Der hintere Teil eines Busses von innen, dessen Sitze leer sind.
Die betreuten Männer und Frauen der Diakonie Himmelstür vermissen sogar das Busfahren. © AntonMatveev / iStock / Getty Images Plus

Beeinträchtigung | Pandemie

MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNG LEIDEN OFT STÄRKER

Wer die staatlichen Maßnahmen gegen Corona intellektuell nicht versteht, kann Ängste oder auch Aggressionen entwickeln. Die Politik habe in der Krise die Belange von beeinträchtigten Menschen zu wenig im Blick, beklagen Vertreter der Behindertenhilfe.

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Die Corona-Pandemie belastet jeden; Menschen mit Beeinträchtigungen treffen die Einschränkungen jedoch besonders hart. „Nach den guten Fortschritten im Bemühen um Inklusion bedeutet Corona fast eine Rolle rückwärts“, sagt Ulrich Stoebe, Direktor der Diakonie Himmelsthür. Der größte Träger der Eingliederungshilfe in Niedersachsen unterstützt vorwiegend Menschen mit geistigen Behinderungen. Einige hätten wegen der Pandemie-Berichte im Fernsehen übergroße Ängste entwickelt, daraus resultierten teilweise auch Aggressionen, berichtet Stoebe. „Ihr Alltag wurde komplett über den Haufen geworfen. Die psychische Belastung ist groß, gerade weil viele den Corona-Sachverhalt nicht nachvollziehen können.“

Knapp eine Million Menschen mit Beeinträchtigung bezogen 2018 bundesweit Leistungen der Eingliederungshilfe. Weder die Einrichtungen noch die Betroffenen würden bei den relevanten Gesetzentwürfen ausreichend berücksichtigt, beklagt der Verband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie (CBP).

Während des ersten Lockdowns gab es ein Besuchsverbot in Heimen und Wohngruppen, auch die Behindertenwerkstätten wurden geschlossen. Im Juni begann eine schrittweise Öffnung. Allerdings können zum Beispiel in der Tagesförderstätte am Hauptsitz der Diakonie Himmelsthür in Hildesheim pro Gruppe nur 15 statt sonst 30 Frauen und Männer betreut werden. Zudem bleiben immer diejenigen zusammen, die auch zusammen wohnen – eine Kohortenbildung ähnlich wie in den Schulen. Vor Corona wurde gerade dies vermieden. Jetzt droht ein Lagerkoller. „Sie vermissen Sport, Einkaufstouren und selbst die Busfahrten“, erzählt Marianne Heller, Fachbereichsleiterin Tagesförderstätten. „Der Stresspegel ist deutlich höher.“

Nach der ersten Phase der Pandemie stellte der Psychologische Dienst der Diakonie laut Stoebe bei vielen Menschen Verschlechterungen fest. Beraubt um die Beschäftigung abseits der Wohngruppe, zogen sie sich zurück und verloren erlernte Fähigkeiten.

Trotz einzelner Ausbrüche sei es richtig, die sozialen Einrichtungen während des Teil-Lockdowns offenzuhalten, sagt Christian Germing, der sich im Verband Caritas Behindertenhilfe und Psychiatrie engagiert. „Menschen mit geistiger und vor allem psychischer Behinderung brauchen eine feste Tagesstruktur.“ Einige von ihnen hätten sogar Angst vor ihrem Urlaub, weil dann die Struktur verloren gehe, sagt der Leiter des Caritasverbandes für den Kreis Coesfeld im Münsterland. „Die komplette Schließung im Frühjahr war auch für die Angehörigen eine große Belastung.“ So hätten Eltern im Alter von über 80 Jahren tagsüber anstelle der Werkstätten die Betreuung und teils auch Pflege ihrer erwachsenen Kinder übernommen.

Quelle: dpa

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