Neue Forschungen
LSD: DIE DOSIS MACHT DAS GIFT
Seite 1/1 4 Minuten
Albert Hofmann, ein Schweizer Chemiker, werkelte 1938 in seinem Labor an einem Kreislaufstimulans. Er synthetisierte dazu Lysergsäurediethylamid, wie sie auch natürlich im Mutterkorn, einem Getreidepilz, vorkommt. Da seine Versuchstiere nach Verabreichung allenfalls ein wenig unruhig wurden, legte er den Versuch zunächst ad acta. Erst im April 1943 holte er die Substanz wieder aus der Schublade – und entschied sich, das weiße Pulver in der kleinsten für ihn denkbaren wirksamen Dosis einzunehmen. Das waren damals 250 Mikrogramm – aus heutiger Sicht eine zehnfache Überdosierung. Obwohl es ihm nicht so richtig gut bekam, fuhr er danach mit dem Fahrrad nach Hause – weshalb der 19. April bis heute von Anhängern der LSD-Kultur als „Bicycle Day“ gefeiert wird.
Was Albert Hofmann, der sich nach der Ankunft zuhause ein wenig aufs Sofa legte, danach vor seinem inneren Auge sah, beschrieb er im Bericht zum Selbstversuch so: „Kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte phantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss. Besonders merkwürdig war, wie alle akustischen Wahrnehmungen, etwa das Geräusch einer Türklinke oder eines vorbeifahrenden Autos, sich in optische Empfindungen verwandelten. Jeder Laut erzeugte ein in Form und Farbe entsprechendes, lebendig wechselndes Bild.“
Heute weiß man, dass LSD zu den am stärksten wirkenden Halluzinogenen zählt. Es funktioniert über eine agonistische Wirkung am 5HT2A-Rezeptor – also einem Serotonin-Rezeptor – wirkt bei richtiger Dosierung wie das bekannte Glückshormon und aktiviert die Verknüpfung zwischen verschiedenen Gehirnaralen erheblich. In den unerschrockenen 40er Jahren brachte ein Pharmakonzern das Alkaloid sogar als Tablette in den Handel. „Delysid®“ sollte es Psychiatern ermöglichen, sich für begrenzte Zeit in die Wahrnehmungswelt ihrer psychotischen Patienten hineinzuversetzen.
Albert Hofmann, der am eigenen Leibe die teilweise unangenehmen („Horrortrip“), teils faszinierend bewusstseinserweiternden Begleiterscheinungen der Lysergsäure erlebt hatte, ahnte aber auch um die therapeutischen Möglichkeiten seiner neu entdeckten Substanz. Er verwies sein ganzes Leben lang auf die Gefährlichkeit derselben bei psychisch instabilen Menschen und wünschte sich gleichzeitig eine sachliche medizinische Erforschung. Doch LSD hatte seinen Stempel weg: Als Psychodroge, als unerlaubte Substanz, als gefährlich und suchterregend.
Hofmann starb 2008 in hohem Alter, vielleicht bekam er noch mit, dass die LSD-Forschung eine Renaissance erlebte. Studien haben beispielsweise eine gute Wirksamkeit unter anderem bei Depressionen gezeigt. Dazu erinnerte man sich an das längst nicht mehr zugelassene Delysid®: Es wurde ja eingesetzt, um verborgene oder unbewusste Gefühle und Denkinhalte an die Oberfläche zu holen und so der Psychotherapie zugänglich zu machen. Heute ist jedoch Besitz und Erwerb von Betäubungsmitteln der Anlage I nur mit einer Sondererlaubnis gestattet, für wissenschaftliche Zwecke. Hintergrund für die neuen Studien sind einzelne Psychedelika, die eine sehr gute Wirksamkeit bei bestimmten psychischen Erkrankungen gezeigt haben. Positive Ergebnisse gibt es bereits für Psilocybin (ein Indolalkaloid aus sogenannten Magic Mushrooms) bei Depression, aber auch für 3,4-Methylendioxy-N-Methylamphetamin (MDMA, Ecstasy) bei posttraumatischer Belastungsstörung. Psylocybin wurde dabei 2018 sogar von der US-Arzneimittelaufsicht als Therapiedurchbruch (Breakthrough Therapy) eingestuft. Diesen Status erhalten nur Wirkstoffe, die im Vergleich zu verfügbaren Alternativen einen substanziellen Fortschritt darstellen. Zugelassen wurde auch Esketamin, das S-Enantiomer des Narkosemittels Ketamin; auch dieser Wirkstoff hat die Wandlung von einer halluzinogenen Droge zu einem Antidepressivum vollzogen.
