Sinne
OLFAKTORISCHE WAHRNEHMUNG
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Ob wohlriechend oder ekelerregend – beim Geruch handelt es sich um einen chemischen Reiz. Kleine Moleküle treffen beim Einatmen auf das Riechepithel, das eine dünne Zellschicht darstellt. Das Riechepithel ist das Empfangsorgan für Gerüche und setzt sich aus Rezeptorzellen zusammen, die sich mit Hilfe ihrer Axone bis zum Gehirn hin erstrecken. Die Nase fungiert als eine Art Kamin, der die eingeatmete Luft zum Riechepithel leitet. „Immer der Nase nach“ ist für viele Menschen ein Leitsatz, ohne dass ihnen dieser bewusst ist. Der Geruchssinn schützt beispielsweise vor Gefahren wie Feuer und Rauch sowie vor Vergiftungen durch verdorbene Lebensmittel.
Er beeinflusst auch das soziale Leben wie etwa die Partnerwahl, schließlich müssen Vertraute sich riechen können. Wenn man also davon spricht, dass „die Chemie zwischen zwei Menschen stimmt“, kann man das durchaus wörtlich nehmen, denn die Duftmoleküle einer Person geben über die Beschaffenheit seines Erbguts Auskunft. Wissenschaftler haben bei Mäusen und anderen Säugetieren herausgefunden, dass die Versuchstiere Partner bevorzugen, deren Erbgut sich von den eigenen Genen möglichst stark unterscheidet. Erwachsene Verwandte können sich hingegen weniger gut riechen, was die Natur vermutlich eingerichtet hat, um Inzest und daraus resultierende Gendefekte bei Kindern zu vermeiden.
Das olfaktorische Gedächtnis Der Unterschied zwischen dem olfaktorischen und den anderen Sinnen besteht darin, dass der olfaktorische Reiz nicht erst in der Großhirnrinde des Gehirns verarbeitet werden muss, sondern direkt im limbischen System wirkt. Bei Begegnungen mit unbekannten Menschen oder beim Betreten von unbekannten Orten verschafft der Geruchssinn einen ersten Eindruck. Bekannte Gerüche können auch längst vergessene Erinnerungen hervorrufen – dieses Phänomen bezeichnet man als Proust-Effekt: Der französische Autor Marcel Proust erzählt in seinem Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von einem Mann, der ein Gebäck in seinen Tee eintunkt und sich daraufhin an Ereignisse aus seiner Kindheit erinnert, die im Unterbewusstsein verborgen waren. Der emotionale Aspekt der Gerüche entsteht aufgrund der engen Verbindung zwischen der Riechbahn und dem Limbischen System.
Sonderfall Schwangerschaft Der Geruchssinn von schwangeren Frauen ist im ersten Drittel der Gravidität deutlich ausgeprägter, gegen viele Düfte besteht eine Abneigung, die bis hin zu Übelkeit und Erbrechen führt. Vermutlich dient die Sensibilität dem Schutz des ungeborenen Kindes, um es vor schädlichen Einflüssen aus der Umwelt zu bewahren. Der Geruchssinn spielt vom ersten Lebenstag an eine entscheidende Rolle: Babys identifizieren beispielsweise die Brust der Mutter über den Geruchssinn. In den ersten drei Lebensjahren bildet sich schließlich das olfaktorische Gedächtnis, da die Geruchseindrücke Spuren im Gehirn hinterlassen.
Vorgang des Riechens Gesunde Menschen sind in der Lage, zwischen 10 000 Düften zu differenzieren. Beim Einatmen gelangen die Duftmoleküle zur Riechschleimhaut, die sich am oberen Ende der Nasenhöhle befindet und mit zahlreichen Rezeptoren ausgestattet ist. Die sogenannten Riechkolben stellen die Verbindung zwischen den Nervenzellen und dem Gehirn dar. Zwei Nerven sind für das Riechen von besonderer Bedeutung: Zum einen der Trigeminus, der beißende Gerüche wie Rauch, Salmiak, Chlor oder auch Zwiebeldüfte wahrnimmt, zum anderen der Olfaktorius, der den eigentlichen Riechprozess kontrolliert.
