Paracetamol
VIELFÄLTIG GUT UND DOCH GEFÄHRLICH!
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Überdosierungen und lebensbedrohliche Vergiftungen mit Paracetamol (PCM) sind leider nicht selten. Gründe sind unbedachter Umgang und fehlender Überblick darüber, wo PCM überall enthalten ist. PCM gehört in die Gruppe der nichtsauren, nichtopioiden Analgetika mit analgetischer (schmerzhemmender) und antipyretischer (fiebersenkender) Wirkung. Entdeckt wurde es bereits Ende des 19. Jahrhunderts, gelangte aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts auf den Markt. Obwohl die Substanz ausgiebig wissenschaftlich beleuchtet wurde, ist ihr Wirkmechanismus noch nicht abschließend geklärt.
Der Wirkungseintritt ist von der Applikationsart abhängig, so wirkt eine oral verabreichte Zubereitung bereits nach einer halben Stunde, ein Zäpfchen frühestens nach einer Stunde. Oral appliziertes PCM wird zu 85 Prozent resorbiert, bei rektaler Applikation schwankt die Bioverfügbarkeit stärker. Die Plasmaproteinbindung ist gering. Die Biotransformation erfolgt in der Leber hauptsächlich über Konjugate (mit Glucuron- und Schwefelsäure) oder über Cytochrom P450. 90 Prozent der aufgenommenen und biotransformierten Menge werden innerhalb von 24 Stunden renal und weniger als fünf Prozent unverändert ausgeschieden.
Physiologie Schmerzen entstehen aufgrund einer Noxe (Gewebsschädigung), die durch thermische, me- chanische, chemische oder elektrische Reize einer bestimmten Stärke entstehen und zur Freisetzung von Schmerzmediatoren führen. Zu den Schmerzmediatoren gehören unter anderem Histamine, Prostaglandine, Bradykinine, Wasserstoffionen, Serotonin oder Acetylcholin. Diese Prostaglandine aktivieren nun die lokalen Schmerzrezeptoren, die sogenannten Nozizeptoren und afferente Aktionspotentiale gelangen über sensible Nervenbahnen zum Rückenmark und zum Gehirn.
Das Gehirn bewertet den Schmerz und reagiert. Von Pyrogenen ausgelöstes Fieber ist ein Begleitsymptom vieler Erkrankungen. Sie können Bestandteile oder Stoffwechselprodukte von Bakterien sein, aber auch beim Abbau von Leukozyten freigesetzt werden. Pyrogene führen zu einer Fehlsteuerung der Körpertemperatur im Hypothalamus, wobei der Anstieg der Körpertemperatur als eine Abwehrmaßnahme des Organismus anzusehen ist. Damit sollen Erreger, die für die Pyrogenfreisetzung verantwortlich sind, abtötet werden. Über Thermorezeptoren im Blut und in der Haut wird die aktuelle Temperatur (Ist-Wert) gemessen, an das Temperaturzentrum übermittelt, mit dem Soll-Wert verglichen und mittels Weit- oder Engstellung der Blutgefäße beeinflusst.)
Die richtige Dosis In der Selbstmedikation kann PCM zur symptomatischen Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und/oder Fieber eingesetzt werden, wobei neben Säuglingen auch Kinder sowie Erwachsene behandelt werden können. An und für sich müsste man aber hier nicht die Altersgruppen, sondern die Gewichtsklasse betrachten, da sich die Dosierung vor allem bei den Kindern nach dem Körpergewicht richtet („Gewicht geht vor Alter“). Zu einer exakten Dosierung von PCM stehen verschiedene Zubereitungsformen in unterschiedlichen Stärken zur Verfügung, was die Gabe einer individuell dem Körpergewicht angepassten Dosis möglich macht.
