Fruchtfliegen
NERVIG ODER NOBELPREISVERDÄCHTIG?
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Anscheinend gehen die Meinungen über die schwarzbäuchigen Fliegen weit auseinander. Drosophila melanogaster: Gibt man den lateinischen Namen des kleinen Sechsbeiners bei Google ein, landet man ungefähr 5 760 000 Ergebnisse. Bei Fruchtfliege nur ungefähr 106 000 Ergebnisse. Zudem beinhalten die Ergebnisse der ersten Suchanfrage zumeist Verweise auf wissenschaftliche Artikel oder Abhandlungen, während bei der Zweiten vor allem Tricks zu deren Beseitigung behandelt werden. Gleiches Tier, unterschiedliche Ansichten – wie kommt`s?
Das Forschungsobjekt
Vielen ist die Drosophila-Fliege sicherlich schon in der Schule begegnet, in der klassischen Genetik. Das Tier verfügt lediglich über vier Chromosomenpaare und vermehrt sich sehr schnell mit großer Nachkommenzahl, weshalb viele Kreuzungsversuche über mehrere Generationen hinweg gut durchführbar sind. Schon 24 Stunden nach der Befruchtung, können bis zu 400 Eier abgelegt werden, aus denen nach ungefähr zehn Tagen Nachkommen schlüpfen. Eine neue Generation ist also schnell geschaffen und dank hoher Legefreudigkeit können aus einem Weibchen nach 30 Tagen theoretisch bis zu 16 Millionen neue Fruchtfliegen entstehen. Außerdem braucht es zum Leben nur ein kleines Glas mit etwas matschiger Banane oder Zuckerlösung – das perfekte Versuchstier. Hinzu kommt, dass ein Großteil der praktischerweise überschaubaren Anzahl der Gene schon seit langer Zeit in genau dieser Zusammensetzung bestehen, man spricht dann von einer Konservierung der Gene. Auch das sind nützliche Eigenschaften und zeichnen die Drosophila-Fliege als gutes Untersuchungsobjekt aus.
So verdanken Forscher der Fliege beispielsweise die Entdeckung des Cross-Over-Phänomens oder die Beschreibung zahlreicher Mutanten – die Vererbungslehre dominanter und rezessiver Merkmale wird heute noch gerne anhand von weiß- und rotäugigen oder kurz- und langflügligen Fruchtfliegen erklärt. Sie hat aber auch wirklich schon eine lange Karriere als Versuchstier hinter sich, bereits 1830 wurde sie das erste Mal vom Insektenforscher Johann Wilhelm Meigen beschrieben. 1901 starteten dann die ersten Versuche: Der Genetiker William Ernest Castle untersuchte an der Taufliege die Auswirkungen von Inzucht. Heute ist Drosophila melanogaster nicht mehr aus den Laboren wegzudenken. So erhielt Christiane Nüsslein-Volhard für ihre Forschung der frühen Embryonalentwicklung als erste deutsche Frau den Nobelpreis für Medizin – dank der Fruchtfliege. Seit dem Jahr 2000 gilt ihr genetisches Material als komplett entschlüsselt, mit einem spannenden Ergebnis: 60 Prozent der Erbsubstanz findet sich auch beim Menschen wieder. Bestimmte Krankheiten oder embryonale Fehlentwicklungen lassen sich daher gut an der Fliege studieren. Neurologen interessieren sich zudem für die Funktion des Sehapparates, Grundlagenforscher für die Geruchs-Sensorik. Es ist ja auch wirklich auffällig, wie schnell so eine Fruchtfliege in der Lage ist, eine Obstschale oder ein gerade eingeschenktes Glas Wein aufzuspüren.