Kategorisierung Immerhin fünf Prozent der Bundesbürger leiden unter Riechstörungen, die man als Dysosmien bezeichnet. Weiterhin unterscheidet man Verminderungen des Riechvermögens (Hyposmien), komplette Ausfälle des Geruchs (Anosmien) sowie Überempfindlichkeiten gegen bestimmte Reize (Hyperosmien). Bei sinunasalen Riechstörungen liegen die Ursachen in Erkrankungen der Nase und der Nasennebenhöhlen, während bei den nichtsinunasalen Störungen krankhafte Veränderungen des Riechapparates bestehen. Sie können sich durch das Einatmen von Giftstoffen, durch Traumen, Virusinfektionen sowie durch neuronale Erkrankungen wie Morbus Parkinson, Alzheimer Demenz oder Multiple Sklerose entwickeln.
Riechstörungen fungieren häufig als Krankheitsvorboten und können ein frühes Symptom von neurodegenerativen Erkrankungen sein. Die Beschwerden treten oft Jahre vor der eigentlichen Krankheit auf. Gelegentlich ist bei nichtsinunasalen Veränderungen auch die Riechbahn geschädigt, sodass die Geruchsreize nicht mehr an das Gehirn weitergeleitet werden. Auch in der aktuellen Corona-Pandemie berichten Covid-19-Patienten von Geruchs- und Geschmacksverlust. Nach neuesten Erkenntnissen sind es nicht die olfaktorischen Nerven, die durch das Virus geschädigt werden. Es ist das umgebende Versorgungsgewebe, das mit SARS-CoV-2 infiziert ist und lokal anschwillt, ohne dass jedoch wie bei einem Schnupfen die ganze Nase verstopft ist.
Nebenwirkung von Medikamenten Einige Arzneimittel können für Störungen des Geruchssinns verantwortlich sein. Es ist bekannt, dass Wirkstoffe wie Opioide, Cannabinoide oder Sildenafil die Wahrnehmung von Duftstoffen verändern. Auch Beta-Blocker, Antidepressiva, Triptane, Lovastatin, Aminoglykoside, Tetracyclin, Doxycyclin, Pyrazinamid, Diltiazem, Nifedipin, Amiodaron oder Topiramat beeinflussen die Leistung des Riechsinns. PTA und Apotheker können Kunden damit trösten, dass die Störungen in der Regel reversibel sind. In den meisten Fällen verschwinden sie wenige Monate nach der Behandlung, wenn sich die Zellen regeneriert haben.
Der Alltag ohne Geruchssinn Im Laufe des Lebens nimmt die Geruchsleistung aufgrund der nachlassenden Teilungsfähigkeit der Zellen ab. Riechen Menschen nicht mehr ausreichend, nehmen sie eventuelle Gefahren wie verdorbene Nahrung oder den eigenen Körpergeruch nicht mehr wahr. Betroffene fühlen sich im Alltag unter Umständen unsicher und isolieren sich. Geben Sie Kunden mit olfaktorischen Störungen praktische Tipps mit auf den Weg: Sie sollten zum einen nach festgelegten Intervallen, zum anderen nach starkem Schwitzen Körperpflege betreiben und die Kleidung wechseln.
Um das richtige Maß an Parfum oder Deodorant zu finden, beraten sich Personen mit einem eingeschränkten Geruchssinn am besten mit vertrauten Bezugspersonen. In der Küche gilt: Lebens- mittel sollten nur bis zum angegebenen Verfallsdatum verwendet werden, zuvor empfiehlt sich eine visuelle Kontrolle. Wer unter olfaktorischen Störungen leidet, lässt beim Braten die Pfanne besser nicht aus den Augen, um ein mögliches Anbrennen nicht zu „überriechen“.
Den Artikel finden Sie auch in die PTA IN DER APOTHEKE 08/2020 ab Seite 74.
Martina Görz, PTA, M.Sc. Psychologie und Fachjournalistin