Schon mal da gewesen?
NICHTS FÜR EILIGE
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Was Rom, Paris und Warschau nicht gelungen ist, schafft Wittenberg: Dass man sich als Touristin ein bisschen schämt. In den Metropolen nicht alle Sehenswürdigkeiten zu besichtigen wie geplant, geht in Ordnung. Aber im 45 000-Einwohner-Städtchen Wittenberg? Wo alles so kompakt beieinanderliegt? Nach dem Stadtplan wirkt es, als sei man mit dem Zentrum rasch durch. Nicht weit weg vom Hauptbahnhof liegt schon das Lutherhaus, knapp dahinter das Melanchtonhaus – Museen, die nach berühmten Männern der Reformation benannt sind. Die Ausstellungen dort pusten den Staub von manchen Geschichten. Und so kommen auch die Frauen der Reformation zum Vorschein.
Besuch bei Herrn Käthe Im Hof des Lutherhauses steht eine Bronzestatue von Katharina von Bora, Luthers Frau – im Laufschritt. Das passt. Sie war verantwortlich für eine große Familie, betrieb im Haus die sogenannte Burse, wo Studenten wohnten und für Kost und Logis zahlten. Sie kümmerte sich darum, dass ihr Martin Land und Bauernhöfe erwarb, damit es für alle genug zu essen gab. Sie konnte Bier brauen, machte die Buchhaltung und vieles mehr. „Mein Herr Käthe“ hat der Reformator Katharina anerkennend genannt.
Sie war abends bei den Diskussionen mit seinen Studenten dabei, was nicht nur in Wittenberg für Aufsehen sorgte. So schnell lässt einen die Ausstellung über das Familienunternehmen Von Bora-Luther nicht los, das Nachdenken über die dicken Aufgabenbündel von Frauen gestern wie heute. Schon ahnt man, dass man selbst in Wittenberg nicht im Laufschritt unterwegs sein wird.
Weiter geht es zur alten Universität Leucorea, in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts die meistbesuchte Hochschule Europas. Weshalb in Wittenberg zeitweise mehr Studenten als Einheimische lebten. Dann direkt zur Stadtkirche St. Marien, in der Martin Luther mehr als 2000-mal predigte. Sofern man nicht wegen der netten kleinen Läden vom geraden Touristinnenweg abkommt.
Künstler mit Apothekenprivileg Den Marktplatz mit dem repräsentativen Rathaus kann man nicht verfehlen. Von hier aus sind es nur ein paar Schritte zu restaurierten Häusern, die einmal dem Maler Lucas Cranach dem Älteren gehörten, so die Schlossstraße 1. Dort befindet sich heute noch eine Apotheke mit seinem Namen. Denn der geschäftstüchtige Künstler war von 1520 an auch im Besitz eines Apothekenprivilegs. Vermutlich kam er so günstiger an Farben. Die Wittenberger konnten bei ihm auch noch Gewürze, Konfekt und Süßwein kaufen.
Die Stunden verfliegen, während man sich umschaut, durch Ausstellungen wandert, Namenstafeln zu berühmten Bewohnern und Besuchern der Stadt an den Häusern liest. Der Luthergarten mit Bäumen aus aller Welt muss bis zum nächsten Tag warten. Ebenso das Panoroma des zeitgenössischen Künstlers und Architekten Yadegar Asisis „Luther 1517“, welches in 360-Grad-Optik das mittelalterliche Wittenberg auferstehen lässt.
Warten müssen auch Schloss sowie Schlosskirche, selbst wenn Luther dort vermutlich seine berühmten 95 Thesen angeschlagen hat. Jetzt ist leckere Architektur an der Reihe: Die Eisdiele gegenüber der Schlosskirche. 1959 wurde ihre Hülle als moderner, leichter „Chemie-Pavillon“ gebaut, um die Produkte des Volkseigenen Betriebes Stickstoffwerk Piesteritz zu präsentieren.
Den Artikel finden Sie auch in DIE PTA IN DER APOTHEKE 03/2022 auf Seite 125.
Sabine Rieser, freie Journalistin
Infos zur Region: https://lutherstadt-wittenberg.de/