Unser Nervensystem ist ständig im Einsatz. Kommt es an den Schaltstellen zu Funktionsverlusten, können plötzlich verschiedenste Körperfunktionen eingeschränkt sein. © ralwel / 123rf.com

Humanarzneimittel | Multiple Sklerose

NEUER ANTIKÖRPER GEGEN MULTIPLE SKLEROSE IM GESPRÄCH

Schätzungen zufolge betrifft diese „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ weltweit ungefähr 2,5 Millionen Menschen. Eine Heilung gibt es bisher nicht. Ziele der Therapie sind daher vorrangig die Reduktion der Schubrate und das Fortschreiten der Erkrankung. Als neue Option soll hierfür nun ein neuer Antikörper zugelassen werden: Ocrelizumab (Ocrevus®).

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Bei der Multiplen Sklerose (MS) kommt es im gesamten zentralen Nervensystem (ZNS) zu Entzündungen, die unterschiedlich stark auftreten und mit den verschiedensten Auswirkungen auf die menschlichen Körperfunktionen einhergehen. Man unterscheidet grob in die schubförmig verlaufende MS (Schub=Auftritt neuer Symptome über 24 Stunden), die fast 80 Prozent aller Patienten betreffen und einen chronisch-voranschreitenden (progredienten) Verlauf. Die genauen Ursachen für das Entstehen einer MS sind noch nicht geklärt, es spricht aber vieles für eine Autoimmunerkrankung. So beobachtet man zum Beispiel bestimmte B- oder T-Zellen, die an der Myelinschicht der Nervenzellen angreifen und dort Schäden mit dadurch bedingtem Funktionsverlust verursachen können. Die gestörte Erregungsweiterleitung kann somit zu einer Vielzahl an Symptomen führen:

  • motorische Störungen (Lähmungen, Spastiken, Gangunsicherheit, unsicheres Greifen)
  • Sehstörungen
  • Missempfindungen (Kribbeln, Taubheitsgefühl, Schmerzen)
  • Funktionelle Störungen (verwaschenes Sprechen, Blasentleerungsstörung/Inkontinenz)
  • unspezifische Beschwerden (u.a. Depression, Schwindel, vollständige Erschöpfung)

Ebenfalls werden eine gewisse genetische Disposition oder verschiedene Umweltfaktoren (z.B. Rauchen, Vitamin-D-Mangel im Kindesalter) diskutiert. Es handelt sich also um eine multifaktorielle Erkrankung.

Außerhalb der Schübe, die mit hochdosierten Glucocorticoiden behandelt werden, haben sich verschiedene Immunmodulatoren in der Basisbehandlung etabliert. Als Standard gelten Interferon Beta und Glatirameracetat, bei stark eskalierenden Verläufen kommen auch verschiedene Antikörper zum Einsatz. Sie sollen die überschießende Immunreaktion regulieren und somit ein Voranschreiten der Erkrankung verlangsamen. Allen eingesetzten Arzneistoffen fehlt dabei die Zulassung zur Behandlung des progredienten Verlaufs, beziehungsweise es fehlen Evidenzstudien für den Einsatz von Interferon Beta.

Der neu entwickelte Antikörper Ocrelizumab könnte diese Versorgungslücke schließen. Der Ausschuss für Humanarzneimittel der Europäischen Arzneimittelagentur gab eine Zulassungsempfehlung sowohl für die Behandlung des schubförmigen, als auch des progredienten Verlaufs. Der humanisierte monoklonale Antikörper richtet sich gezielt gegen die am Entzündungsgeschehen beteiligten B-Zellen. Im Vergleich zu Interferon Beta senkte er die Schubrate in einer klinischen Phase-III-Studie um 47 Prozent und bei den Patienten mit progredientem Verlauf konnte der neue Antikörper verglichen mit Placebo das Risiko für ein Fortschreiten um 25 Prozent senken. Ocrevus® wird alle sechs Monate intravenös verabreicht.

Farina Haase, Volontärin

Quelle: Pharmazeutische Zeitung

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