Vorsorgeuntersuchungen
SINNVOLL ODER NICHT?
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Vorbeugen ist besser als heilen – das sagte Hippokrates schon 400 Jahre vor Christus. Für die moderne Art der Prävention, die Vorsorgeuntersuchung, gilt das nicht immer. Manche machen für die Krankheitsgeschichte keinen Unterschied, andere wiederum sind sogar kontraproduktiv. Trotzdem hält sich in der Öffentlichkeit das Bild der „guten und wichtigen Vorsorgeuntersuchung“ hartnäckig. Welche davon sinnvoll sind, ist für Otto Normalverbraucher kaum zu erkennen.
Viele Angebote, wenig Akzeptanz Obwohl man die Vorsorgeuntersuchungen auch medial stark bewirbt, werden sie nur wenig genutzt: So gehen etwa nur jede zweite Frau und jeder fünfte Mann zur Krebsvorsorge. Und auch den Gesundheits-Check-up ab 35 nutzen lediglich 17 Prozent aller Deutschen. Als Grund geben viele an, zu faul für den Arztbesuch zu sein. Doch möglicherweise ist es auch eine Vogel-Strauß-Taktik: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!
Vorsorge birgt Risiken Viele Frauen haben Angst vor Brustkrebs. Durch das Mammografie- Screening soll der Krebs frühzeitiger entdeckt werden, sodass er besser behandelbar ist. Aber: Die Mammografie arbeitet mit ionisierender Strahlung. Diese ist zwar sehr gering, aber theoretisch besteht eine 0,01-prozentige Chance, dass auch die Untersuchung selbst Tumore auslösen könnte. Stünde dem ein hoher Nutzwert entgegen, wäre die Vorsorgeuntersuchung sicherlich empfehlenswert.
Fakt ist jedoch, dass die Mammografie bei Frauen bis Mitte 40 kaum durchgeführt wird, da durch die Brustgewebsdichte die Anzahl falscher Befunde zu hoch ist. Die gibt es aber auch noch bei älteren Frauen, was eine Biopsie notwendig machen kann – eine unnötige körperliche und psychische Belastung, die nicht unterschätzt werden darf.
»Wenig Akzeptanz: Nur etwa jede zweite Frau und jeder fünfte Mann gehen zur Krebsvorsorge.«
Auch kann die Mammografie den Krebs nicht verhindern. Wie alle Krebsvorsorgeuntersuchungen kann sie lediglich ermöglichen, dass ein Tumor in einem früheren Stadium entdeckt und behandelt wird, wodurch sich die Prognose verbessern soll.
Doch auch wenn Untersuchungen behaupten, das Mammografie-Screening habe die Sterblichkeit um 20 Prozent gesenkt, ist das eine Aussage, die sich wissenschaftlich nicht eindeutig belegen lässt. Schließlich kann niemand wissen, wie viele der Frauen, die durch das Screening eine frühzeitige Behandlung bekommen haben, ohne diese Therapie tatsächlich auch am Krebs gestorben wären. Aussagekräftige Studien zur Lebensverlängerung durch Mammografie daher überhaupt nicht möglich.
Manchmal mehr Schaden als Nutzen Wie sinnvoll sind die Untersuchungen also? Und: Nutzen Ärzte sie womöglich, um mit nachfolgenden, kostenpflichtigen IGel-Leistungen Geld zu verdienen? Beispiel PSA-Test: Die kostenfreie Prostatakrebsvorsorge beinhaltet für Männer ab 45 Jahren eine jährliche Tastuntersuchung. Liefert diese Hinweise auf eine mögliche Prostataveränderung, bieten viele Ärzte den PSA-Test an, um ein Prostatakarzinom frühzeitig zu erkennen. Dieser Test auf den Blutspiegel des prostataspezifischen Antigens ist eine der am häufigsten angebotenen IGel-Leistungen und kostet zwischen 25 und 35 Euro.
