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Schmerzen

NICHT AUSZUHALTEN!

Etwa zwei Drittel der Schmerzmittel werden in Selbstmedikation erworben, ohne vorher einen Arzt aufgesucht zu haben. Somit trägt Ihre Beratung entscheidend zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Analgetika bei.

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Schmerz ist nach der International Association for the Study of Pain „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen beschrieben wird“. Diese zunächst kompliziert wirkende Definition macht deutlich, dass Schmerzen auch ohne körperliche Ursache empfunden werden können und individuell unterschiedlich stark wahrgenommen werden. Schmerzen sind ein komplexes Phänomen, bei dem über den rein körperlichen Vorgang hinaus psychische Aspekte und Persönlichkeitsstrukturen eine Rolle spielen.

Entstehung Bei einer Gewebeschädigung oder Entzündung werden schmerz- und entzündungsfördernde Botenstoffe wie beispielsweise Prostaglandine im Körper freigesetzt. Sie werden auch als Schmerzmediatoren bezeichnet, da sie Schmerzrezeptoren (Nozizeptoren) reizen. Nozizeptoren sind freie Nervenendigungen von aufsteigenden (afferenten) Nervenbahnen, die sich in Haut, Muskeln, Blutgefäßen und Eingeweiden befinden und auf den Reiz mit einem elektrochemischen Aktionspotenzial reagieren. Diese Schmerzimpulse gelangen in wenigen Millisekunden über Nervenfasern (schnelle A-Delta- und langsame C-Fasern) über das Hinterhorn des Rückenmarks zum zentralen Nervensystem.

WARNFUNKTION
Grundsätzlich wird zwischen akuten und chronischen Schmerzen unterschieden. Akute Schmerzen haben eine überlebenswichtige Alarmfunktion, indem sie vor gesundheitlichen Gefahren warnen und zu schnellen Reaktionen zwingen, um körperliche Schäden abzuwehren. So verhindert beispielsweise ein abruptes Wegziehen der schmerzenden Hand von der heißen Herdplatte, dass unsere Haut verbrennt. Akute Schmerzen sind zeitlich auf wenige Stunden, Tage oder Wochen begrenzt und können durch Ausschalten des Schmerzauslösers limitiert werden.

Dort erfolgt die eigentliche Schmerzverarbeitung. Im Zwischenhirn (Thalamus) wird der Schmerz bewusst erlebt („es tut weh“). Doch werden gleiche Schmerzreize von den Betroffenen unterschiedlich wahrgenommen und beschrieben. Im limbischen System erfolgt eine emotionale Einschätzung des Schmerzes. Bisherige Erfahrungen sowie das jeweilige körperliche und seelische Befinden führen zu einer individuellen Schmerzbewertung.

Fröhliche oder optimistische Menschen können einen Schmerz weniger heftig („es tut kaum weh“) als Personen mit einer ängstlichen Grundstimmung registrieren („es tut unerträglich weh“). Die Hirnrinde erkennt den Ort, von dem der Schmerz herrührt und speichert ihn als Erfahrung. Über absteigende (efferente) Nervenfasern erfolgt die Antwort des Gehirns. Entsprechende Reaktionen wie Schweißausbruch, Herzklopfen oder Gegenmaßnahmen wie das Ergreifen von Schonhaltungen werden erzeugt.

Nozizeptive Schmerzen Nozizeptoren finden sich im gesamten Organismus – außer im Gehirn und Rückenmark. Je nachdem an welchem Ort sie gereizt werden, kann man die ausgelösten nozizeptiven Schmerzen in einen somatischen und vizeralen Schmerz einteilen. Letzterer (Eingeweideschmerz) geht von Organen des Magen-Darm-Traktes aus. Er hat einen dumpfen Charakter und ist schlecht zu lokalisieren. Kommt die schmerzauslösende Ursache von Haut, Bindegewebe, Knochen, Gelenken oder Muskeln, spricht man von einem somatischen Schmerz. Dabei wird noch zwischen einem gut lokalisierbaren, hellen Oberflächenschmerz und einem dumpfen in die Umgebung ausstrahlenden Tiefenschmerz differenziert.