So gibt es Suppositorien in den Stärken 75 Milligramm (mg), 125 mg, 250 mg, 500 mg und 1000 mg oder Tabletten und Filmtabletten in 500 mg, aber auch Granulate, Säfte oder Tropfen. In 24 Stunden können bis zu vier Einzeldosen mit 10 bis 15 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht (mg/kg KG) verabreicht werden, das entspricht hochgerechnet einer Maximaldosis von bis zu 60 mg/kg KG, die nicht überschritten werden darf. So beträgt zum Beispiel die Einzelgabe für einen Säugling mit einem Körpergewicht von fünf Kilogramm 50 bis 75 mg PCM, was einem Suppositorium à 75 mg entspricht und maximal 300 mg pro Tag, entsprechend vier Suppositorien à 75 mg in 24 Stunden.
Überdosierungen bei Kindern resultieren häufig aus Verwechslungen der geeigneten Stärken bei Zäpfchen für verschieden alte Geschwisterkinder oder durch Gabe von Tabletten, die eigentlich nur für Erwachsene geeignet sind. Die Anwendung von PCM in der Schwangerschaft ist grundsätzlich möglich, darf jedoch nur bei klinischer Notwendigkeit, in der geringsten wirksamen Dosis, über einen möglichst kurzen Zeitraum und so selten wie möglich erfolgen. Für die Stillzeit gilt nach aktueller Studienlage, dass PCM in therapeutischen Dosen verabreicht werden kann (nach oraler Applikation gehen geringe Mengen in die Muttermilch über).
Überdosierung durch Kombination Bei Erwachsenen kommt es meist durch Kombination verschiedener PCM-haltiger Präparate zu gefährlichen Überdosierungen. Es gibt eine Vielzahl an PCM-Monopräparaten, die dann zusammen angewendet, zu hoch dosiert sein können. Auch dass es sich um ein ein PCM-haltiges Kombipräparat handelt, ist für den Anwender oft nicht sofort auf den ersten Blick erkennbar, sodass der Laie zeitgleich verschiedene Indikationen mit unterschiedlichen PCM-Präparaten ab- deckt.
So gibt es unter den analgetisch wirksamen Präparaten Kombinationen aus PCM und ASS mit und ohne Coffein oder auch Kombinationen von PCM mit dem Spasmolytikum Butylscopolaminbromid. Verwirrend sind auch die diversen Kombinationspräparate zur symptomatischen Behandlung einfacher Erkältungskrankheit, die neben PCM auch Antihistaminika wie Chlorphenamin oder Doxylamin, Hustenstiller wie Dextromethorphan und indirekte Sympathomimetika wie Phenylpropanolamin enthalten. In ärztlicher Hand sind auch Kombinationen von PCM mit Opioiden oder mit Ibuprofen.
Intoxikation Die Symptome der Intoxikation sind nicht leicht zu erkennen, da sie oft zu spät mit PCM in Verbindung gebracht werden. Besonders bei älteren Menschen, kleinen Kindern und Säuglingen, Personen mit Lebererkrankungen, chronischem Alkoholmissbrauch, chronischer Fehlernährung und bei gleichzeitiger Einnahme von Arzneimitteln, die zu einer Enzyminduktion führen, können Intoxikationen mit PCM lebensbedrohlich sein. Innerhalb von 24 Stunden treten neben Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit, Blässe und Unterleibsschmerzen auf, die sich subjektiv wieder bessern können.
Währenddessen steigen aber die Leberwerte weiter an und die der Gerinnungsfaktoren fallen ab. Leichte Oberbauchbeschwerden bleiben hingegen, was hier ein Hinweis auf die fortschreitende Schädigung der Leber ist. Die totale, irreversible Nekrose findet nach vier bis sechs Tagen ihr Maximum, wobei sich klinisch Symptome wie Gelbsucht, Hypoglykämie und eine gesteigerte Blutungsneigung manifestieren können. Nach etwa fünf Tagen kommt es zu Krämpfen, Kollaps, Koma und schließlich zum Tod.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 07/19 ab Seite 116.
Bärbel Meißner, Apothekerin