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Berühmte Apotheker

STECKENPFERD GALENIK

Sie war die erste deutsche Professorin und Mentorin der deutschen Pharmazeutischen Technologie: Elsa Ullmann (1911 bis 2010). Name unbekannt? Ein paar Eindrücke von einer sehr eindrucksvollen Persönlichkeit.

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Geboren am 20. Februar 1911 als Tochter des Geheimen Rechnungsrevisors Max Ullmann in Potsdam, ging Elsa Ullmann dort zur Schule und machte 1930 Abitur. Aufgrund der politisch-wirtschaftlichen Lage im damaligen Deutschland mit überall herrschender Arbeitslosigkeit gelang es ihr nur mit Mühe eine Lehrstelle zu ergattern. In Bartenstein, einer ostpreußischen Kleinstadt fing sie als Praktikantin in der Mozart-Apotheke an. Sich weitgehend selbst überlassen, lernte sie dort in Eigenantrieb mit großer Freude aus den Lehrbüchern der Chemie, Botanik und Physik.

Beruf der Vernunft Zur Berufswahl kam es – wie Elsa Ullmann selbst 1994 rückblickend schrieb – überhaupt nur „aus rationalen Gründen“. Die Ausbildung zur Apothekerin war „kurz und kostengünstig“ – was wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Aber gemäß der Approbationsordnung von 1920 war nach einer zweijährigen Praktikantenzeit und Ablegung des Vorexamens eine einjährige Tätigkeit als vorexaminierter Assistent vor Beginn des viersemestrigen Studiums abzuleisten. Die Möglichkeit nach dem Vorexamen durch Vertretungen die Ausbildung zu finanzieren, war berufsspezifisch und einmalig – traf also nur für das pharmazeutische Studium zu.

So machte Ullmann 1932 ihr Vorexamen in Königsberg – als einzige Kandidatin, und verließ im Frühjahr 1933 die Mozart-Apotheke, um in ihrer Heimatstadt Potsdam in der Cäcilien-Apotheke das vorgeschriebene Jahr als vorexaminierte Assistentin zu absolvieren. Im Sommersemester 1934 schloss sich das Pharmaziestudium an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin bei Carl Mannich (1877 bis 1947) an, der damals zu den bedeutendsten pharmazeutischen Chemikern seiner Zeit gehörte und eine wissenschaftliche Schule begründete.

Elsa Ullmann erinnerte sich: „Unsere akademischen Lehrer vermittelten Freude an der wissenschaftlichen Basis des pharmazeutischen Berufes. Sie haben uns während der nur vier Semester dauernden Studienzeit in vorbildlicher Breite nachhaltig gefördert.“ Zudem bemühte sich Carl Mannich sehr nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten politische Einflüsse weitgehend vom pharmazeutischen Institut fern zu halten. Im März 1936 legte Elsa Ullmann das pharmazeutische Staatsexamen ab.

Öffentliche Apotheke ohne Zukunft Trotz großen Interesses an der Pharmakologie konnte sie aus finanziellen Gründen nicht das Angebot des Apothekers und Verfassers eines ersten Lehrbuches zur Pharmakologie für Pharmazeuten und Naturwissenschaftler, Kurt Walter Merz (1900 bis 1967), annehmen, ihm nach Königsberg zu folgen und dort ein Medizin-Studium oben drauf zu setzen. Stattdessen war sie – um Geld zu verdienen – etwa drei Jahre in verschiedenen Teilen Deutschlands als Apothekerin tätig.

Zu ihrer Tätigkeit dort bemerkte sie allerdings: „Obwohl ich versuchte mein Wissen umzusetzen, wurde mir klar, dass die Arbeit in einer öffentlichen Apotheke keine befriedigende Zukunftsperspektive bot.“ Als Elsa Ullmann deshalb 1939 eine Assistenten- und Doktorandenstelle bei dem außerordentlichen Professor für „Galenische Pharmazie“ Eugen Bamann (1900 bis 1981) an der Pharmazeutischen Abteilung des Chemischen Instituts Tübingen erhielt, griff sie dankbar zu.

Ohne Elsa Ullmann hätte es das Fach Pharmazeutische Technologie nie gegeben.


