Bildung
MONATLICH EIN EURO HILFT ZWEI SCHULMÄDCHEN
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Kann man mit geringen Mitteln Großes bewirken? Im Fall des 15-jährigen Schulmädchens Valerie hat das offensichtlich geklappt. Am Rande einer Veranstaltung, bei der die Schüler der Primary School die Menschen kennenlernen, die hinter der Bärbel Jennert Stiftung stehen, gibt sie in einem Interview zu Protokoll, dass sie als Beruf nichts Geringeres anstrebe, als die Schauspielerei: „Ich will eine bekannte Schauspielerin werden, so wie Lupita Nyong’o.“ Ihr Vorbild ist die erste Darstellerin, die in Valeries Heimatstadt Kisumu gelebt hat und international Erfolge feiert. Doch Valerie geht es nicht darum, ein Leben als Star zu führen, sie hat vielmehr Größeres im Sinne: „Ich will der Welt zeigen, dass wir Kenianer besser sind und mehr können, als viele denken!“
Dass Valerie einmal über ein so ausgeprägtes Selbstbewusstsein verfügen würde, hätten ihre Lehrer noch vor einem Jahr nicht für möglich gehalten. Damals hatte sie im Laufe eines Schuljahres etwa für den Zeitraum eines Monats Fehltage angesammelt – so wie fast alle Mädchen in ihrer Klasse.
Der Grund war ganz einfach: Immer, wenn Valerie ihre Periode hatte, verkroch sie sich aus Scham zuhause bei ihrer Familie. Erst als die Bärbel Jennert Stiftung regelmäßig Binden an sie und ihre Mitstreiterinnen ausgab, änderte sich das Verhalten der Mädchen. Und es kam genauso, wie es sich die Stiftungsmitarbeiter erhofften: Die Leistungen der Schülerinnen verbesserten sich und keine von ihnen verlor den Anschluss an den Unterrichtsstoff.
Binden-Spenden sind erst der Anfang
Auch im Dialog, der unter freiem Himmel vor dem Schulhaus zwischen den Besuchern der Stiftung und den Lehrerinnen und Lehrern geführt wird, betonen die Pädagogen immer wieder, wie erfolgreich und effektiv diese Maßnahme sei. Dabei ist der finanzielle Aufwand hinter der Aktion gering: Bereits die Spende von einem Euro monatlich reicht aus, um zwei Mädchen mit Binden zu versorgen. Der kenianische Leiter der Bärbel Jennert Stiftung, Gabriel, den alle „Gäbi“ nennen, bringt es auf den Punkt: „Aufgrund ihrer vielen Fehltage konnten die Mädchen von vorneherein nicht die volle Leistung bringen! In den schlimmsten Fällen haben sie die Schule sogar ganz abgebrochen.“
Obwohl sich Schulleiterin Florence Ouma mehrfach für das bisher Geleistete bedankt hat, fügt sie mit sanfter Stimme hinzu, dass diese Aktion nur ein Anfang sein könne: „Es wurden bisher etwa zehn Prozent der notwendigen Verbesserungen erreicht. Wenn man sich beispielsweise unsere beiden Plumpsklos anschaut, die für 200 Mädchen zur Verfügung stehen, ist klar, dass wir dringend bessere sanitäre Anlagen brauchen. Außerdem sollten unsere Schülerinnen auch die Möglichkeit haben, sich die Hände zu waschen.“
Auch außerhalb des Schulbetriebs ist das Leben der Kinder von Armut geprägt. So berichten etliche Lehrer davon, dass die meisten Schüler und Schülerinnen kaum Gelegenheit hätten, zuhause den Unterrichtsstoff zu vertiefen: „Wenn sie abends nach Hause kommen, dann gibt es in den Hütten ihrer Eltern keinen Strom und somit kein Licht zum Lesen“, erläutern die Lehrer. Abgesehen davon hätten es viele Waisenkinder in dem von HIV gebeutelten Land besonders schwer: Obwohl sie zwar teilweise von der Verwandtschaft aufgenommen würden und aufgrund der Schulpflicht auch den Unterricht besuchten, würden sie von den Erwachsenen nicht als schützenswerte Kinder, sondern eher als willkommene Arbeitskräfte wahrgenommen.
