Repetitorium
SCHIZOPHRENIE – TEIL 2
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Bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts stand man den meisten psychischen Erkrankungen, darunter auch der Schizophrenie, hilflos gegenüber. Ans Bett gefesselt, in eine Gummizelle eingesperrt: Zwangsmaßnahmen, Pflege, Klinikaufenthalte in psychiatrischen Einrichtungen bestimmten das Behandlungsbild. Manche als geisteskrank Bezeichnete wurden sogar zur Teufelsaustreibung gezwungen, weil ihre Familien glaubten, sie seien besessen.
All diese Maßnahmen waren natürlich vollkommen erfolglos. Mit der Einführung von Psychopharmaka in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden erstmals umwälzende Fortschritte erzielt. Heute sind die Therapiebausteine bei einer diagnostizierten Schizophrenie die medikamentöse Therapie, die Psychotherapie sowie weitere therapeutischen Verfahren (Ergotherapie, Soziotherapie). Die Weiterentwicklung von Medikamenten, Psychotherapien und Soziotherapie ermöglicht heutzutage oft eine gute, effektive Behandlung – bis hin zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft.
Die meisten Betroffenen werden anfangs stationär behandelt und dann ambulant weiterbetreut. In welcher Gewichtung die einzelnen Therapiebausteine zum Einsatz kommen, richtet sich nach der jeweiligen Krankheitsphase und den individuellen Behandlungszielen. Rund ein Drittel der an Schizophrenie Erkrankten wird mit den vorhandenen Behandlungsmöglichkeiten sogar wieder annähernd gesund. Ein weiteres Drittel kann mit gewissen Einschränkungen sein Leben selbst meistern, also arbeiten, Hobbys nachgehen sowie familiäre und freundschaftliche Beziehungen pflegen.
Heute erfordern nur noch akute Schübe stationäre Klinikeinweisungen – und dies meist nur für kurze Zeit. Lediglich ein Drittel benötigt dauerhaft psychologische und psychiatrische Betreuung, samt wiederholter Krankenhausaufenthalte. In der S-3-Leitlinie zur Schizophrenie (inzwischen abgelaufen, in Überarbeitung befindlich) werden „Phasenspezifische Behandlungsziele“ genannt, also Therapieziele in der „Akutphase“, der „postakuten Stabilisierungsphase“ sowie „Therapieziele in der Remissionsphase“.
Neben Beseitigung und Verminderung der Krankheitserscheinungen, Reduzierung von Selbst- und Fremdgefährdung, sind die bessere Zugänglichkeit zu den Betroffenen – unter Einbeziehung der Angehörigen und Bezugspersonen -, die Motivation zur Selbsthilfe und die Reduzierung von Rezidiven (Rückfällen) hierbei besonders wesentlich. Für die Apotheke natürlich am interessantesten: Wie sieht die medikamentöse Behandlung einer Schizophrenie aus?
Antipsychotika Generell gilt zu bedenken: Psychopharmaka und hier insbesondere Antipsychotika, gelten als komplizierte Arzneistoffe (selbst für die Apothekenmitarbeiter) und sind noch dazu bei vielen Patienten unbeliebt. Umso wichtiger ist es sich mit ihnen auszukennen, um die Wirkung, aber auch mögliche Neben- und Wechselwirkungen einschätzen und entsprechend hierzu beraten zu können. Denn die Aufklärung des Patienten (sowie seiner Angehörigen, Bezugspersonen) über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikamente ist im Rahmen der „Good Clinical Practice“ enorm relevant.
Hinzu kommt, dass viele Schizophrenie-Patienten häufig zusätzliche Verhaltensprobleme aufweisen, wie ADHS, Zwänge, Lernschwierigkeiten, Schlafstörungen, oder depressiv sind. Das bedeutet, dass die Betroffenen häufig mehrere Medikamente nehmen und mögliche Wechselwirkungen bedacht werden müssen. Neuroleptika (heute vielfach als Antipsychotika bezeichnet), sind Substanzen, die – insbesondere bei Schizophrenen – psychische (psychotische) Symptome bessern, ohne das Bewusstsein und die intellektuellen Fähigkeiten wesentlich zu beeinflussen.
Die Einnahme von Neuroleptika bewirkt: Der Zustand wird für die Patienten insgesamt meist rasch weniger quälend. Ebenso werden Betreuung und Umgang mit den Kranken wesentlich erleichtert. Zudem existiert eine gewisse Rückfallprophylaxe. Vor Beginn jeder antipsychotischen Pharmakotherapie sollte eine laborchemische Routineuntersuchung durchgeführt werden, falls diese nicht ohnehin im Rahmen des diagnostischen Prozesses bereits erfolgt ist.