Der Schmerz verselbständigt sich Chronische Schmerzen dauern hingegen länger als sechs Monate an oder kehren immer wieder, obwohl die Ursache inzwischen behoben wurde. Dieser Schmerz hat keine Schutz- und Warnfunktion mehr, er verliert seinen Sinn. Das Gehirn erhält weiterhin Schmerzsignale, obwohl der Auslöser nicht mehr vorhanden ist. Der Schmerz verselbstständigt sich, er chronifiziert. Dies kann sich zu einem eigenständigen Krankheitsbild entwickeln, bei dem der Patient schließlich in seinem Denken und Fühlen vom Schmerz übermäßig beherrscht wird, was sich wiederum verstärkend auf die Schmerzempfindung auswirkt.

Ein Schmerzgedächtnis entsteht Werden die Nozizeptoren ständig oder wiederholt starken Schmerzreizen ausgesetzt, kommt es zu einer dauerhaften Veränderung der beteiligten Nervenfasern und ihre Reizschwelle sinkt. Sie werden überempfindlich und verarbeiten selbst harmlose Reize als Schmerz. An dieser Sensibilisierung sind Schmerzmediatoren wie Bradykinin, Substanz P, Histamin und Serotonin, die im entzündeten oder verletzten Gewebe freigesetzt werden, beteiligt.

Neben diesen peripheren Vorgängen kann es auch durch Veränderungen auf Rückenmarksebene zu einer zentralen Sensibilisierung kommen. Für die neuronale Übererregbarkeit auf zentraler Ebene ist insbesondere Kalzium verantwortlich. Alle diese neurobiologischen Veränderungen, durch die der Schmerz chronisch geworden ist, werden auch mit dem Begriff Schmerzgedächtnis belegt.

Rechtzeitige Bekämpfung Je früher beim akuten Schmerz eine wirksame Linderung in einer ausreichenden Dosierung erfolgt, desto geringer ist die Gefahr einer Chronifizierung. Wird die Dosis zu gering gewählt oder zu spät appliziert, können Schmerzen weiter bestehen, was eine häufigere Schmerzmitteleinnahme provoziert, die aber meist uneffektiv bleibt. Eine frühzeitige und konsequente Analgesie ist somit vorrangiges Therapieziel.

»Kein ASS für Kinder und Jugendliche mit einer fieberhaften Erkrankung wegen der Gefahr eines Reye-Syndroms!«

Für die medikamentöse Schmerzbehandlung wurde vor 25 Jahren von der WHO ein Stufenplan zur Schmerztherapie entwickelt. Er wird nicht nur wie ursprünglich konzipiert bei Patienten mit Tumorschmerzen, sondern auch bei anderen Schmerzzuständen angewandt. Daneben sind zur Therapie unterschiedlicher Schmerzarten auch spezielle Leitlinien verschiedener Fachgesellschaften wichtige Orientierungshilfen.

In der Selbstmedikation haben insbesondere die Empfehlungen der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) einen hohen Stellenwert erlangt. Auch hier ist wichtiges Behandlungsprinzip, die Schmerzen rechtzeitig mit einer ausreichend hohen Dosierung des richtig ausgewählten Medikaments zu kupieren.

Dreistufiges Konzept Auf der Stufe 1 des WHO-Stufenplans werden nicht-opioide Analgetika, also Schmerzmittel, die nicht am Opioid- Rezeptor angreifen, verwendet (z. B. Acetylsalicylsäure (ASS), Ibuprofen, Paracetamol). Auf Stufe 2 kann die Analgesie mit zentral wirksamen, schwachen Opioidanalgetika, also die, die noch kein Betäubungsmittel (BtM)-Rezept erfordern (z. B. Codein, Tramadol, Dihydrocodein), erweitert werden. Auf der Stufe 3 werden stark wirksame Opioide, das heißt BtM-pflichtige Opioide (z. B. Fentanyl, Morphin, Buprenorphin) mit nicht-opioiden Analgetika kombiniert. Zusätzlich können auf jeder Stufe Koanalgetika aus der Gruppe der Antidepressiva, Antikonvulsiva, Glukokortikoide und Neuroleptika verabreicht werden.