Das Schicksal eines Waisenkinds ist der 14-jährigen Jennifer glücklicherweise erspart geblieben. Dennoch ist auch ihr Leben alles andere als einfach: So muss sie beispielsweise morgens und abends einen einstündigen Fußweg zurücklegen, um am Unterricht teilnehmen zu können. Dass ihre Eltern sie finanziell kaum unterstützen können, ist nicht weiter verwunderlich – ihr Vater ist als Security-Mann ebenso ein Geringverdiener wie ihre Mutter, die versucht, die Familie als Kleinbäuerin zu unterstützen. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen hat es Jennifer geschafft, die Zweitbeste in ihrer Klasse zu werden. Nachdem ihre Mutter ihr den Umgang mit den Binden gezeigt hatte und sie sich verstärkt auf die Schule konzentrieren konnte, ist ihre Punktezahl von 277 auf 375 gestiegen. Die höchste Punktzahl ist 500 und wenn Jennifer es schafft, noch 25 Punkte mehr zu erreichen, erhält sie eine kleine Förderung von der Kommune. Im Gegensatz zu ihrer visionären Kollegin Valerie möchte Jennifer in ihrem späteren Leben Basis-Arbeit leisten: „Ich helfe gerne und möchte deshalb Krankenschwester werden.“
Auch Jungs profitieren von der Stiftung
Doch nicht nur die Mädchen werden von der Bärbel Jennert Stiftung unterstützt. So öffnete ein von Spendengeldern getragener Ausflug dem 14-jährigen Charles Byron im Hinblick auf seinen Berufswunsch die Augen. Seitdem er auf einer Teeplantage eine Bewässerungsanlage gesehen hat und den Prozess miterleben durfte, wie eine Zuckerrohrpflanze zu fein rieselndem Zucker verarbeitet wurde, steht für ihn fest, dass er Ingenieur werden möchte. Allerdings muss er sich aktuell mit anderen Nöten herumschlagen, die mindestens ebenso schambesetzt sind wie das zwischenzeitlich gelöste Perioden-Problem der Mädchen. Charles Byron hat höllische Angst davor, dass seine kurze Hose an irgendeiner Stelle reißen könnte – darunter ist er nämlich völlig nackt. Für uns Europäer unvorstellbar: Die Eltern des Teenagers haben kein Geld übrig, um ihrem Sohn eine Unterhose kaufen zu können. Denn Unterwäsche ist für kenianische Verhältnisse sehr teuer und für die Eltern schlicht unerschwinglich. Im besten Falle kann gebrauchte Unterwäsche erstanden werden. Auch für ein weiteres Paar Schuhe neben den ausgelatschten Turnschuhen reicht das Einkommen aus einem kleinen Blumen- und Obstgeschäft nicht. Lediglich die abgetragene Schuluniform war als Investition in die Zukunft ihres Sohnes noch im Budget. Die Schuluniform ist in Kenia Pflicht.
Ähnliche Probleme auch in der Secondary School
Beim nachmittäglichen Besuch in der Secondary School – vergleichbar der deutschen Oberstufe – macht die kleine Delegation der Bärbel Jennert Stiftung die Erfahrung, dass sich die Probleme und Erfolge ähneln. Auch hier lobt die Direktorin Josephine Omolo die Binden-Aktion und bittet die Schülerinnen aufzustehen: „Zeigt, dass ihr dankbar seid!“
Obwohl die Schüler und Schülerinnen der Oberstufe stolz darauf sein könnten, es so weit geschafft zu haben und dies auch ein Sprungbrett für ein Universitätsstudium sein könnte, blicken die Mitglieder der Stiftung in ernste Gesichter – Gesichter, die viel zu früh erwachsene und teilweise fast versteinerte Züge aufweisen. Es scheint, als ob ihnen auf dem Weg ins Erwachsenen-Leben jetzt schon bewusst ist, dass sie es nicht leicht haben werden. Und dennoch gibt es Grund zum Optimismus. So erzählt die Schuldirektorin sichtlich stolz davon, dass sie es zusammen mit ihren Lehrer-Kollegen im vergangenen Jahr geschafft habe, von etwa 50 Zöglingen fünf den Weg an die Universität zu ebnen.
Und noch eine erfreuliche Nachricht: Oberschüler, die mit einer in Deutschland vergleichbaren Gesamtschulnote „zwei“ abgeschlossen haben, erhalten vom kenianischen Staat eine dem Bafög vergleichbare Unterstützung. Mit diesem Geld, so erklärt Josephine Omolo, könnten die Studierenden auskommen – zumindest, wenn sie in eine der preisgünstigen Studentenwohnungen auf dem Campus einzögen. „Und diese Chance aus den ärmsten Verhältnissen auszubrechen“ – die Direktorin macht eine dramaturgische Pause, während sie zugleich streng und wohlwollend auf die Schülerschar vor ihr blickt – „sollte für euch alle ein Anreiz sein, euer Bestes zu geben!“
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Die Bärbel Jennert Foundation - Hilfe für Kenia e.V. ist eine gemeinnützige Organisation und stellt Ihnen gerne eine Spendenquittung aus. Damit können Sie Ihre Spende von der Steuer absetzen. Übrigens: die Bärbel Jennert Foundation ist eine kleine Stiftung, die von einer deutschen Familie geführt wird. Ein männliches Familienmitglied ist mit einer Kenianerin verheiratet.
Claus Ritzi,
Pharmajournalist (wdv)