Die Laboruntersuchung (Blutentnahme) dient dazu, individuelle Risiken der Pharmakotherapie abzuschätzen und muss obligat die Bestimmung der Leberenzyme, des Blutbildes, des Nüchternblutzuckers, der Blutfette und der Nierenretentionswerte enthalten. Die kurzfristige Wirksamkeit der dann gewählten antipsychotischen Medikation wird anhand der Verbesserung der Psychopathologie (Positiv-, Negativ-, affektive, kognitive und allgemeine Symptome) im Rahmen einer sechs- bis zwölfwöchigen Medikationsphase beurteilt.
Die langfristige Wirksamkeit wird anhand der Rezidivraten (gelegentlich auch der stationären Wiederaufnahmeraten) sowie der Persistenz von Symptomen, der sozialen Funktionsfähigkeit oder der Lebensqualität bewertet.
Keine Abhängigkeit Wichtig: Neuroleptika (Antipsychotika) machen nicht abhängig! Weder physisch (körperlich) noch psychisch! Auch führen sie nicht zu einer Toleranzentwicklung mit möglicher Dosissteigerung. Vielmehr hängen Auswahl des Medikaments und Dosierung davon ab, unter welchen Symptomen der Betroffene gerade leidet, ob ein akuter Schub zu bekämpfen ist oder eine Wiedererkrankung verhindert werden soll.
Die Devise „So viel wie nötig, so wenig wie möglich“ gilt natürlich auch hier – weshalb ein enges Zusammenspiel zwischen allen behandelnden Kräften (Arzt, Psycho-/Ergotherapeut, Apotheke etc.) äußerst sinnvoll ist. Heutzutage wird unterschieden zwischen den klassischen (ältere, „typische“) Neuroleptika und den atypischen Neuroleptika. Grob vereinfacht reduzieren die klassischen Neuroleptika primär die Positiv-Symptome (siehe auch Repetitoriumsteil 1) bei den Schizophrenen. Die neueren atypischen Neuroleptika beziehungsweise „Antipsychotika der zweiten Generation“ hingegen bessern darüber hinaus die Minus-Symptome.
Wirkweise So wie die genauen Ursachen, die neurobiologischen und -chemischen Vorgänge bei einer Schizophrenie bis heute nicht genau geklärt sind (siehe Repetitoriumsteil 1), sind auch die genauen Wirkungsweisen der Neuroleptika bei einer Schizophrenie nur vage bekannt. Fakt ist: Alle Neuroleptika greifen in die synaptische Erregungsübertragung ein. Sie verdrängen Dopamin aus der Bindung seiner Rezeptoren und besetzen diese. Dadurch unterdrücken sie die Wirkung des Neutrotransmitters – reversibel. Bei den atypischen Neuroleptika kommt die Blockade weiterer Rezeptoren, etwa von Serotonin-Rezeptoren, hinzu.
EINTEILUNG DER KLASSISCHEN NEUROLEPTIKA
Niederpotente Neuroleptika Amisulpirid, Chlorprothixen, Levomepromazin, Melperon, Pipamperon, Promethazin, Prothipendyl, Sulpirid, Thioridazin
Mittelpotente Neuroleptika Clopenthixol, Chlorpromazin, Clozapin, Perazin, Quetiapin, Ziprasidon, Zotepin, Zuclopenthixol
Hochpotente Neuroleptika Benperidol, Bromperidol, Flupentixol, Fluphenazin, Fluspirilen, Haloperidol, Olanzapin, Perphenazin, Pimozid, Risperidon, Trifluoperazin, Perphenazin
„Klassische“ Neuroleptika Indem die psychomotorischen Erregungszustände gedämpft, affektive Spannungen, Angst und Trugwahrnehmungen verringert werden, ermöglicht dies den Betroffenen meist erst eine Distanzierung von der Erkrankung – und er kann jetzt seinen Zustand selbst auch als krankhaft erkennen. Vor mehr als fünfzig Jahren erkannten Mediziner eher zufällig, dass Wirkstoffe aus der Substanzklasse der Phenothiazine (Chlorpromazin), die Positivsymptomatik unterdrücken können.
Es entwickelte sich die Substanzklasse der „klassischen Neuroleptika“. Jeder Wirkstoff hat dabei sowohl eine antipsychotische (den Realitätsverlust bekämpfende) als auch eine sedierende (beruhigende) Wirkkomponente, die jeweils unterschiedlich stark ansgeprägt sind. Bei den „klassischen“ Neuroleptika stehen diese Wirkungen in einem direkten Verhältnis zueinander. Der Psychiater Hans Joachim Haase (1922 bis 1997) unterteilte die Neuroleptika deshalb nach differentialtherapeutischen Gesichtspunkten.