NEUROPATHISCHER SCHMERZ
Neben nozizeptiven existieren auch neuropathische Schmerzen, die durch Schädigung des Nervensystems entstehen. Dabei sind verschiedene Auslöser (z. B. virale Infektion, Autoimmunerkrankung, Nervenabriss) möglich. Zu den typischen neuropathischen Schmerzen zählen beispielsweise die postzosterische Neuralgie, die diabetische Neuropathie oder der Phantomschmerz.

Wichtiges Prinzip des WHO-Stufenschemas ist das rechtzeitige Wechseln der Medikation auf stärker wirksame Analgetika. Das bedeutet, wenn die erzielte Schmerzreduktion bei zulässiger Höchstdosis nicht mehr ausreicht, muss das Schmerzmittel durch eine stärker wirksame Substanz ersetzt werden. Allerdings kann es auch sinnvoll sein, die Behandlung gleich mit Analgetika der Stufen 2 oder 3 zu beginnen.

Behandlung in Eigenregie Im Rahmen der Selbstmedikation werden ausschließlich nicht-opioide Analgetika verwendet. Sie können in saure (z. B. ASS, Ibuprofen, Diclofenac, Naproxen) und nicht-saure Analgetika (z. B. Paracetamol) unterschieden werden. Die sauren nicht-opioiden Analgetika werden auch als nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder als non steroidal anti-inflammatory drug (NSAID) bezeichnet.

Die englische Benennung macht ein wichtiges Wirkprinzip dieser Substanzen deutlich: Die sauren Analgetika reichern sich in undissoziierter Form besonders in entzündeten Geweben an, in denen ein niedriger pH-Wert vorherrscht, was ihre ausgeprägte antientzündliche (antiphlogistische) Wirkkomponente erklärt. Nichtsaure Analgetika haben hingegen keine antientzündlichen Eigenschaften. Sie verteilen sich vielmehr gleichmäßig im gesamten Organismus.

Blockade der Cyclooxygenasen Nicht-opioide Analgetika wirken über eine Hemmung der Cyclooxygenase (COX) schmerzstillend. COX ist ein Enzym, das die Synthese der Prostaglandine aus Arachidonsäure und anderen ungesättigten C20-Fettsäuren katalysiert. Das Enzym besteht aus den Isoenzymen COX-1 und COX-2. Während COX-1 überwiegend Prostaglandine bildet, die physiologische Effekte wie den Schutz der Magenschleimhaut und die Plättchenaggregation vermitteln, entsteht COX-2 vor allem bei Verletzungen und Entzündungen und katalysiert die Bildung von Prostaglandinen, welche die Schmerzrezeptoren reizen. Für die analgetische und antiphlogistische Wirkung ist immer die Hemmung der COX-2 notwendig. Nebenwirkungen erklären sich vor allem durch die Blockade der COX-1.

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) Traditionelle NSAR wie ASS, Ibuprofen, Diclofenac und Naproxen hemmen alle sowohl die COX-1 als auch die COX-2, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Sie wirken schmerzstillend, fiebersenkend (antipyretisch) und entzündungshemmend. Prinzipiell ist die analgetische Wirksamkeit umso größer, je stärker die Affinität der Substanz zur COX-2 ist. Je geringer die COX-1 Affinität ist, desto besser ist die Verträglichkeit.

Während ASS, Naproxen und Ibuprofen mit einer ausgesprochenen Affinität zur COX-1 gekennzeichnet sind, weist Diclofenac eine leichte Präferenz für COX-2 auf. Das Risiko für gastrointestinale Beschwerden ist substanzabhängig und steigt vor allem bei längerer Anwendung und hoher Dosierung. Ibuprofen scheint unter den NSAR das günstigste gastrointestinale Risikoprofil aufzuweisen. Um Magen-Darm-Komplikationen wie Blutungen oder Geschwüre zu vermeiden, werden NSAR häufig mit einem Protonenpumpeninhibitor (PPI) kombiniert. Bei Langzeittherapie steigt auch das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse wie Herzinfarkt und Schlaganfall (Ausnahme: Naproxen).