Jetzt könnte man meinen, die Fliege würde für ihren Beitrag in der naturwissenschaftlichen Forschung nicht ausreichend gewürdigt. Es finden jedoch zahlreiche Konferenzen und Tagungen ihr zu Ehren statt. So treffen sich in wechselnden Städten der USA jedes Jahr etwa 2000 Teilnehmer zur größten internationalen Drosophila-Konferenz. Auch eine kleine deutsche regionale Tagung gibt es jährlich. Außerdem spricht allein die Mehrheit der Google-Such-Ergebnisse bereits Bände.
Das Schimpfobjekt
Der Name Drosophila melanogaster leitet sich übrigens aus dem Griechischen ab: drosos = Tau, phile = Freundin, melas = schwarz, gaster = Magen, Bauch. Beschreibt die Fliege äußerlich ja sehr gut, aber viele werden jetzt bestimmt denken: Tau-Freundin? Wohl eher Saft- oder Wein-Freundin. Denn jedes Jahr müssen, mal mehr, mal weniger, Lebensmittel und Getränke gut verschlossen und am besten weggeschlossen aufbewahrt werden. Ansonsten kann es schon einmal vorkommen, dass man nach Hause kommt und die Obstschale vor lauter Fruchtfliegen kaum noch sichtbar ist. Und wenn sie einmal die Wohnung bevölkert haben, ist es nahezu unmöglich, sie schnell wieder zu entfernen. Gerade diejenigen, die in einer Weinregion leben, erfreuen sich pünktlich zur Weinlese einer großen Population an ungebetenen Fruchtfliegen-Gästen. Jetzt sind die Tierchen alles andere als gefährlich, jedoch finden sie die meisten Menschen eklig und auch das Lebensmittel, auf dem sie sich niedergelassen haben.
Doch bevor man das ganze Obst und Gemüse voreilig entsorgt, eine kleine Entwarnung: Die Fruchtfliege überträgt in der Regel keine Krankheiten. Es genügt, die Lebensmittel vor Verzehr gründlich abzuwaschen. Auch wird Obst oder Gemüse durch den Befall nicht unbedingt schneller faulig. Dennoch tragen die Fliegen Hefepilze und Bakterien, die für die Zersetzungsprozesse beim Verberden verantwortlich sind, mit sich rum und verbreiten sie dadurch. Ist die Schale jedoch intakt, sind Obst und Gemüse für Fruchtfliegen in der Regel uninteressant, ihre Kauwerkzeuge können die Schale meist nicht durchdringen. Kleine braune Stellen oder Risse in der Schale genügen allerdings bereits, das gilt auch zum Beispiel für Weintrauben, die vom Stil gedreht worden sind – eine perfekte Eintritts-Pforte. Der beste Tipp an dieser Stelle: Reifes Obst und Gemüse am besten schnell verzehren oder, falls es die Sorte zulässt, im Kühlschrank aufbewahren. Stehen gelassene Speisereste, geöffnete Getränkeflaschen oder –reste sind auch willkommene Einladungen für die schwarzbäuchigen Fliegen, am besten direkt wegräumen. Und natürlich den Mülleimer gut verschließen und häufig leeren, sonst kommt einem beim nächsten Öffnen vielleicht direkt ein ganzer Schwarm entgegen. Dekorative Netze oder Gitter können auch vor den Sechsbeinern schützen, dazu müssen sie aber exakt auf einer Fläche aufliegen und sehr engmaschig sein – die Fruchtfliege entdeckt schnell ein Schlupfloch und sei es noch so klein.
Was der Name sonst noch verrät
Es gibt natürlich noch viele weitere Tipps gegen die kleinen Fliegen. Einige lassen sich sogar direkt aus den Synonymen für die Drosophila-Fliege ableiten. Die Bezeichnung Tau-Fliege verrät zum Beispiel ihre liebsten Schwärm-Zeiten, nämlich morgens und abends, wenn sich der Tau auf Gras und Pflanzen legt. Von den Düften überreifer oder gärender Lebensmittel angezogen, können sie mitunter recht weite Strecken zurücklegen, um in eine Wohnung zu gelangen. Wer kein feines Fliegengitter besitzt, sucht sich besser andere Zeiten zum Lüften aus, wenn es die Außentemperatur zulässt. Wir tragen die Fliegen oftmals aber auch selbst in die Wohnung: Auf dem gekauften oder geernteten Obst und Gemüse sitzen unter Umständen bereits die mit dem Auge nicht sichtbaren Larven, aus denen rasch Nachwuchs schlüpft. Also den Einkauf am besten direkt gründlich abwaschen.