Hierzu werden die Subtanzen nach ihrer neuroleptischen Wirkstärke, also ihrer antipsychotischen Wirkung (neuroleptische Potenz) in schwach (niederpotent), stark (mittelpotent) oder sehr stark wirksame Substanzen (hochpotent) unterteilt (siehe Kasten). Als Bezugssubstanz dient dabei das heute praktisch nicht mehr verwendete Chlorpromazin mit einer neuroleptischen Potenz von eins. Hochpotente Stoffe wirken hauptsächlich antipsychotisch und kaum sedierend. Sie eigenen sich besonders zur Behandlung von ausgeprägtem Wahn oder Halluzinationen als Positiv-Symptom-Ausprägungen.
Niedrigpotente Wirkstoffe hingegen wirken primär sedierend und weniger antipsychotisch. Wenn Unruhe, Schlafstörungen, Angst und Erregungszustände auftreten, sind sie sinnvoller. Auch die kombinierte Gabe ist möglich, etwa zur Behandlung einer akuten Psychose die tägliche Gabe eines Wirkstoffes mit höherer neuroleptischer Potenz und zusätzlich die Gabe eines mehr sedierenden Produktes bei Bedarf.
Festgestellt werden kann, dass insbesondere bei den „klassischen“ Neuroleptika hierbei mit steigender neuroleptischer Potenz auch die extrapyramidal-motorischen Nebenwirkungen (unwillkürliche Bewegungsstörungen) zunehmen, die beruhigende Wirkung sowie die vegetativen Effekte hingegen abnehmen. Da das individuelle Ansprechen auf Neuroleptika jedoch sehr unterschiedlich ist und von Patient zu Patient deutlich schwankt, muss immer eine individuelle Einstellung erfolgen. Richtwerte finden sich in Fachinformationen sowie tabellarisch aufgeschlüsselt in der S-3-Leitlinie.
Das sicherlich bekannteste „klassische“ Neuroleptikum, das auch besondere Bedeutung erlangt hat, ist Haloperidol. Dieser Wirkstoff blockiert verschiedene Dopamin-Rezeptoren im Zentralnervensystem, insbesondere D2-Rezeptoren. Es wird zwar zu 90 Prozent resorbiert, aufgrund des first pass- Effektes gelangen aber nur circa 60 Prozent zur Wirkung (Bioverfügbarkeit). Der Wirkstoff wirkt nicht nur antipsychotisch, sondern auch antiemetisch (gegen Übelkeit und Erbrechen) sowie stark schmerzlindernd, weiterhin angstlösend und beruhigend.
Die Substanz ist in Deutschland auch zur Behandlung des Tourette-Syndroms zugelassen. Aufgrund der starken Nebenwirkungen (siehe Näheres im Repetitoriumsteil 3), insbesondere der Müdigkeit, unwillkürlichen Bewegungsstörungen (extrapyramidale Störungen) sowie der merklichen Gewichtszunahme und Störung der Sexualfunktion, setzen Ärzte ihn heutzutage möglichst nur noch ein, wenn andere Medikamente versagen.
Wird er doch einmal verschrieben, sollte im Beratungsgespräch erwähnt werden: Zusammen mit Tee oder Kaffee eingenommen ist die Wirkung deutlich vermindert, auf Alkohol sollten Einnehmende ohnehin verzichten. Das Reaktionsvermögen kann so weit beeinträchtigt sein, dass auch eine aktive Teilnahme am Straßenverkehr womöglich nicht sinnvoll ist.
Auch wenn die zweite Generation der Neuroleptika, die atypischen Neuroleptika heutzutage in der Behandlung vielfach den Vorzug erhalten – die klassischen Neuroleptika kommen heute immer noch zum Einsatz, wenn sie sich im Einzelfall besser eignen. Welche Wirkstoffe verbergen sich hinter den atypischen Neuroleptika? Was gilt es hier zu beachten? Welche weiteren Medikamentengruppen kommen bei Schizophrenie unter Umständen zum Einsatz? Der dritte Repetoriumsteil gibt hierüber Aufschluss.
„KLASSISCHE“ NEUROLEPTIKA – MERKE! Es existiert eine Art „Faustregel“: „Klassische“ Neuroleptika wirken gut auf die Positivsymptome (Wahn, Hallzuzinationen, Denkstörungen, psychotische Ich- Erlebnisstörungen) einer Schizophrenie. Allerdings rufen sie bei vielen Betroffenen eine Reihe von starken und unangenehmen Nebenwirkungen hervor, insbesondere unwillkürliche Bewegungsstörungen. Diese nehmen mit steigender neuroleptischer Potenz der jeweiligen Substanz zu, während umgekehrt eine zusätzlich sedierende Wirkung und vegetative Effekte abnehmen.
Wirkstoffe: Chlorpromazin, Chlorprothixen, Fluphenazin, Flupentixol, Perphenazin, Thioridazin, Benperidol, Haloperidol, Melperon, Pipamperon, Pimozid, Zotepin, Zuclopenthixol
Dr. Eva-Maria Stoya, Apothekerin und Fachjournalistin