SCHMERZMITTELINDUZIERTEN KOPFSCHMERZ VERMEIDEN
Lange Zeit wurde diskutiert, ob Kombinationen aus nicht-opioiden Analgetika mit Koffein eine regelmäßige Schmerzmitteleinnahme provozieren und somit für den schmerzmittelinduzierten Kopfschmerz verantwortlich sind. Diese Befürchtung hat sich in Studien nicht bestätigt. Untersuchungen konnten hingegen eine analgetische Überlegenheit der fixen Kombination aus ASS, Paracetamol und Koffein im Vergleich zu den Einzelsubstanzen zeigen. Daher empfiehlt heute die DMKG die fixe Dreierkombination als Mittel der 1. Wahl bei Spannungskopfschmerzen und Migräne. Wichtiger als die Wirkstoffwahl ist vielmehr eine adäquate Dosierung. Experten empfehlen folgende Dosisregel: Schmerzmittel zur Behandlung von Kopfschmerzen sollen nicht länger als drei Tage hintereinander und nicht häufiger als an zehn Tagen im Monat eingenommen werden.

Diclofenac hat unter den NSAR das höchste kardiovaskuläre Risiko (vergleichbar mit den Coxiben). Deshalb sollten Menschen, die an einer Herz- oder Gefäßkrankheit erkrankt sind, möglichst kein Diclofenac einnehmen. Auch Personen, die Risikofaktoren für die Bildung von Blutgerinnseln aufweisen, sollten vorsichtig sein. Eine spezifische Blockade der COX-2 erfolgt mit den verschreibungspflichtigen Coxiben (z. B. Celecoxib, Etoricoxib). Die im Vergleich zu den NSAR bessere gastrointestinale Verträglichkeit geht allerdings mit einer Erhöhung des kardiovaskulären Risikos einher.

Paracetamol Über den Wirkmechanismus von Paracetamol wird immer wieder diskutiert. Inzwischen geht man davon aus, dass das Anilin- Derivat ein potenter Hemmstoff der COX-2 ist, COX-1 wird nicht blockiert. In seiner analgetischen Potenz scheint Paracetamol den NSAR unterlegen. Die Tagesdosis darf aber keinesfalls vier Gramm übersteigen, da in höheren Dosen lebensbedrohliche Leberschäden auftreten.

Paracetamol ist unter den rezeptfreien nichtopioiden Analgetika das Mittel der Wahl, wenn Kontraindikationen für NSAR bestehen (z. B. erhöhtes kardiovaskuläres oder gastrointestinales Risiko, Asthma). Paracetamol ist auch Mittel der ersten Wahl in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Säuglingen. Bei Kindern ab sechs Monaten wird auch häufig Ibuprofen verordnet, da es eine bessere Analgesie aufzuweisen scheint.

Fazit Es ist wichtig im Beratungsgespräch zu klären, für wen das Schmerzmittel bestimmt ist. Individuelle Gegebenheiten wie beispielsweise Alter (z. B. Säuglinge), Schwangerschaft und Stillzeit, Risikofaktoren (z. B. Bluthochdruck), Grunderkrankungen (z. B. Ulcus, Leberfunktionsstörungen, Asthma) oder die Begleitmedikation (z. B. ASS 100) bestimmen die Auswahl eines geeigneten Analgetikums. Ebenso ist die Schmerzart beziehungsweise Ursache entscheidend.

So sind NSAR Mittel der Wahl bei Schmerzen, die auf einer Entzündung beruhen (z. B. rheumatische Schmerzen). Werden aber beim Betroffenen durch NSAR-Gabe beispielsweise Magen-Darm-Komplikationen erwartet, muss über eine Alternative nachgedacht werden (z. B. Paracetamol). Auch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko schließt die Gabe einiger NSAR (z. B. Diclofenac) aus.

Die Frage nach der Dauer der Schmerzen lotet die Grenzen der Selbstmedikation aus. Es kann auch bei der Erfassung der Schmerzintensität das Ergebnis sein, dass der Betroffene einen Arzt aufsuchen sollte, denn eine Schmerztherapie in Eigenregie sollte nur kurzfristig durchgeführt werden und sich grundsätzlich auf leichte bis mäßig starke Schmerzen beschränken.

Den Artikel finden Sie auch in Die PTA IN DER APOTHEKE 05/14 ab Seite 14.

Gode Meyer-Chlond, Apothekerin

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