Sie betreute galenische Praktika, promovierte 1941 mit einer Arbeit über „Untersuchung über die Lipase höherer Pflanzen“. Zum Wintersemester 1941 folgte sie ihrem Doktorvater an das Pharmazeutische Institut der Universität Prag und widmete sich als wissenschaftliche Assistentin wiederum dem Unterricht in der Galenik – praktisch und theoretisch. Ein gemeinsam mit Bamann erarbeitetes Buch „Chemische Analyse von Arzneigemischen, Arzneispezialitäten und Giftstoffen“ ging allerdings in den Kriegswirren verloren – es erschien neu geschrieben somit erst 1951.

„Kriegsgefangenschaft“ Als Deutsche in Tschechien landete sie nach Kriegsende allerdings zusammen mit Bamann im Prager Stadtgefängnis, schließlich im Zuchthaus, wurde nach gut acht Monaten in ein ungeheiztes Barackenlager an der Sasau verlegt, um Anfang April 1946 in das Quarantänelager nach Hessen entlassen zu werden. Überall nutzte sie ihre pharmazeutischen Kenntnisse jedoch zum Vorteil. In Kassel arbeitete sie zunächst als „Chemist“ im amerikanischen General Hospital, anschließend als Praktikantin in der Untersuchungsstelle für Lebensmittel am Landwirtschaftlichen Untersuchungsamt Kassel-Harleshausen.

Und wie Bindungen so sind: Als Bamann 1948 das Ordinariat für Pharmazeutische Chemie und Lebensmittelchemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München erhielt, wechselte sie ebenfalls als wissenschaftliche Assistentin nach München. Dort widmete sie sich nicht nur dem Wiederaufbau des zerstörten Institutes, sondern engagierte sich insbesondere für die Etablierung der Pharmazeutischen Technologie.

Pionierleistungen und unorthodoxe Wege Ab 1949 gab es Vorlesungen, ganztägige Praktika, Betriebsbesichtigungen. Noch zu Beginn von Ullmanns pharmazeutischer Tätigkeit wiesen die deutschen Fakultäten dem Gebiet der Galenik nur ein Schattendasein zu. Arzneiformung war Handwerk, keine wissenschaftliche Disziplin. Durch Elsa Ullmanns unermüdlichen Einsatz in der Lehre und ihre unbestrittenen wissenschaftlichen Leistungen auf diesem Gebiet, hat sie gegen manche Widerstände das Fach Pharmazeutische Technologie in Deutschland aus der Taufe gehoben und zu einer festen Säule der Pharmazie gemacht.

So war sie auch die erste Frau, die sich 1953 für die damals noch neue pharmazeutische Zweigdisziplin „Pharmazeutische Technologie“ habilitierte mit Arbeiten über „Pflanzliche Lipasen“. Ihre Habilitation war nicht nur die erste für dieses Gebiet in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die erste einer Frau. Im Mai 1956 wurde sie Vorstand der Abteilung Pharmazeutische Technologie und 1961 außerordentliche Professorin, jedoch erst 1977 erhielt sie einen eigenen Lehrstuhl für Pharmazeutische Technologie.

Ihr Hauptarbeitsgebiet waren Hilfsstoffe, die bei der Arzneiformulierung zum Einsatz kamen, Gesetzmäßigkeiten für die Herstellung, Haltbarkeit und Prüfung von Arzneizubereitungen, wobei insbesondere Wechselwirkungen zwischen Wirk- und pharmazeutischen Grund- und Hilfsstoffen ihr Spezialgebiet waren. Die Kolloidchemie, Wirkstofffreisetzung und Konservierung von Arzneizubereitungen standen im Mittelpunkt wissenschaftlicher Studien. Sie entwickelte die pharmazeutische Technologie wegweisend weiter, hob den internationalen wissenschaftlichen Standard und förderte die interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Auch auf der Ebene des menschlichen Zusammenarbeitens war sie für ihre Schüler, ihre Doktoranden prägend – eine Doktormutter im wahrsten Sinne des Wortes. Selbst nach ihrer Emeritierung 1979, also 68jährig: Eine gute Gesundheit und ein bis ins hohe Alter wacher Geist erlaubten es ihr, an den wissenschaftlichen Entwicklungen lange noch teilzunehmen. Den Vorsitz der Landesgruppe Bayern der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPG) hatte sie sogar noch bis 1990 inne. Für Ihren Tod gilt: Wer am 24. Januar 2010 kurz vor seinem 99. Geburtstag sanft entschläft, hat nicht nur einen Jahrhundertwechsel und viele bedeutende Entwicklungen miterlebt – bei dem darf mit Fug und Recht auch von einem erfüllten Leben gesprochen werden.

Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 04/18 auf Seite 106.

Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin

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