In diesem Zusammenhang sind die beiden Fallstudien von Mark Haden, Professor an der University of British Columbia und Geschäftsführer der Multidisciplinary Association for Psycedelic Studies, besonders interessant. Sie beschäftigen sich nämlich mit LSD – und was passiert, wenn man es in erheblicher Überdosis zu sich nimmt. Eine Frau schnupfte versehentlich 55 Milligramm LSD, weil sie es für Kokain hielt. Das ist eine 550-fache Überdosis. Was folgte, war der Trip ihres Lebens. Ein Mitbewohner passte währenddessen auf sie auf; beide erzählen eine unterschiedliche Geschichte. Die 46-Jährige sagt, sie könne sich an die ersten zwölf Stunden nach der Überdosis kaum erinnern. Sie weiß nur, dass sie sich übergeben musste. Die folgenden zwölf Stunden habe sie in einem angenehmen Rauschzustand verbracht. Ihr Mitbewohner erinnert sich an mehr: Die meiste Zeit habe sie still auf einem Stuhl gesessen. Es bildete sich Schaum vor ihrem Mund, manchmal rollten ihre Augen nach hinten. Ab und zu sprach sie wahllose Wörter. Erst nach 34 Stunden war es ihr wieder möglich, normal zu kommunizieren.
Seit sie Anfang 20 war, litt die Frau an einer Lymeborreliose. Sie hatte stets starke Schmerzen und nahm täglich Opioide dagegen. Und hier wird es medizinisch interessant: Nach der LSD-Überdosis hatte sie zunächst gar kein Schmerzen mehr und nahm deshalb auch keine Medikamente. Und obwohl sie jahrelang Morphin genommen hatte, spürte sie keinerlei Entzugssymptome. Als die Schmerzen dann zurückkamen, gelang es ihr, mit einer deutlich geringeren Dosis auszukommen, kombiniert mit etwas LSD. Drei Jahre später hatten sich ihre Beschwerden deutlich reduziert, sodass sie das Medikament komplett absetzte. Die Symptome eines Morphinentzuges blieben wieder aus.
Und sie ist nicht die einzige Betroffene, die von den positiven Effekten nach einer LSD-Überdosis berichtet: Auf einer Sonnenwend-Party in Kanada unterlief einem Dealer ein folgenschwerer Fehler: Ihm verrutschte bei der Dosierung von flüssigem LSD die Dezimalstelle. So trank ein 15-jähriges Mädchen statt 100 Mikrogramm 1000 Mikrogramm der Droge. Der Rettungsdienst brachte sie ins Krankenhaus. Als ihr Vater sie am nächsten Morgen besuchte, sagte sie: „Es ist vorbei“ – und meinte damit die bipolare Störung, unter der sie litt. Manische und depressive Phasen hatten sich abgewechselt und mit der Überdosis hatte dies ein Ende. Sogar 20 Jahre später hielt dieser Effekt an.
Die Fallstudien ersetzen natürlich kein klinisches Studienprotokoll – was aus ethischen Gründen nicht machbar ist – zeigen jedoch interessante Wirkungen. Peter Gasser, ein Schweizer Psychiater, dem es als einer der wenigen Ärzte weltweit erlaubt ist, auf der Grundlage von Einzelbewilligungen Patienten mit LSD zu behandeln, ist nicht wirklich erstaunt, dass derartig hohe Dosierungen positive Effekte haben. Doch er ordnet auch ein: „Es wäre besser zu sagen: Die Dosis hat keinen zusätzlichen Schaden angerichtet. Tatsächlich aber ist LSD für den Körper ein ungiftiges Medikament.“ Es sei, soweit bekannt, bisher kein Mensch an einer LSD-Überdosis gestorben. Trotz der geringen Toxizität sollte aber eine Überdosis nicht leichtfertig in Kauf genommen werden.
Alexandra Regner,
PTA und Journalistin
Quellen:
https://www.welt.de/kmpkt/article206115957/Fallstudie-Frau-schnupft-550-fache-Ueberdosis-LSD.html
https://www.pharmazeutische-zeitung.de/der-trip-zum-glueck/
https://www.jsad.com/doi/pdf/10.15288/jsad.2020.81.115