Chronopharmakologie
TAGESRHYTHMUS UND MEDIKAMENTENGABE
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Unser Lebensstil weicht in den westlichen Kulturkreisen zunehmend von den Rahmenbedingungen der biologischen Uhr ab. Schwierigkeiten verursachen beispielsweise der Wechsel im Tagesrhythmus bei Schichtarbeit, zunehmender Aufenthalt in Innenräumen mit zu geringer Luxzahl oder Reisen über Zeitzonen.
Prinzipiell werden wir Menschen in zwei Chronotypen „Eule“ und „Lerche“ eingeteilt. Diese zeitlichen Vorlieben sind durch eine genetische Prädisposition entstanden. Unser Tagesrhythmus wird als „zirka“-dianer Rhythmus beschrieben. Das heißt, ohne äußere Einflüsse bleiben körpereigene Rhythmen erhalten, der Tag ist etwa 24 Stunden lang. Zum Stellen unserer inneren Uhr sind Zeitgeber in Form von Umweltreizen wie Sonnenlicht, Temperatur und Essensaufnahme unerlässlich, damit wir uns unbeirrt auf die Tageslänge synchronisieren. Als Folge ändern sich körperliche Aktivität, Temperatur und Hormone.
Nach den chronobiologischen Erkenntnissen ist es für unsere Gesundheit wesentlich, dass es ein Gleichgewicht zwischen Sympathikus und Parasympatikus gibt. Erkennen lässt sich das in der Schlafarchitektur, dem Wechsel von längeren entspannten Teilschlafphasen und den REM-Phasen des Traumes. Kommt der Organismus mit den täglichen Anforderungen nicht zurecht oder ist er überfordert, gerät der Schlaf aus dem Lot und der Weg zu einem Burnout ist vorgezeichnet.
Gut tun uns viel Tageslicht und Bewegung im Freien, denn Helligkeit bedeutet Aktivität, Dunkelheit Erholung. Des Weiteren hat die Chronohygiene, also ein regelmäßiger Tages- und Wochenablauf, immense Bedeutung für das Zusammenspiel der körpereigenen Rhythmen. Turbulenzen bei Schichtarbeit können durch schnell rotierende Systeme von Früh-, Spät- und Nachtschicht gering gehalten werden, da dann Anpassungsversuche des Organismus ausbleiben.
Chronomedizin Außer den zirkadianen Rhythmen in Form des Schlaf-Wach-Rhythmus sind auch im Millisekundenrhythmus Nervenimpulse, im Sekundenrhythmus Herzschlag, Atmung und Blutdruck bekannt oder als längerer Zyklus der Regelzyklus der Frau. Alle bekannten Rhythmen stehen in einem bestimmten zeitlichen Verhältnis zueinander.
Untersuchungen zeigen, dass ein permanentes Zuwiderhandeln gegen den zirkadianen Rhythmus das Gefüge aus dem Tritt bringt und krank macht. Auch hier werden tageszeitliche Häufungen beobachtet. Asthmaanfälle kommen bevorzugt um vier Uhr morgens, Anagina pectoris zwischen vier und sechs Uhr und Herzinfarkte verstärkt zwischen acht und zwölf Uhr vor. Rheumasymptome verbessern sich gegen Abend und das Schmerzempfinden ist gegen vierzehn Uhr nur schwach ausgeprägt.
Erkenntnisse über tageszeitlich festgelegte Rhythmen gab es bereits in der traditionellen chinesischen Medizin. Diese werden in Form der Organuhr beschrieben. Alle Organe werden im zwölfstündigen Wechsel stets in zweistündigen Phasen mit stärkerer bzw. schwächerer Aktivität durchlaufen. Das erklärt auch, inwiefern bestimmte Tageszeiten und die Häufung von bestimmten Erkrankungen eine Beziehung haben.
Neuerdings werden diese rhythmischen Prozesse in unserem Körper in nationalen und internationalen Richtlinien zur Diagnose von Erkrankungen und deren Therapie berücksichtigt. Bedeutsam ist diese Erkenntnis bei Asthma, Schmerzbehandlung, Allergien, Zytostatika-Anwendung, Hypertonie, Koronarer Herzerkrankung und in der Psychiatrie.
In der Onkologie wurde außerdem bestätigt, dass mit der Anpassung der Arzneistoffgabe an die tageszeitlichen Schwankungen bessere Verträglichkeiten sowie höhere Dosierungen möglich sind und höhere Ansprechraten erzielt werden konnten. Hier nutzt man aus, dass die Teilungsrate der gesunden Zellen einem Rhythmus unterliegen, die Tumorzellen hingegen scheinbar nicht. Die Applikation der Arzneistoffe erfolgt dafür mithilfe von programmierten Infusionspumpen zu optimalen Zeitpunkten.
Chronopharmakologie Neue Erkenntnisse über die biologischen Rhythmen bei bestimmten Körperfunktionen zeigen, dass die Pharmakokinetik der Arzneistoffe davon betroffen ist. Morgens erfolgt die Magenentleerung rascher, weshalb lipophile Wirkstoffe besonders in der nicht retardierten Form schneller im Dünndarm zur Resorption verfügbar sind. Transportproteine in der Zellmembran unterliegen bestimmten Rhythmen und die Durchblutung des Magen-Darm-Traktes ist morgens und abends am höchsten. Daher entfalten Arzneistoffe im Organismus bei morgendlicher Einnahme rascher ihre Wirkung. Achtung – unerwünschte Effekte können dadurch auch verstärkt sein.
Selbst die Ausscheidung der Arzneistoffe über die Niere kann durch die tageszeitabhängige Veränderung des pH-Wertes im Urin beeinflusst werden. Darüber hinaus verändern sich auch die Empfindlichkeiten der Zielorgane im Tageslauf. Deshalb hat der Zeitpunkt der Arzneimittelgabe einen großen Einfluss auf deren Wirksamkeit, die Pharmakodynamik. Die Chronopharmakologie – ein seit wenigen Jahrzehnten etablierter Zweig der Medizin und Pharmazie – lässt sicher auch weiterhin interessante Erkenntnisse erwarten.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 10/11 auf Seite 71.
Dr. Elke Knop, Apothekerin / Journalistin