Interview
„MIKROFONSPRECHEN IST IMMER EINE BESTIMMTE FACETTE DER SCHAUSPIELEREI“
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DIE PTA IN DER APOTHEKE: Wie gestaltet sich der Tagesablauf eines Synchronschauspielers?
Tobias Meister: Wir kommen ins Atelier, kennen im besten Fall den Film, haben die Rolle gesehen und wissen, um was es geht. Dann fangen wir an zu sprechen. Erst den ersten Take, dann den nächsten und so arbeiten wir die Liste ab, bis wir abends fertig sind. Es kommt natürlich darauf an, wie schwer die Rolle ist und wie viel man jeweils an einem Tag schaffen kann. Wenn in den Szenen viel geschrien, gezittert und geweint wird, dann wird man weniger Takes aufnehmen können, da solche Szenen viel Kraft kosten. Handelt es sich um normale Dialoge, schafft man etwas mehr. Es hängt letztlich immer von der Intensität der Rolle ab.
Dietmar Wunder: Ich mache es manchmal morgens noch so, dass ich unter der Dusche zwar keine direkten Sprachübungen mache, aber leichte Übungen, um die Stimme warm zu halten. An einem Tag kann man sogar mehrere Rollen sprechen – das macht für mich die Faszination des Synchronsprechens aus. Es kann durchaus sein, dass man am Vormittag Brad Pitt und am Nachmittag dann Jack Black ist. Es ist toll, wenn man in mehrere Rollen reinschlüpfen und sich austoben kann. Also sozusagen Schreitherapie, Weintherapie und zärtliche Liebkosungen erleben kann – alles an einem Tag.
Wie läuft eine Synchronarbeit technisch ab?
Wunder: Der Film ist in ganz viele kleine Dialogabschnitte unterteilt, sogenannte Takes. Wir synchronisieren den Film also nicht am Stück. Tobias fängt beispielsweise so an, dass er die Rohfassung zunächst grob übersetzt und die Dialoge darauf überprüft, ob sie lippensynchron sind, sodass am Ende der Text stimmt.
Meister: Wurde die Rohfassung überprüft, wird der Text ausgedruckt, in die Takes eingeteilt und dann beginnen wir im Atelier mit Take 1. In Abstimmung mit dem Cutter und dem Regisseur wird der Take solange aufgenommen, bis es final passt. Es ist immer wichtig, das Original als Referenz zu haben.
Muss man als Synchronsprecher sehr flexibel sein?
Wunder: Auf jeden Fall. Unser Kurzzeitgedächtnis ist gefragt. Am besten ist es, wenn man den Text nicht auswendig lernt. Ich sage jungen Schauspielern immer, dass sie den Text vorher nicht auswendig lernen sollen, denn dann haben sie ihren eigenen Ductus, ihre eigene Interpretation. Wir nehmen es ja von den Schauspieler/innen ab, die man in dem Moment sieht. Das heißt, man sieht den Text unter Umständen das erste Mal, lernt ihn dann kurz auswendig, damit man dann auf das Gesicht, auf die Körperhaltung, auf den Mund schauen kann, um es exakt so zu synchronisieren. Es ist ein bisschen Schauspiel für den Kopf, denn man muss das abnehmen, was das Original einem vorspielt und dann selbst herstellen.
Meister: Mikrofonsprechen ist immer eine bestimmte Facette der Schauspielerei. Es ist ganz anders, wenn man dreht oder auf der Bühne steht. Dann spielt man mit seinem ganzen Körper, man sieht die Bewegungen, Gestik, Mimik. Alles spielt zusammen. Wenn man am Mikrofon steht und man nur die Stimme hört ohne, dass man sich bewegt, weil man so reduziert ist, ist das Synchronsprechen eigentlich schwieriger als ein Dreh. So war es für mich zumindest früher. Am Mikrofon zu stehen und genau abzuliefern, was gefordert ist, das ist schon sehr speziell.
Welche Charaktere und Dialekte liegen Ihnen am besten?
Wunder: Dialekte macht man beim Synchronsprechen eher selten, höchstens bei Komödien. In der Regel ist Hochdeutsch gefragt. Schwierig wird es, wenn es um einen Film geht, der sehr viel mit Sprache arbeitet, beispielsweise mit Slang. Dann muss man aufpassen, wie man das gut ins Deutsche transportiert. Je unterschiedlicher die Rollen sind, desto besser. Wir beide haben das Glück, dass wir in so unterschiedliche Rollen schlüpfen können, sei es Brad Pitt, Jack Black oder Forest Whitaker. So etwas kannst du als Schauspieler vor der Kamera selten machen. Dass ich beispielsweise einen schwarzen Schauspieler wie Don Cheadle oder Forest Whitaker synchronisieren darf: Vom Aussehen her wäre es schwer und man würde es mir nicht abnehmen.
Wie geht man an eine neue Rolle ran? Muss man sich sprachlich verändern?
Meister: Erst einmal schaut man sich den Originalfilm an und dann kann es eigentlich schon losgehen. Man muss sich auf jeden Fall sprachlich anpassen. So wie beispielsweise bei dem Film „Der letzte König von Schottland“ da habe ich eine große Rede auf Suaheli gehalten und eine in Lunganisch. Man hat einen Sprachberater, der einem das noch einmal vorspricht, macht sich Notizen, teilt es in kleinere Blöcke auf und macht dann die Figur in der jeweiligen Fremdsprache. Aber immer mit Hilfe eines Dialog-Coachs, der das Gesagte zunächst vorspricht und einem erklärt, ob die Szene passt oder nicht.
Durch welches Training kann man seine Synchronsprecherstimme verbessern?
Meister: Lesen, lesen, lesen, am besten laut lesen. Immer wieder ganz viel lesen und zwar präkognitiv ohne, dass man es kennt. Einfach eine Zeitung aufschlagen, Artikel laut und langsam lesen, aufnehmen, abhören und dabei selbst hören, was man verbessern kann. Man muss einfach trainieren, wie man die Stimme am besten einsetzt.
Wie wichtig ist es, die Mund- und Rachenschleimhaut, beispielsweise durch Lutschen von Halstabletten, zu befeuchten?
Wunder: Wenn der Hals trocken ist, ist es immer ganz schwierig zu sprechen. Es ist gut, viel zu trinken oder auch Hilfsmittel wie Lutschpastillen einzunehmen, um die Mund- und Rachenschleimhaut zu befeuchten. Dann ist der Klang der Stimme ein ganz anderer.
Haben Sie Tipps für andere Vielsprecher, wie diese besser gut bei Stimme bleiben können?
Meister: Trinken ist das A und O, damit auch der Gehirnfluss richtig funktioniert und die Stimme geschmeidig bleibt. Sauerstoff ist ganz wichtig für eine gut funktionierende Stimme.
Was macht für Sie die Magie der Stimme aus?
Wunder: Die Stimme verzaubert. Man muss sich das so vorstellen: Wenn man jemandem zuhört, nicht darüber nachdenkt, wie der Mensch aussieht, sondern einfach nur zuhört, mit dem Kopf, dem Herzen und mit den Augen. Dann kann man sich einfach wegtragen lassen.
Meister: Ich habe einmal ein ganz besonders schönes Kompliment bekommen, das mich sehr berührt hat. Ein Blinder hat einmal zu mir gesagt, dass er das Gesicht des Schauspielers nur aufgrund meiner Stimme vor sich sieht – ein sehr großes Kompliment.
Das Interview für DIE PTA IN DER APOTHEKE führte Nadine Hofmann