßen den Preiswettbewerb und erhoffen sich dadurch eine erhebliche finanzielle Entlastung für das Gesundheitssystem.
Wann ist Substitution erlaubt? Biosimilars können zu Beginn einer Behandlung ebenso eingesetzt werden wie das Originalprodukt. Allerdings ist nicht sicher, ob bei einem Patienten ein neues, vielleicht kostengünstigeres Biosimilar genauso verträglich ist wie ein bereits bewährtes Präparat. Die Arzneimittelbehörde hat daher festgelegt, dass im Rahmen der Aut-idem-Regelung Originale und Biosimilars nicht austauschfähig sind; diese Vorgabe ist auch in den Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung eingegangen. Die Entscheidung, ob ein Originalpräparat durch ein Biosimilar ersetzt wird, obliegt also alleine dem Arzt.
Erhält man in der Apotheke ein Rezept mit einer reinen Wirkstoffverordnung, muss der verschreibende Arzt zwangsläufig zu einer Neuausstellung aufgefordert werden; Handelsnamen und die Pharmazentralnummer sollten auf der Verordnung genannt werden. Häufig werden herstellungsgleiche Wirkstoffe aus denselben Produktionsstätten unter verschiedenen Präparate-Namen vermarktet. Im Gegensatz zu den Biosimilars gelten diese Bioidenticals als wirkstoffgleich und austauschbar.
Unterscheiden sie sich aber in ihren Applikationssystemen, ist die Beratung in der Apotheke gefragt. Pharmazeutische Unternehmer unterstützen dabei mit umfangreichem Schulungsmaterial. Auch bei der Abgabe von Bioidenticals können pharmazeutische Bedenken geltend gemacht werden, wenn ein vorzunehmender Austausch den Therapieerfolg gefährdet.
Original oder Import Original und die darauf Bezug nehmenden Import-Arzneimittel gelten auch bei Biologicals als identische Produkte, sodass ein Austausch nach den Vorgaben des Rahmenvertrags möglich ist. Zu beachten ist jedoch, dass rabattbegünstigte Original- beziehungsweise Importarzneimittel, selbst bei gesetztem Aut-idem-Kreuz, vorrangig vor den nicht-rabattierten Produkten abzugeben sind.
Die Nachahmerprodukte rekombinationstechnisch hergestellter Proteinarzneistoffe bezeichnet man als Biosimilars. Ihre Hersteller stehen vor der schwierigen Aufgabe, das Originalprodukt möglichst genau zu kopieren.
Umgang mit Proteinarzneistoffen Proteinarzneimittel reagieren äußerst empfindlich auf Umwelteinflüsse, daher ist es wichtig, die vorgegebenen Lager- und Transportbedingungen strikt einzuhalten. Biopharmazeutika sollten lichtgeschützt in ihrer Originalverpackung aufbewahrt und kühl gelagert werden. In der Apotheke ist darauf zu achten, dass die Kühlkette von der Anlieferung bis zur Abgabe nicht unterbrochen wird. Für längere Transporte bieten Hersteller spezielle Kühlboxen an. Auch zuhause sollte der Patient das Medikament kühl aufbewahren, eine halbe Stunde vor der Injektion allerdings aus dem Kühlschrank nehmen, damit sich die Lösung der Raumtemperatur anpassen kann.
Die Flüssigkeit darf nicht verwendet werden, wenn sie trübe erscheint oder sichtbare Partikel enthält. Kräftiges Schütteln ist zu vermeiden, da die Zubereitung dadurch ihre Wirksamkeit verlieren kann. In gelöster Form sind die Produkte einfacher zu handhaben als Trockensubstanzen. Falls ein Lyophilisat verordnet ist, muss der Patient die Injektionslösung vor der Anwendung selbst herstellen. Die Injektion erfolgt in die Vorderseite der Oberschenkel oder in den Unterbauch, Fertigspritzen und Injektionspens erleichtern den Patienten die Anwendung.
Keine Wirkung ohne Nebenwirkung Biopharmazeutika gelten als Arzneistoffe mit günstigem Nebenwirkungsprofil. Trotzdem sind sie nicht für jeden Patienten geeignet. So müssen beispielsweise schwere Infektionskrankheiten vor einer Therapie sicher ausgeschlossen werden. Schutzimpfungen mit Lebendimpfstoffen sollten während der Einnahme bestimmter Biologicals nicht durchgeführt werden.
Da es bei der Anwendung zu Allergien, Abwehrschwäche oder Autoimmunerkrankungen kommen kann, werden Biologicals in der Regel erstmals im Krankenhaus verordnet. Dort sollte der Patient auch regelmäßige Kontrolluntersuchungen wahrnehmen, damit entsprechende Nebenwirkungen im Therapieverlauf rechtzeitig erkannt werden. Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln sind selten. Dennoch ist, vor allem bei der Selbstmedikation, Vorsicht geboten.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/18 ab Seite 14.
Dr. Andrea Hergenröther, Apothekerin
Nomenklatur der Antikörper
Ursprung Endung Reine Maus-Antikörper -omab Chimäre Antikörper (ca. 30% Mausprotein) -ximab Humanisierte Antikörper (ca. 10% Mausprotein) -zumab Humane Antikörper -umab