Mittlerweile ist der PSA-Test selbst in Fachkreisen umstritten, denn er bringt viele falsch-positive Ergebnisse hervor. Außerdem wächst Prostatakrebs sehr langsam und befällt meist erst Männer ab etwa 70 Jahren. Daher sterben viele Prostatakrebspatienten nicht an dem Tumor, sondern an anderen Erkrankungen. Über die Hälfte der Tumoren bedürfen laut Experten überhaupt keiner Behandlung. 12 000 Prostatakrebstote gibt es jährlich in Deutschland. Diese Zahl hat sich kaum verändert. Die Zahl der neu entdeckten Fälle hat sich seit der Einführung des PSA-Tests jedoch verdoppelt.
ÜBERSICHT
Kostenfreie Vorsorgeuntersuchungen der Krankenkassen gibt es seit den 1970er-Jahren. Man teilt sie in sechs große Gruppen ein. Dazu gehören:
+ Krebsvorsorge wie Mammografie, Darmkrebs- oder Prostatavorsorge
+ Gesundheits-Check-up ab 35
+ Kinder- und Jugenduntersuchungen
+ Schutzimpfungen
+ Schwangerschaftsvorsorge
+ zahnmedizinische Vorsorge.
Gerade durch diesem Test geschieht daher etwas, was für viele Vorsorgeuntersuchungen gilt: Sie machen Menschen zu Krebspatienten, die ohne Vorsorge womöglich nie als solche eingestuft worden wären. Plötzlich müssen sie sich aber Untersuchungen und Behandlungen unterziehen, die ihre Lebensqualität stark einschränken können. So kann eine Prostatakrebsoperation unter anderem Inkontinenz oder Impotenz nach sich ziehen.
Wirtschaftsinteressen Auch im medizinischen Bereich werden Glaubenskriege geführt. Erhöhtes Cholesterin, Früherkennung von Diabetes – welche Werte sind da wirklich relevant? Unterschiedliche Gruppierungen geben verschiedene Richtwerte an und die Wirtschaft redet über pharmakologische Produkte oder gar Lebensmittel wie zum Beispiel cholesterinsenkende Margarine mit.
Gerade der Gesundheits-Check ab 35 gerät in die Kritik. Dort werden unter anderem Bluttests durchgeführt, um Risikofaktoren für Herz-Kreislauf- Störungen oder Diabetes auszuschließen. Für diejenigen, die sich jedoch gesund ernähren, ausreichend bewegen, weder fettleibig noch anderweitig grunderkrankt sind oder Beschwerden haben, ist dieser Test jedoch unnötig.
Nicht alles schlecht Viele Vorsorgeuntersuchungen sind überflüssig. Einige Ärzte halten sogar die Darmkrebsvorsorge für Menschen ohne familiäre Disposition für unnötig. Manche der Untersuchungen können durch falsch-positive Ergebnisse zu vermeidbarer psychischer und körperlicher Belastung führen, einige sind womöglich nur Deckmäntelchen für weiterführende, kostenpflichtige IGel-Leistungen.
Doch es gibt auch sinnvolle Vorsorgeuntersuchungen. Dazu gehören viele Kinder- und Jugenduntersuchungen auf Krankheiten, die, frühzeitig entdeckt, wirklich geheilt werden können. Die Schwangerschaftsvorsorge ist ebenfalls sinnvoll, genau wie Impfungen gegen die klassischen Kinderkrankheiten. Diese Vorsorgeuntersuchungen sind tatsächlich auf Prävention ausgerichtet, das heißt, mit ihnen will man die Entstehung von Krankheiten verhindern oder eine leicht therapierbare Krankheit erkennen können.
Was man selbst als Vorsorge in Anspruch nimmt, muss jeder für sich entscheiden. Ihr Kunde sollte jedoch vorsichtig sein, wenn der Arzt nach einer kostenfreien Vorsorge plötzlich weitere kostenpflichtige Untersuchungen anbietet.
Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 02/15 ab Seite 46.
Dr. Holger Stumpf, Medizinjournalist