Weitere Trivial-Namen lauten Most- oder Essig-Fliege, sie zeigen die Vorliebe der Insekten für vergorene und zuckerreiche Lebensmittel. Diese Vorliebe lässt sich in einer selbstgebauten Fruchtfliegen-Falle natürlich zu Nutze machen: Wasser mit je einem Schuss Fruchtsaft und Essig versetzen und einen Tropfen Spülmittel hinzugeben. Von Saft und Essig wird die Fliege angelockt, durch das Spülmittel, das die Oberflächenspannung der Mischung herabsetzt, ertrinkt sie. Ähnlich funktionieren auch gekaufte Köder-Fallen, mit dem Unterschied, dass die Fliegen festkleben sollen und verhungern. Eine weitere Variante besteht in elektrischen Fallen. Man steckt die Vorrichtung in eine Steckdose, die Fliege wird dann von einem speziellen UV-Leuchtmittel angelockt und bei Kontakt getötet. Wem das zu rabiat vorkommt, schließlich können die Fliegen ja nichts für ihre instinktive Suche nach Nahrung, kann sie auch lebend fangen: Eine Plastiktüte mit Köder bestücken (ein Stück Obst zum Beispiel) und offen liegen lassen. Ist sie gut gefüllt, lose verschließen, nach draußen tragen und die Fliegen wieder in die Freiheit entlassen. Entsprechende Lebendfallen gibt es natürlich ebenfalls fix und fertig im Handel zu kaufen.
Daneben gibt es auch durchaus dekorative Methoden, einer Fruchtfliegen-Plage Herr zu werden. Manche Pflanzen fressen die Drosophila-Fliegen und nutzen sie als Stickstoffquelle, zum Beispiel Fettkraut oder Sonnentau. Regelmäßiges Lüften (zu den passenden Tageszeiten) bietet sich ebenfalls an, oft fliegen die Fliegen dann von selbst wieder raus. Übrigens sind manche Menschen auch froh über die Fruchtfliegen im Haus, sie bestellen sie sogar nach Hause. Und zwar als Lebendfutter für zum Beispiel Fische oder Terrarien-Bewohner. Dabei handelt es sich allerdings um Mutanten, die aufgrund ihrer verkürzten Flügel flugunfähig sind – die Firmen machen aber darauf aufmerksam, dass durchaus flugfähige Exemplare im Bestellset enthalten sein könnten und stellen direkt klar, dass dies kein Reklamationsgrund sei.
Die kleinen Plagegeister haben es manchmal aber auch wirklich schwer. Denn so gesehen, verdanken wir ihnen eine ganze Menge und vielleicht sollten wir neben der Schimpferei auf jährliche Fruchtfliegen-Überfälle in den eigenen vier Wänden auch einmal kurz innehalten und uns für ihre selbstlose Aufopferung in Wissenschaft und Forschung bedanken.
Farina Haase,
Apothekerin, Volontärin
Quellen:
https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/drosophila-melanogaster/3030 https://www.deutschlandfunk.de/kino-fuer-die-drosophila.676.de.html?dram:article_id=244966 https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/biologie-abitur/artikel/drosophila-modellorganismus-der-genetik
https://www.zeit.de/wissen/umwelt/2011-09/unterschaetzt-taufliege https://www.mpg.de/796583/F002_Fokus_024-031.pdf
https://www.apotheken-umschau.de/Fruchtfliegen
http://www.fruchtfliegen-info.de/welche-mittel-gegen-fruchtfliegen-helfen/ https://www.dendroshop.de/Drosophila-melanogaster